Die Notenbanken bestimmen gerade die Schlagzeilen. In der Vorwoche war es EZB-Chefin Christine La­garde, die wissen ließ, dass die Europäi­sche Zentralbank trotz der zuletzt rasant steigenden Verbraucherpreise weiterhin an ihrer expansiven Geldpolitik festhält. Spekulationen über eine Zinserhöhung im nächsten Jahr erteilte sie eine deutliche Ab­sage. Auf der obligaten Pressekonferenz stellte sie jedoch auch klar - so deutlich wie nie zuvor -, dass das Anleihekaufpro­gramm im März 2022 definitiv enden wird. Insgesamt ist Lagardes Haltung also eher "dovish" als "hawkish", wie es im Börsia­nerjargon so schön heißt - Taube statt Falke. Die EZB bleibt zunächst locker.

So viel zu Europa. In der laufenden Wo­che ist die Fed dran. Parallel zum Erschei­nen dieser Ausgabe der BÖRSE ONLINE wird sich Jerome Powell, Chef der US­ Notenbank, zu den weiteren Aussichten und den Plänen der Fed äußern. Und auch hier wird es auf die Tonalität seiner Aussa­gen ankommen - wirkt er wie eine Taube oder wie ein Falke? Diese Tonalität jeden­ falls dürfte bestimmen, welche Sektoren bis zum Jahresende den Ton angeben, was die Börsenentwicklung angeht. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben ge­lehrt, dass ein "dovisher" Ton eher für ein besseres Abschneiden von Value ­Aktien spricht. "Zeigt sich Powell jedoch als geld­politischer Falke, dann sollten Wachs­tumsaktien in den kommenden Wochen besser laufen", sagt Cam Hui, Chef des Internetbörsendienstes Humble Student of the Markets.

Kanada geht voran


Interessant ist dabei, dass das nördliche Nachbarland der USA per Ende Oktober in das Lager der Falken gewechselt ist. Zwar beschloss die Bank of Canada unter ihrem Vorsitzenden Tiff Macklem, den Leitzins wie bisher bei 0,25 Prozent zu belassen. Weit wichtiger war aber die Mitteilung, dass die Notenbank die Anleihekäufe, also die quantitative Lockerung, beendet hat - früher als bislang erwartet. Das Ganze "in Anbetracht der positiven Fortschritte bei der wirtschaftlichen Erholung in Kanada". Die Landeswährung, der Kan-Dollar, legte daraufhin an Wert zu.

Ob sich der US-Kollege Powell davon beeindrucken lässt? An den Märkten scheint man das zu erwarten: Die kurzfristigen Zinsen sind in den USA zuletzt deutlich gestiegen. Dies deutet darauf hin, dass von der Fed eine klar restriktivere Zinspolitik erwartet wird. Gleichzeitig aber fallen die zehnjährigen Renditen, was sich so interpretieren lässt, dass man an den Märkten ein künftig langsameres Wirtschaftswachstum erwartet. Beide Zinskomponenten zusammen ergeben eine inzwischen sehr flache Zinsstrukturkurve. Dies ist eigentlich ein Warnsignal, sollte aber dennoch nicht überbewertet werden angesichts der sehr guten Umsatz- und Gewinnentwicklung der US-Aktiengesellschaften in der laufenden Berichtssaison.

Überzogene Erwartungen


Entsprechend wichtig ist die Sitzung der US-Notenbanker in der laufenden Woche. Es braucht "Guidance", neue Hinweise, wie es weitergeht. Bisher hat die Fed signalisiert, dass das Anleihekaufprogramm reduziert und im Juni 2022 auslaufen wird. Doch ob sich dann sofort eine Leitzinserhöhung anschließt? Das ist unklar, auch wenn man an den Zinsmärkten davon auszugehen scheint. Allerdings war es in der jüngeren Vergangenheit oft so, dass die Erwartungen hinsichtlich der Zinsentwicklung zu hawkish waren. Aber wie geschrieben: Die Tonalität macht’s. Powells Worte bei der Pressekonferenz der Fed sollten für mehr Klarheit sorgen.

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com