Lange Zeit schien so ein Deal undenkbar. "Im Zementgeschäft ist die Zeit für große Übernahmen vorbei", sagte etwa Bernd Scheifele, Chef des weltweit drittgrößten Herstellers, HeidelbergCement, noch Ende 2012. Trotz der großen Überkapazitäten in der Branche schien die hohe Schuldenlast der Unternehmen im Baustoffgeschäft große Zusammenschlüsse unmöglich zu machen. Nun ist es aber doch geschehen: Die weltweite Nummer 1 und 2 der Zementbranche, die Schweizer Holcim und Lafarge aus Frankreich, fusionieren - ein Zusammenschluss scheinbar gegen die Regeln des Marktes.

Denn Zement ist ein kapitalintensives Massengeschäft, die Konzerne sind hoch verschuldet. Der Grundstoff lässt sich nur über relativ kurze Distanzen transportieren. In aussichtsreichen Regionen müssen sich Unternehmen deshalb ausreichend große Produktionskapazitäten und Logistiknetze leisten, um nachhaltig profitabel zu arbeiten.

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Megafusion ohne neuen Schulden

Die hohe Schuldenlast sprach lange gegen große Übernahmen. Die Marktführer aber haben einen Weg gefunden, die Megafusion ohne zusätzliche Schulden zu bewerkstelligen. Basis des Deals ist ein Aktientausch, Bargeld wird nicht fließen. Das gleichberechtigte Tauschverhältnis eins zu eins - eine Holcim- Aktie für ein Lafarge-Papier - ist vor allem für Holcim nur deshalb akzeptabel, weil sich die Börsenwerte der Riesen einander angenähert haben.

Holcim wird ein formales Übernahmeangebot für Lafarge machen. Mit knapp 41 Milliarden Euro Börsenwert ist der Schulterschluss der größte in rohstoffnahen Branchen seit der Übernahme des Rohstoffhändlers Xstrata durch Glencore 2013 - und nur etwas kleiner als die 43 Milliarden Euro schwere Fusion der beiden Stahlkonzerne Arcelor und Mittal im Jahr 2006.

Der neue Konzern Holcim-Lafarge mit Sitz in der Schweiz soll die Kosten während der kommenden drei Jahre um weitere 1,4 Milliarden Euro senken - zusätzlich zu den bereits laufenden Sparprogrammen in den Unternehmen. Das hilft beim Abbau der Schulden.

Auch geografisch ergänzen sich die Konzerne vor allem in Schwellenländern gut. Lafarge ist in Afrika und im Nahen Osten stark, Holcim in Asien und Lateinamerika. Das Bevölkerungswachstum, höhere Lebensstandards und der dafür notwendige Ausbau der Infrastruktur in diesen Regionen liefern langfristig stabiles Wachstum.

Zunächst steht Schweizern und Franzosen jedoch harte Arbeit bevor. Die Konzerne müssen insgesamt 15 Kartellbehörden davon überzeugen, dass die neue Nummer 1 den Wettbewerb nicht deutlich einschränken wird. Mit einem geschätzten Umsatz von 32 Milliarden Euro und knapp 6,9 Milliarden Euro operativem Gewinn für 2014 rangiert der künftige Primus mit großem Abstand vor der Konkurrenz. Die aktuelle Nummer 3, HeidelbergCement, bringt es im laufenden Jahr Schätzungen zufolge auf 14 Milliarden Euro Umsatz und 2,5 Milliarden operativen Gewinn.

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Strenge Auflagen wahrscheinlich

Die Kartellwächter werden schon ab 40 Prozent Marktanteil in einem Land nervös - und scheuen sich erfahrungsgemäß nicht, mögliche Preisabsprachen im globalen Zementgeschäft aufwendig zu untersuchen. Die Härte zeigt Wirkung: Holcim und Lafarge bieten bereits freiwillig an, Geschäft im Umfang von 15 Prozent des Gesamtumsatzes und zehn Prozent des operativen Gewinns zu verkaufen. Experten erwarten allerdings noch weiter gehende Auflagen der Kartellwächter.

Mit dem Erlös aus den Veräußerungen soll zumindest ein Teil des gemeinsamen Schuldenbergs von insgesamt 20 Milliarden Euro abgetragen werden. Bei der Kreditwürdigkeit will der neue Konzern das erreichen, was Holcim auch durch die Finanzkrise hindurch halten konnte: ein Investment-Grade-Rating, das die Zinszahlungen für die Schulden mindert.

Ein Drittel des angebotenen Umsatzvolumens liegt in den Schwellenländern, der größere Anteil in den Industrieländern. Käufer dürften hier vor allem an Zementwerken in Amerika interessiert sein. Allerdings könnte das Angebot überschaubar bleiben, da die US-Kartellwächter wohl nur wenig Grund haben, Verkäufe anzuordnen.

Sollten dennoch rentable US-Werke auf den Markt kommen, wäre das für HeidelbergCement eine gute Gelegenheit, seine Anteile im drittgrößten Markt der Welt auszuweiten. Aktuell fährt der Konzern dort etwa 14 Prozent seiner Umsätze ein. Darüber hinaus wären für den stark auf Schwellenländer ausgerichteten DAX-Konzern Werke in Afrika und im Raum Asien-Pazifik interessant.

Werke, für die sich keine Käufer finden, dürften mit Blick auf den Sparzwang des künftigen Weltmarktführers voraussichtlich geschlossen werden. Für die von einem harten Preiskampf geprägte Branche besteht damit die Aussicht, dass Überkapazitäten abgebaut werden und sich der Preisdruck mildert.

Diese Perspektiven treiben auch die Aktienkurse. Überdies brachte die bevorstehende Elefantenhochzeit neue Übernahmefantasie in die Branche. "Weil über den Aktientausch neue Schulden vermieden werden, könnte das Beispiel Schule machen", meint Hans-Peter Kuhlmann, Analyst der LBBW. HeidelbergCement und das italienische Unternehmen Buzzi Unicem dürften nach Einschätzung der US-Investmentbank Goldman Sachs zu den größten Profiteuren möglicher Verkäufe gehören. "Bei HeidelbergCement gibt es bei 56 Prozent der regionalen Kapazitäten die Chance auf Ergänzungen, bei Buzzi sind es 64 Prozent", sagt Analyst Will Morgan.

Bei der Jahresbilanz im März hatte Lorenz Näger, Finanzchef von HeidelbergCement, gesagt, dass der Abbau der Schulden auf unter 6,5 Milliarden Euro eine "massive Zielsetzung" bleibe. Beobachter erwarten deshalb, dass der Konzern selbst den angekündigten Verkauf von Randaktivitäten beschleunigt. Die Tonziegelsparte etwa könnte verkauft oder an die Börse gebracht werden, um Spielraum für Zukäufe zu haben. Der Wert des Randgeschäfts wird auf mehr als 1,6 Milliarden Euro taxiert.

Vielleicht hatte HeidelbergCement- Chef Scheifele doch künftige Veränderungen geahnt, als er den Spartenverkauf im März auch offiziell auf die Agenda setzte.

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