Herr Heller, viele Griechen haben am Sonntag das Nein zu den Reformvorschlägen als Sieg der Griechen und der Demokratie gefeiert. Können Sie das nachvollziehen oder war das eher ein Phyrrussieg?

Das griechische "Nein" zu den großzügigen Reformvorschlägen der Geberländer, das wohl zu einem guten Teil aus dem Bauch heraus kam, ist zwar verständlich, aber es ist ein Pyrrhussieg. In anderen Worten: Griechenland, das sich als Sieger wähnt, geht mit geschwächter Verhandlungsposition aus dem Konflikt hervor.

Ist Griechenland nach diesem Votum überhaupt noch im Euro zu halten?

Kurzfristig stehen alle Räder still: Die Banken, ohne Geld, sind geschlossen, der Geldhahn der EZB ist zu, weil sie abwarten muss, was politisch in den nächsten Tagen geschieht, und den Politikern fehlen die Worte angesichts des mit 61% unerwartet deutlichen "Neins". Es stehen hektische Tage bevor.

Samt Grexit?

Der Euro leidet - noch mehr als unter seiner Fehlkonstruktion - unter seiner Fehlbesetzung. Griechenland hätte nie in den Euro aufgenommen werden dürfen. Ein Grexit wäre sowohl für Griechenland als auch für die Geberländer die beste Lösung. Drei Mächte entscheiden über den Verbleib Griechenlands im Euro und letztlich sogar über den Bestand der Eurozone: Die Macht der Menschen und der Wähler, die Macht der Märkte und die Macht des Faktischen.

Auf Seite 2: Wie Heller die Aussichten auf eine Einigung zwischen Athen und Brüssel beurteilt





Die Griechen hoffen auf neue Verhandlungen und haben dafür sogar den umstrittenen Finanzminister Yanis Varoufakis geopfert. Aber wie soll das gehen, nachdem die Verhandlungen fünf Monate ergebnislos geblieben sind und die griechische Regierung die Geldgeber mit Vorwürfen überzogen hat und zuletzt sogar von Erpressung und Terrorismus gesprochen hat?

Für eine Mitgliedschaft in einer gemeinsamen Währung ist ein Mindestmaß an Vertrauen nötig. Das ist nicht nur von Varoufakis, sondern auch von Tsipras zerstört worden. Letztlich kommt es jenseits aller Illusionen der Euro-Retter auf die harte Realität an: Griechenland ist ein sogenannter "gescheiterter Staat". In diesem Zustand ist es finanziell ein Fass ohne Boden. Bis es ein funktionierender Staat werden kann, werden Jahre vergehen.

Sollten die Geldgeber erneut Zugeständnisse machen oder bei ihrer strikten Haltung Hilfe nur bei Reformen bleiben?

Wenn die Geldgeber allzu großzügige Zugeständnisse machen, wird die gesamte Eurozone Schaden leiden, weil für manch andere Länder die Versuchung groß ist, es ebenfalls mit Erpressung zu versuchen. Und andere, die redlich die Regeln einhalten, werden sich benachteiligt fühlen. Angela Merkel muss gegenüber Frankreich und Italien, die schon wieder weich zu werden scheinen, endlich den Mut haben, "Nein" zu sagen und hart zu bleiben.

Auf Seite 3: Ob die EZB die Ela-Kreditlinie verlängern soll





Die Bargeldversorgung der Griechen steht kurz vor dem Kollaps. Sollte die EZB die umstrittenen Ela-Kredite erneut erhöhen, um der Politik zumindest ein wenig Spielraum zu verschaffen oder müssen die Notenbanker jetzt eigentlich den Stecker ziehen und Griechenland dann endgültig in den Staatsbankrott treiben?

Die EZB hat mit den schon bisher ausgegebenen Ela-Krediten ihr Mandat überschritten, indem sie indirekt Staatsfinanzierung betrieben hat. Auch die Glaubwürdigkeit der EZB steht mehr denn je auf dem Spiel.

Welche Folgen erwarten Sie im Falle eines Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone für die Konjunktur in Europa und vor allem für die deutschen Unternehmen?

Ich erwarte für die Konjunktur in Europa keine schlimmen Folgen: Der Anteil Griechenlands an dem Bruttosozialprodukt der Eurozone beträgt weniger als zwei Prozent. Die Wirtschaftsleistung ganz Griechenlands entspricht gerade mal dem Doppelten der Stadt München und, was Griechenland in einem Jahr erwirtschaftet, schafft China an einem Tag!

Und was würde ein Grexit für den Euro bedeuten: Schwächung oder Stärkung?

Ein Grexit würde den Euro stärken, weil er eine einheitliche Geld- und Finanzpolitik ermöglichen würde und eine disziplinierende Wirkung auf die verbleibenden Euro-Mitglieder hätte.

Auf Seite 4: Was Heller Anlegern rät





Die Märkte haben auf das Votum heute morgen negativ reagiert. Ist das nur ein kurzes Schütteln oder dürfte es kurzfristig weiter abwärts gehen?

Die Märkte haben quasi mit einem Achselzucken reagiert. Der DAX büßt 0,5 Prozent ein und das Krisenmetall Gold fällt sogar um vier US-Dollar, das sind -0,3 Prozent. Solange aber eine große Unsicherheit über den Fortgang des griechischen Dramas herrscht, werden die Märkte nervös bleiben.

Wie sollten Anleger also auf die Lage reagieren?

Mutige Anleger könnten schon Teilkäufe bei Aktien, Aktienfonds oder ETFs machen. Wer auf Nummer sicher gehen will, könnte auch abwarten. Wie ich in meinem inzwischen in der fünften Auflage erschienenen Buch "Der einfache Weg zum Wohlstand" beschrieben habe, schlägt man mit einem international gestreuten Depot gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Man reduziert das Schwankungsrisiko und man besitzt eine Vielzahl verschiedener Währungen, und hat die Chance auf Währungsgewinne, falls der Euro noch weiter abwerten sollte.