Die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes geht nicht immer mit der Performance der lokalen Börse Hand in Hand - wie in Taiwan zu sehen. Obwohl das Land den wirtschaftlichen Aufstieg in den vergangenen 20 Jahren fortgesetzt hat, liegen die Aktienkurse auf dem Niveau von 1997. Immerhin hat der lokale Leitindex TAIEX Ende April mit einem Zwischenhoch bei 9973 Punkten wieder an der 10 000-Punkte-Marke angeklopft.

Dieses Niveau ist bedeutsam, da das Rekordhoch vom Februar 2000 bei 10 202 Punkten nur knapp darüber liegt. Zudem war hier in den vergangenen 18 Jahren schon mehrfach Endstation. Damit die Hausse diesmal nicht wieder an dieser Marke endet, sollte der TAIEX den seit Ende 2008 ausgebildeten und bei rund 9240 Punkten verlaufenden Aufwärtstrend auf jeden Fall verteidigen.

Aus fundamentaler Sicht wäre hilfreich, wenn das Land weiter auf Wachstumskurs bliebe. Im Vorjahr nahm die Wirtschaft um 3,5 Prozent zu. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet für 2015 zwar ein Plus von 3,8 Prozent. Die nationale Statistikbehörde ist aber weniger optimistisch und senkte ihre Prognose kürzlich um einen halben Prozentpunkt auf 3,3 Prozent. Die Aussichten haben sich zuletzt auch deshalb eingetrübt, weil China im Technologiesektor aufrüstet. Taiwans ausfuhrabhängige Unternehmen kämpfen außerdem mit der Abwertung des Japanischen Yen und des Südkoreanischen Won zum Dollar. Denn das bringt den dortigen Exporteuren einen Vorteil. Die Verfassung des Techsektors ist für Taiwans Wirtschaft sehr wichtig, steht er doch für zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts. Auch die Börse wird von ihm entscheidend geprägt: Er macht mehr als 60 Prozent der Marktkapitalisierung aus.

Doch echte Sorgen muss man sich um die taiwanesischen Technologieunternehmen erst machen, wenn die Gewinne bei Apple nicht mehr sprudeln. Schließlich machen wichtige Gesellschaften wie Hon Hai Precision, Catcher, TPK oder Radiant 50 Prozent und mehr ihrer Umsätze mit dem US-Konzern. Deshalb ist es gut, dass Apple derzeit weiter auf Wachstumskurs gesehen wird.

Als Kursbremse könnte sich zunächst allerdings die Politik erweisen. Im Januar 2016 stehen Wahlen an. Urnengänge sorgen wegen des schwierigen Verhältnisses zu China immer für etwas Unbehagen. Taiwan hat sich 1949 zwar von China abgespalten, das Reich der Mitte hat die Unabhängigkeit aber nie anerkannt. Daher ist jede Annäherung hochpolitisch und äußerst diffizil. Das gilt auch für eine mögliche engere Handelsverknüpfung mit der Börse in Shanghai. Es bleibt abzuwarten, ob Taiwan noch vor den Wahlen einem solchen Abkommen zustimmen wird. Welche Kraft davon ausgehen kann, zeigte sich bereits im April: Der Vorstoß in Richtung 10 000 Punkte ging nicht zuletzt auf die Meldung zurück, dass China eine Verzahnung der beiden Börsen durchaus in Betracht ziehe.

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Schnäppchenmarkt Taiwan

Ein ähnlicher Deal zwischen Shanghai und Hongkong hatte an diesen Handelsplätzen für Kursgewinne gesorgt. Im Vergleich dazu sind Aktien aus Taiwan inzwischen günstig geworden. Die Bank Nomura beziffert das Kurs-Gewinn- Verhältnis (KGV) auf Sicht der kommenden zwölf Monate auf 13. Auch gemessen am langfristigen KGV von durchschnittlich 14,1 stimmt die Bewertung. Das ist auch deshalb moderat, weil Nomura für 2015 und 2016 mit Gewinnsteigerungen von durchschnittlich 11,4 und 7,7 Prozent rechnet. Die Eigenkapitalrendite liegt mit 12,9 Prozent über dem langfristigen Schnitt von 10,1 Prozent. Anleger können mit einem ETF auf den MSCI-Taiwan-Index auf den Gesamtmarkt wetten. Allerdings bevorzugen wir derzeit Engagements in Einzelwerten. Hintergrund: Im Index ist Taiwan Semiconductor mit über 22 Prozent sehr hoch gewichtet. Den Halbleiterhersteller hatten wir in Ausgabe 42/14 zwar als kaufenswert eingestuft. Aktuell liegt der Titel mit 40 Prozent im Plus, doch jüngst korrigierte er um fast zehn Prozent. Denn es scheint möglich, dass Samsung Electronics dem Unternehmen wichtige Apple- Aufträge wegschnappt. Bis das geklärt ist, raten wir dazu, die Aktie unter Beachtung des leicht erhöhten Stop-Loss-Kurses zu halten, aber nicht neu zu kaufen - trotz der günstigen Bewertung und der Dividendenrendite von fast zwei Prozent.

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Interessante Einzelwerte

Andere Aktien sind aber mindestens ebenso attraktiv bewertet. Bei Advanced Semiconductor Engineering, einem Anbieter von Halbleiterfertigungsdiensten für Montage und Tests, sowie beim Halbleiterproduzenten Silicon Motion Technology stimmen nicht nur die Chartbilder. Auch die KGVs liegen jeweils unter den erwarteten Gewinnwachstumsraten von rund 20 Prozent. Noch besser schneidet Siliconware Precision Industries ab. Der Halbleiterhersteller dürfte in den kommenden Jahren ebenfalls mit 20 Prozent jährlich wachsen. Auch hier liegt das KGV darunter. Zusätzlich winkt bei diesem Titel eine attraktive Dividendenrendite von 3,0 Prozent.



Charttechnisch ein wenig aus der Reihe fallen AU Optronics und Hon Hai Precision, weil hier kein überzeugender langfristiger Aufwärtstrend existiert. Doch seit Ende 2013 befindet sich die Notiz von AU Optronics auf Erholungskurs. Kürzlich wurde der langjährige Abwärtstrend überwunden. Für den Hersteller von LCD-Flachbildschirmen spricht außerdem das niedrige Kurs-Buchwert-Verhältnis von 0,7.

Hon Hai Precision hat es noch nicht geschafft, den Abwärtstrend zu knacken, doch auch hier geht es langsam aufwärts. Bei dem Apple-Zulieferer und Auftragshersteller von Elektronik- und Computerteilen scheinen viele Risiken in der moderaten Bewertung bereits berücksichtigt zu sein.

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