Zum 1. Juli tritt der neue Vorstandschef der Deutschen Bank, John Cryan, seinen Job in Frankfurt an. Den Rücktritt der beiden Co-Chefs Anshu Jain und Jürgen Fitschen Anfang Juni hat die Börse noch mit einem Kursfeuerwerk begrüßt. BÖRSE ONLINE hat Analysten befragt, was sie vom neuen Chef erwarten - und welche Aufgaben Cryan am dringendsten angehen sollte.

Grundsätzlich genießt der eher zurückhaltend auftretende 54jährige Brite bei Finanzinvestoren einen guten Ruf. Als Finanzchef hat er die Schweizer Großbank UBS wieder zurück in die Erfolgsspur gebracht. Dort hat er den Rückzug aus dem Investmentbanking eingeleitet und Risiken abgebaut - und sich als Kostenkiller und Krisenmanager profiliert. Seit 2013 sitzt Cryan im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und kennt inzwischen die Probleme des größten deutschen Geldhauses, allen voran die ausufernden Rechtsrisiken. Auf ihn wartet eine Herkulesaufgabe.

Einhellig sind die von BÖRSE ONLINE befragten Finanzprofis der Meinung, dass Cryan die von seinen Vorgängern eingeschlagene Strategie im Wesentlichen fortsetzen wird. Die zahlreichen Rechtsrisiken und die immer strengere Regulierung werden die Ertragslage und Profitabilität der Bank noch auf Jahre belasten - auch das ist nahezu Konsens unter den Experten. "Ich wünsche mir vom neuen Chef als allererstes mehr Transparenz", sagt Philipp Häßler von der Frankfurter Investmentbank Equinet, der Cryan durchaus zutraut, als unbelasteter Externer beim Abbau der Rechtsrisiken aufs Gas zu drücken. Stefan Bongardt vom Analysehaus Independent Research sieht das ähnlich. "Cryan muss das Vertrauen der Großaktionäre zurückgewinnen - und vernünftig und schlüssig kommunizieren, denn daran sind seine beiden Vorgänger am Ende gescheitert."

In diesem Zusammenhang äußert sich Dirk Becker vom Analysehaus Kepler Chevreux kritisch: "Ich habe Zweifel, dass die neue Führung tatsächlich wie angekündigt bis Ende Juli die neue Strategie im Detail vorstellen kann." Alle drei Analysten halten weitere Kapitalmaßnahmen für plausibel, abhängig vom Ausmaß der Rechtsrisiken, der Regulierung und der Ausgestaltung der Strategie. Becker taxiert die mögliche Kapitallücke auf zwölf Milliarden Euro, Häßler auf mindestens fünf Milliarden Euro. "Ich halte es durchaus für möglich, dass Cryan rasch Kapitalmaßnahmen ansetzt", sagt Häßler. "Die hängt er wie üblich seinen Vorgängern an, um zu zeigen, dass er mit eisernem Besen kehrt, um anschließend Erfolge zu vermelden."

Es folgen die Analysten-Statements im Wortlaut:



Statement Dirk Becker, Kepler Chevreux:



"Ich erwarte, dass der neue Co-Chef der Deutschen Bank, John Cryan, die von seinen Vorgängern Anshu Jain und Jürgen Fitschen vorgestellte Strategie "2020" umsetzen wird, an der er noch vom Aufsichtsrat aus mitgewirkt hat. Grundlegende strategische Änderungen sehe ich nicht. Ich habe allerdings Zweifel, dass die neue Führung tatsächlich in der Lage ist, wie angekündigt Details dieser neuen Strategie bis Ende Juli vorzustellen, insbesondere was den Austritt aus bestimmten Märkten oder Kostensenkungen angeht. Ob Cryan zudem die zahlreichen Rechtsrisiken der Bank besser als seine Vorgänger abarbeiten kann, bleibt ebenfalls abzuwarten. Er hat zwar Vorteile als unbelasteter Außenstehender, doch er kennt die Fälle eben auch nicht so gut.

Derzeit ist die Bank ausreichend kapitalisiert. Werden alle regulatorischen Vorschriften tatsächlich so verschärft wie geplant, so entsteht bei der Bank nach unserer Einschätzung bis 2019 eine Kapitallücke von zwölf Milliarden Euro. Diese lässt sich zwar bis dahin durch einbehaltene Gewinne schließen. Das würde allerdings noch stärker die Profitabilität belasten, als dies ohnehin schon durch Rechtskosten, Abschreibungen und Restrukturierungsaufwand geschieht. Vor diesem Hintergrund könnte ich mir vorstellen, dass der neue Vorstand das Problem mit einer zeitnahen Kapitalerhöhung vom Tisch haben will. Das wäre aber angesichts des niedrigen Aktienkurses aus meiner Sicht der falsche Weg.

Empfehlung: Halten; Kursziel: 30 Euro."



Statement Stefan Bongardt, Indespendent Research:

"Die wichtigste Aufgabe, die der neue Deutsche-Bank-Chef angehen muss, ist es, das Vertrauen der Großaktionäre wie Blackrock oder Hermes zurückzugewinnen. Das Strategieprogramm 2020 steht in seinen Grundzügen. Herrn Cryans Aufgabe ist es, es vernünftig und schlüssig und mit ausreichend Details zu kommunizieren - z. B. wo eingespart werden soll, denn auch an der Kommunikation sind seine Vorgänger Anshu Jain und Jürgen Fitschen am Ende gescheitert. Der grundsätzliche strategische Ansatz, als Universalbank weiterzumachen, ist aber richtig.

Bei der Bewältigung der zahlreichen Rechtsstreitigkeiten sehe ich es eher als Vorteil, dass Herr Cryan von außen kommt und von den Vorgängen unbelastet ist. Allerdings glauben, wir, dass die Bewältigung doch mehr Zeit in Anspruch nehmen wird. Wir haben ursprünglich erwartet, dass das alles bis 2016 abgearbeitet ist, aber da kommen immer neue Dinge hoch. Das wird noch länger dauern und die Bank belasten.

Momentan hat die Deutsche Bank aus unserer Sicht eine durchaus passable Kapitalausstattung, die keine weiteren Kapitalmaßnahmen erforderlich macht. Inwieweit später doch noch einmal der Kapitalmarkt angezapft werden muss, hängt auch von der genauen Ausgestaltung des Strategiekonzepts 2020 ab. Wird der Anleihehandel weitergeführt, der viel Kapital bindet? Wie gut gelingt der Verkauf der Postbank? Welche Kosten verursacht die Restrukturierung? Aber auch: Was kommt von Seiten der Regulatoren und welche Rechtsrisiken tauchen noch auf? Davon hängt ab, ob weitere Kapitalmaßnahmen nötig sind.

Empfehlung: Halten; Kursziel: 30 Euro"



Statement Philipp Häßler, Equinet:



"Vom neuen Management und Vorstandschef der Deutschen Bank würde ich mir als allererstes mehr Transparenz wünschen - bezüglich der zahlreichen Rechtsrisiken, aber auch bezüglich der Strategie "2020". Der Zeitpunkt liegt sehr weit in der Zukunft, wer weiß schon, was in fünf Jahren ist. Der neue Vorstand sollte deshalb Zwischenziele bis 2018 definieren.

Als dringendste Aufgabe für John Cryan sehe ich den Abbau der zahlreichen Rechtsrisiken. Das Thema sollte ganz oben auf der Agenda stehen, weil es derzeit die größte Gefahr für die Bank darstellt. Da Herr Cryan anders als Herr Jain unbelastet von diesen Vorgängen ist, erwarte ich, dass er in dieses Thema auch deutlich mehr Dynamik reinbringen wird.

Das könnte allerdings kurzfristig auch zu höheren Rechtsbelastungen führen. Hinzu kommt die immer schärfere Regulierung, die ebenfalls an der Kapitaldecke zehrt. Zwar ist die Bank aus heutiger Sicht noch ausreichend kapitalisiert, und ich rechne nicht mit einer Kapitalerhöhung. Ich halte es aber durchaus für möglich, dass der neue Vorstandschef relativ schnell Kapitalmaßnahmen ansetzen könnte. Die hängt er dann wie üblich seinen Vorgängern an, um zu zeigen, dass er mit eisernen Besen kehrt, um anschließend Erfolge zu vermelden. In einem solchen Szenario wäre ein Umfang von nicht unter fünf Milliarden Euro zusätzlicher Kapitalaufnahme durchaus realistisch.

Aufgrund der Rechtsrisiken, der Restrukturierung und der Regulierung hat die Bank in den nächsten Jahren wenig Ertragsperspektiven. Mit positiven Nachrichten ist kaum zu rechnen, insbesondere das Thema Rechtsrisiken lässt sich nicht über Nacht aus der Welt schaffen. Hier könnten eher noch weitere Hiobsbotschaften folgen.

Empfehlung: Halten; Kursziel: 30 Euro"