Das Urteil überschattet das mit Spannung erwartete Spitzentreffen in Berlin kommende Woche, wo genau so eine Lösung auf freiwilliger Basis erarbeitet werden soll.

Ziel ist es zu verhindern, dass auch andere Städte in Deutschland Fahrverbote verhängen. Der Stuttgarter Richter Wolfgang Kern betonte jedoch: "Die Nachrüstlösung ist vom Wirkungsgrad her nicht gleichwertig." Die Gesundheit der Bevölkerung habe Vorrang vor den Rechten der Autobesitzer.

In der Automobilindustrie stieß das Urteil wie erwartet auf Kritik. "Grundsätzlich sind Fahrverbote keine Lösung", erklärte Daimler, Platzhirsch in Stuttgart. Dadurch würden Wirtschaft, Handel und Pendler beeinträchtigt. Der Branchenverband VDA betonte, es gebe bessere Lösungen, um die Luftbelastung in Ballungsräumen zu verringern. Dies könne etwa durch die Vermeidung von Staus und die Förderung alternativer Antriebe und Mobilitätsangebote erreicht werden. Der VDA erwartet, dass der Diesel-Gipfel die Verunsicherung der Verbraucher beenden kann. Der Verband rechnet zudem damit, dass das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bei einer Revision zu einem anderen Ergebnis kommen könnte als das Stuttgarter Gericht. Eine Entscheidung dort dürfte sich nach Meinung von Experten allerdings länger hinziehen.

Auch die Bundesregierung demonstrierte zunächst Gelassenheit. Verkehrsminister Alexander Dobrindt kann nach eigenem Bekunden im Stuttgarter Diesel-Urteil keine Festlegung auf künftige Fahrverbote ausmachen. "Das Gericht hat erstmal festgestellt, dass der Luftreinhalteplan für Stuttgart nachgebessert werden muss", sagte der CSU-Politiker am Freitag in Berlin.

DIE UMWELTHILFE FEIERT



Mehrere Hersteller haben bereits Nachbesserungen durch ein Software-Update angekündigt. Das Verwaltungsgericht Stuttgart kam nun aber zu dem Schluss, dass nur ein umfassendes Fahrverbot für ältere Dieselautos und auch Benziner die Luftverschmutzung in der Landeshauptstadt "schnellstmöglich" genug eindämmen könne. Das Gericht gab damit einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) statt.

"Wir haben uns vollumfänglich durchgesetzt", sagte DUH-Chef Jürgen Resch. "Es ist nicht mehr zulässig, die Luft in unseren Städten mit giftigen Dieselabgasen zu verschmutzen." Die Autoindustrie müsse jetzt Dieselautos nicht nur wie angekündigt per Software-Update, sondern durch einen teureren Motorenumbau sauberer machen - und zwar auf eigene Kosten. Das Land hatte die noch gar nicht beschlossene Nachrüstung von Diesel-Autos in letzter Minute in das Verfahren eingebracht. Doch dem Richter war die damit mögliche Reduktion giftiger Stickoxide um maximal neun Prozent in Stuttgart nicht genug.

Ob das Diesel-Fahrverbot unausweichlich ist, wie DUH-Chef Resch sagte, bleibt indes abzuwarten. Es kann nur rechtskräftig werden, wenn die Landesregierung dagegen keine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht einlegt. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums erklärte, die Landesregierung müsse das schriftliche Urteil erst prüfen, bevor sie entscheiden könne, ob und wann ein Fahrverbot eingeführt werde oder ob sie nach Leipzig gehe. Dort liegt schon ein Rechtsstreit der DUH und Nordrhein-Westfalens um Fahrverbote vor. Ein Urteil wird erst im kommenden Jahr erwartet. Nach Ansicht des Stuttgarter Richters ist ein Verbot ab dem 1. Januar 2018 auf Basis bestehender Gesetze möglich.

VERUNSICHERUNG AUF BREITER FRONT



"Wir brauchen jetzt ein verbindliches, umfassendes, wirksames und nachprüfbares Nachrüstprogramm auf Kosten der Hersteller", forderte Grünen-Chef Cem Özdemir. Die umweltpolitische Sprecherin der CDU-CSU-Bundestagsfraktion Marie-Luise Dött setzt weiterhin auf die Diesel-Nachrüstung als Lösung. "Ich bin zuversichtlich, dass auf dem Autogipfel in der nächsten Woche entsprechende Entscheidungen fallen."

Allein schon die Diskussion über Fahrverbote hatte die Diesel-Nachfrage in Deutschland stärker sinken lassen als der VW-Dieselskandal um Abgasmanipulation. Die Autoindustrie kämpft dennoch für den Selbstzünder, in den sie Milliarden investiert hat. Inzwischen stehen mehr als ein Dutzend Großstädte vor dem Problem, unter dem Druck von DUH-Klagen und einem Sanktionsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland für das Einhalten der Grenzwerte sorgen zu müssen. Ältere Diesel-Pkw sind für einen großen Teil der gesundheitsschädlichen Abgase verantwortlich. Das Grün-Schwarz regierte Baden-Württemberg hatte als erstes Bundesland wegen der DUH-Klage Fahrverbote Anfang des Jahres angekündigt, hoffte diese aber dann durch eine freiwillige Nachrüstung von Diesel-Pkw durch die Autoindustrie zu vermeiden.