Nach dem Verbot der Einfuhr von Kohle überlegt die EU, nun auch gegen Öl aus Russland einen Importstopp zu verhängen. Bisher konnten sich die Regierungschefs der EU-Länder nicht darauf einigen. Das Thema bleibt aber auf der Agenda. Gegenwärtig wird nach Schätzungen der Brüsseler Denkfabrik Bruegel täglich Öl im Wert von 450 Millionen Euro aus Russland in der EU verbraucht. Das entspricht umgerechnet rund vier Millionen Barrel am Tag. Russland ist damit der wichtigste Öllieferant für die Union.

Die Öleinnahmen machen etwa 30 Prozent der Staatseinnahmen Russlands aus und tragen zur Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine bei - weit mehr als Gas oder Kohle. "Verglichen mit den Einnahmen, die der russische Staat aus Öllieferungen in die EU generiert, sind die Gelder aus Kohle und Gas Peanuts", sagt Janis Kluge, Russland-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Mindestens die Hälfte der russischen Erlöse aus dem Ölexport stammen dabei aus Europa. Mit einem Embargo würde Brüssel darauf abzielen, Putins Kriegskasse zu schwächen.

Schon seit Kriegsbeginn kommen weniger Lieferungen aus Russland in Europa an. Die Finanzsanktionen und der moralische Druck der Öffentlichkeit sorgen dafür, dass viele Ölhändler und Raffineriebetreiber kein russisches Öl mehr kaufen. Viele Öltanker aus dem Riesenreich dürfen an europäischen Häfen nicht mehr anlegen. Trotzdem bleibt Russland für Europa immer noch ein sehr bedeutender Ölexporteur.

Es ist aber zweifelhaft, ob ein Embargo Russland wirklich schadet oder ob sich die Europäer ins eigene Fleisch schneiden. Denn einige Volkswirtschaften mit ausgesprochen hohem Energieverbrauch wie China, Indien oder Pakistan beteiligen sich nicht an den Sanktionen gegen Putins Reich. Sie kommen als potenzielle Abnehmer für das von Europa verschmähte Öl infrage.

So hat Indien bereits Interesse bekundet. Der Subkontinent steht vor einem Deal mit Russland. Damit würde Indien russisches Öl wohl zu einem Schnäppchenpreis erhalten. Mit 3,5 Millionen Barrel handelt es sich nur um eine geringe Menge. Da der Subkontinent aber bisher nur ungefähr drei Prozent der schwarzen Flüssigkeit aus Russland bezieht, ist hier noch viel Luft nach oben. Äußerungen von indischen Regierungsvertretern deuten darauf hin, dass durchaus Interesse daran bestehe, die Ölpartnerschaft trotz Kritik aus dem Westen auszubauen.

Ebenso wie der Subkontinent kauft auch China russisches Öl derzeit mit bis zu 30 US-Dollar Rabatt pro Barrel ein. Es ist also davon auszugehen, dass sich die Lieferbeziehungen mittelfristig verschieben. Allerdings muss Russland offenbar finanzielle Verluste in Kauf nehmen, um sein Öl loszuwerden.

Dessen Vorteil zu Gas ist, dass es nicht über Pipelines, sondern mit Tankern transportiert wird. Daher ist es theoretisch einfacher, es umzuleiten. Simone Tagliapietra vom Thinktank Bruegel gibt aber zu bedenken, dass "die russischen Ölfelder im Westen des Landes nur unzureichend mit den Märkten im Osten verbunden sind. Die Russen müssen viele Tankschiffe auftreiben, das könnte schwierig werden", sagt er.

Schwer dürfte es auch für Deutschland werden, ist es doch zu 34 Prozent von russischem Öl abhängig. Besonders Ostdeutschland dürfte es treffen. Das hat historische Gründe. Seit 1963 transportiert die Pipeline Druschba (Freundschaft) die schwarze Flüssigkeit aus dem Ural ins brandenburgische Schwedt. Der Osten Deutschlands gleicht einer Insel, die an die übrigen Ölpipelines nicht angebunden ist. Neben der Raffinerie in Schwedt ist auch die Raffinerie in Leuna von der Pipeline abhängig. Die beiden Anlagen decken weitgehend den Benzinbedarf Brandenburgs, Sachsen-Anhalts, Sachsen und Thüringens. Der Großteil der Tankstellen in diesen Bundesländern erhält den Sprit aus diesen beiden Raffinerien.

Doch nicht nur Benzin und Diesel, sondern auch Heizöl, Bitumen, Methanol und Flugkraftstoffe etwa für den Berliner Airport BER kommen von dort. Alternativ könnte Öl zwar auch über den Hafen von Rostock geliefert werden, diese Ersatzversorgung wäre aber schwierig, da sie nur die Hälfte der benötigten Kapazität aufweist.

Drohende Marktverwerfungen

Hinzu kommt, dass beide Raffinerien umgestellt werden müssten, um andere Rohölsorten verarbeiten zu können. Das dauert Monate und ist teuer. "Ohne russisches Öl läuft in weiten Teilen Ostdeutschlands nichts", sagte ein Brancheninsider dem "Handelsblatt". Auch in einem Papier des Bundeswirtschaftsministeriums steht, dass das Embargo in Ostdeutschland zeitweise zu Marktverwerfungen führen könnte. Privatleute und Industrie würden wohl massiv in Mitleidenschaft gezogen.

Auch am Westen Deutschlands dürfte der Wegfall von russischem Öl nicht spurlos vorbeigehen. Denn der Rohstoff ist knapp. Von den nach Russland wichtigsten Lieferanten Norwegen und Großbritannien sind derzeit kaum größere Mengen erhältlich. Daher müsste Deutschland den fehlenden Rohstoff am Weltmarkt kaufen "Das würde die Preise nach oben treiben, eventuell auf die kürzlich gesehenen 140 US-Dollar je Barrel", sagt Carsten Fritsch, Rohstoffexperte bei der Commerzbank.

Dieser Zustand dürfte aber seiner Meinung nach nicht lange anhalten. Er rechnet damit, dass die Erdölorganisation OPEC+ ihre selbst auferlegte Förderbegrenzung nicht mehr lange durchhält, da sonst die Gefahr besteht, dass das Ölangebot außerhalb der OPEC+ zunimmt oder sich der Westen früher von fossilen Energieträgern abwendet. Das hieße auch, dass ein schneller Ausbau von erneuerbaren Energien erfolgt.

Überdies wird die Bundesregierung ihre Ölreserven freigeben, die zumindest 90 Tage reichen müssten. Einen Teil davon hat sie schon zugänglich gemacht, um den Ölpreisanstieg zu dämpfen. Es gibt also einen Zeitpuffer, um neue Versorgungschancen auszuloten.

Nicht ohne Einschränkungen

Zudem müssen neben dem Ausbau erneuerbarer Energien Sparmaßnahmen wie Tempolimit, autofreier Sonntag, effektiveres Heizen eingeführt werden. "Ein Embargo gegen Russland kann nur durch starke Einsparungen beim Verbrauch gelingen", sagt Marcel Fratzscher, Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Sollte das funktionieren, könnten sich die Auswirkungen für Verbraucher und Wirtschaft in Westdeutschland in Grenzen halten.

Fratzscher hat aber Zweifel. Ein solches Embargo könne am Willen der Menschen scheitern, den damit verbundenen Preis zu zahlen - nämlich spürbare Einschränkungen im täglichen Leben. Er verweist auf die Spaltung der Gesellschaft in der Pandemie wegen der Umsetzung von Corona-Maßnahmen. Sollte das passieren, dürften die Ölpreise steigen und damit auch die Inflation. Dann wären die Folgen für die deutsche Wirtschaft beträchtlich.

Investor-Info


Deutsche Ölimporte

Warnsignale ignoriert

Seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 haben sich die deutschen Ölimporte aus Russland sogar leicht erhöht. Die Einfuhren aus Norwegen und Großbritannien, dem zweit- und drittgrößten Lieferanten des schwarzen Goldes, sind zurückgegangen.

ÖL-ETC

Wette auf ein Embargo

Das Verbot von Öllieferungen aus Russland würde eine hohe Nachfrage der EU-Länder nach dem Rohstoff in anderen Ölstaaten auslösen. Da das Angebot auf dem Weltmarkt derzeit jedoch knapp ist, dürfte der Ölpreis kurzfristig dann deutlich steigen. Mit einem rolloptimierten ETC von BNP Paribas auf Brent Crude Oil können Investoren an diesem Szenario partizipieren.

BO-Index Grüne Zukunft

Alternative Energien

Der von der Redaktion entwickelte BO-Index Grüne Zukunft enthält Aktien von Unternehmen, die von der Abkehr von russischen Importen und der Energiewende profitieren. Anleger investieren in ein Zertifikat, das den Index eins zu eins abbildet. Der Index enthält 16 gleichgewichtete Aktien. Die Anteile werden halbjährlich auf die ursprüngliche Gewichtung gebracht. Informationen unter: https://boerse-online-invest.de/gruene-zukunft.

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