Sie läuft, die Jahresendrally an den Aktienmärkten. Zwar tauchen immer wieder die altbekannten Inflationssorgen auf, ihr Einfluss auf das Marktgeschehen ist derzeit aber nicht zu vergleichen mit der großen Wirkung, die die Teuerungsrate in den Vormonaten auf die Börsen hatte. Gut zu sehen ist das vor allem in Europa. Hier erreichten etliche Börsen neue Mehrjahresrekorde, manche notieren inzwischen gar auf Allzeithoch, etwa der DAX oder der Euro Stoxx 50.

An der Wall Street verliefen die zurückliegenden Tage dagegen uneinheitlicher. Der Dow Jones beispielsweise verzeichnete in der 45. Kalenderwoche gleich drei Verlusttage in Folge. Grund waren die besagten Inflationsdaten, die zuletzt höher als erwartet ausgefallen waren. Allerdings ist ein guter Teil der Verluste des Dow Jones inzwischen wieder aufgeholt, was die These stützt, dass der Fokus der Anleger abrückt vom Dauerthema. Nicht zuletzt auch, weil Aktien als Sachwerte betrachtet werden - und damit als Inflationsschutz.

Wichtiger für die Entscheidungen der Anleger sind aktuell eindeutig die Unternehmensergebnisse der zu Ende gehenden Berichtsaison. Und die waren in Summe sehr gut. Dabei steht anscheinend vor allem die Wachstumsdynamik der Unternehmen im Vordergrund, weniger das bereits erreichte Kurs- und Bewertungsniveau. "So liefen in den zurückliegenden Wochen vor allem jene Aktien gut, die bereits im Vorfeld gut bewertet waren und nachgefragt wurden", heißt es in einem Marktbericht des unabhängigen Vermögensverwalters Clartan.

Renditen zwischen null und 1,5 Prozent


Dass sich die Quartalsergebnisse derart stark und positiv auf die Aktienkurse auswirken, liegt auch am weiter sehr niedrigen Zinsniveau. Bei zehnjährigen Staatsanleihen notiert die Rendite in den USA bei etwas über 1,5 Prozent, in Deutschland und Frankreich immer noch um die null Prozent. "Das hat bei Unternehmen mit hohem Wachstum zu hohen Bewertungsmultiplikatoren geführt", heißt es dazu in der Clartan-Analyse.

Hinzu kommt, dass die jüngsten makroökonomischen Nachrichten in der Summe unterstützend für die Aktienkurse wirken: Der Konsum in den Vereinigten Staaten ist höher als erwartet, die französische Wirtschaft kehrt auf das Niveau von vor der Pandemie zurück, und die Erklärungen der EZB zu künftigen Zinserhöhungen sollten die Lage beruhigen.

All diese Faktoren zusammen bewirken, dass das Inflationsthema derzeit einfach nicht stark genug ist, um die laufende Rally am Aktienmarkt zu beenden. Aus den Augen verlieren sollte man die Teuerung dennoch nicht. Denn diese nährt nach wie vor die Sorge vor eher früher denn später beginnenden Zinserhöhungen durch die Notenbanken.

Teuerung wie zuletzt 1982


Das Problem ist ja nicht von der Hand zu weisen: Im Oktober stieg beispielsweise die Kerninflationsrate in den USA um annualisiert 4,6 Prozent, die Teuerung insgesamt sogar um 6,2 Prozent. Dass es weiter geht bis sieben Prozent, halten viele Experten für nicht unwahrscheinlich - es wäre der höchste Wert seit 1982.

Ein Treiber der Teuerung sind die hohen Energiepreise. Hier hat die US-Regierung versucht, die OPEC zu einer höheren Produktion zu drängen, um den Preisdruck zu mindern. Ohne Erfolg bisher. Die OPEC will bei den bisherigen schrittweisen Erhöhungen bleiben, um die Preise auf hohem Niveau zu halten und dem Nachfragewachstum zu entsprechen. Diesen Risikofaktor sollten Anleger also im Auge behalten.

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com