Der CEO des Immobilienunternehmens Real I.S. Jochen Schenk sagt, es gibt eine Neubewertung bei Immobilien. Wie die konkreten aktuellen Marktaussichten für die Beteiligungsbranche sind. Von Stefan Rullkötter

Börse Online: Herr Schenk, was planen Sie als wichtiger Spieler der Immobilienbrache dieses Jahr in puncto Neuemissionen?  

Jochen Schenk: Wir konzentrieren uns im Bereich der Publikums-AIFs weiter auf den offene Immobilienfonds REALISINVEST EUROPA, der sich im Jahr 2022 in gewohnter Weise gut entwickelt hat. Daher ist in diesem die Auflage eines neuen Publikums-AIFs aktuell nicht geplant.

Fast die gesamte deutsche Wirtschaft bekommt derzeit die Folgen der multiplen Krisen zu spüren. Können sich langfristigen Anlagen wie Immobilen-Beteiligungen davon abkoppeln?

Erwartungsgemäß wird das erste Halbjahr 2023 noch durch die anhaltende konjunkturelle Schwächephase sowie weiter steigende Leitzinsen und erhöhte Finanzierungskosten geprägt sein. Die gestiegenen Zinsen führen derzeit zu Korrekturen der Multiplikatoren am Markt. Der Markt durchläuft derzeit eine Phase der Neubewertung und die Anleger planen ihren Wiedereinstieg in den Markt mit Bedacht.

Wie wirken sich hier Mietsteigerungen aus?

Noch stärkere Preisrückgänge werden aktuell vom stabilen Vermietungsmarkt und von den inflationsgetriebenen Mietsteigerungen, insbesondere bei Gewerbeimmobilien, abgefedert. Das ist der berühmte Inflationsschutz der Immobilie der jahrelang keine Rolle spielte und jetzt wieder wichtig wird. Oft wird übersehen, dass der Realzins von Wertpapieren oder Geldanlagen nach Abzug der Inflation so negativ ist wie lange nicht mehr.

Immobilien: Was bedeutet das für Neubau-Projekte?

Sind Eigenkapitalfonds aktuell generell im Vorteil gegenüber Zeichnungs-Offerten mit hohen Fremdkapitalquoten von 50 Prozent und mehr?

In Phasen niedrigster Zinsen und viel Liquidität bringen gehebelte, also fremdfinanzierte Anlagen zunächst einen starken Vorteil. Aktuell ist es umgekehrt, denn niedrige Beleihungsausläufe, heißt Finanzierungsquoten, ermöglichen eine Anschlussfinanzierung und vermeiden auch bei Wertänderungen eine Margenerhöhung von Banken oder gar Verletzungen von Finanzierungsgrenzen in den Kreditverträgen. Finanzierungsquoten von offenen Publikumsfonds von bis zu 30 Prozent oder Spezialfonds von in der Regel bis 50 Prozent sind auch derzeit bei guten Immobilien unproblematisch.

Welche Implikationen hat das  für Neubau-Projekte?

Für neue Investitionen ist es aktuell fast unmöglich bei fremdfinanzierten Investments einen positiven Leverage-Effekt zu realisieren. Der Immobilienmarkt wartet noch auf eine Anpassung des Preisniveaus oder wieder sinkende Zinsen bei einer rückgehenden Inflation. Erst dann liegt der Vorteil wieder bei den Performance orientierten Fonds, gepaart mit den entsprechenden Risiken.

Inwieweit entsteht durch die gestiegenen Zinsen bei Festgeldanlagen und Anleihen hier neue Konkurrenz für Immobilien-AIFs?

Das es nun längere Zeit keinen Zins oder sogar Verwahrentgelte gab war neu. Anleger freuen sich jetzt wieder über Zinsen, vergessen aber dass es eigentlich schlimmer geworden ist. Denn der um die Inflation bereinigte Zins, der Realzins, ist noch negativer geworden. Nur, das fällt nicht so auf und deshalb erscheint die Zinsanlage heute zunächst wieder attraktiv. Die Immobilie schneidet hier besser ab und das wird leicht übersehen.

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ESG und Immobilien

ESG ist das große Thema in der Immobilienbranche. Inwieweit können Sie als Initiator die nachhaltige Transformation von Gebäuden mitgestalten?

Zu ESG gibt es keine Alternative, wobei das E derzeit im Vordergrund steht. Wir als Real I.S. sehen uns als Frontrunner. Wir kennen den Dekarbonisierungspfad, also die 1,5 Grad -Ziellinie zu Null bis zum Zeitraum 2045- 2050. Wir haben umfassende Berechnungen angestellt, auf deren Grundlage Investitionspläne entwickelt wurden. Alle neuen Fonds entsprechend Art. 8 SFDR und mit unseren Investoren diskutieren wir aktuell den Bestand entsprechend upzugraden. Mehr Gestaltung geht kaum. Ferner engagieren wir uns in der Social Impact Initiative des ICG (Institut für Corporate Governance in der Immobilienwirtschaft) zur Definition von Messkriterien des S. Im Detail setzen wir pro Objekt individuelle Verbesserungen von KI-Gebäudesteuerung bis hin zu erneuerbare Energien-Anlagen um.

Fast alle Parteien haben die „Schaffung bezahlbaren Wohnraums“ in ihren Programmen. Sehen Sie sich hier als Initiator auch in einer gesellschaftspolitischen Pflicht?

Der soziale Frieden und der Zusammenhalt unserer Gesellschaft geht alle an, auch uns. Die Politik hat zum Beispiel im Koalitionsvertrag Ziele artikuliert, die Realpolitik zur Erreichung sieht anders aus. Deshalb engagieren wir uns, auch auf persönlicher Ebene.

Sind hier auch Investoren nach Ihrer Erfahrungen zu Zugeständnissen bereit?

In der Praxis sind Anleger in der Breite noch nicht bereit auf Rendite zu verzichten. Das wäre auch prekär, denn aus den Renditen werden Lebensversicherungen oder Renten gezahlt.

Lässt sich diese Thematik nur isoliert hierzulande abhandeln?

Grundsätzlich ist das ein europäisches und zum Teil weltweites Problem. Wir erhöhen unseren Wohnanteil im Portfolio seit Jahren und engagieren uns europaweit mit zum Beispiel Seniorenwohnanlagen in Frankreich und bezahlbarem Wohnen in Irland, also dort, wo die Voraussetzungen stimmen. Das werden wir weiter ausbauen und auch über die Verbände der Politik in Deutschland weiter Vorschläge unterbreiten, wie man den Konflikt von „Enviromental“ und „Social“ im Wohnungsbau lösen könnte.

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Zur Person:

Jochen Schenk ist Vorstandsvorsitzender der Real I.S. AG in München. Er verantwortet bei der Tochtergesellschaft der BayernLB unter anderem die Immobilienakquisition, die Produktkonzeption und das Funding.

Zum Unternehmen:

Die Real I.S. Gruppe ist seit mehr als 30 Jahren der auf Immobilieninvestments spezialisierte Fondsdienstleister der BayernLB. Das Verbundunternehmen der Sparkassen-Finanzgruppe zählt zu den führenden Asset-Managern am deutschen Markt. Das Unternehmen hat mehr als 12,5 Milliarden Euro Assets under Management.

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Realis-Chef Jochen Schenk