In seinem Stammwerk in Wolfsburg muss Volkswagen immer wieder die Bänder anhalten. Daher können nicht so viele Autos gebaut werden wie geplant, die ausgefallene Produktion müssen die Beschäftigten an Wochenenden nachholen. "Mehrarbeit ist inzwischen an der Tagesordnung und einiges davon ist vollkommen unnötig", klagte ein Bandarbeiter. Den Grund dafür sieht der Mitarbeiter im Karosserierohbau in hausgemachten Fehlern: "Das Management redet über Einsparungen, dabei sollten sie erstmal ihre eigenen Hausaufgaben machen", fordert er. Experten bemängeln, dass VW auch zwei Jahre nach der Einführung der siebten Generation des Golf das neue Produktionssystem noch immer nicht im Griff hat.

VW führt gerade mit gewaltigen Investitionen das neue Baukastensystem ein, von dem sich die Wolfsburger hohe Einsparungen erhoffen. Die modulare Technik, durch die verschiedene Fahrzeugtypen mit gleicher Architektur auf einem Band gleichzeitig und somit günstiger produziert werden können, soll Volkswagen den nötigen Schub geben, um Weltmarktführer Toyota zu überflügeln.

Doch die neue Vielfalt hat Tücken. Vom Golf etwa gibt es 14 verschiedene Varianten, darunter der "Sportsvan" und der Elektro-Golf. Zugleich läuft in Wolfsburg nicht nur der neue Bestseller in siebter Generation vom Band, sondern auch immer noch einige Exemplare des Vorgängermodells. Die Vielzahl der Varianten führt im Karosseriebau dazu, dass die Roboter - je nach Modellfolge am Band - die Arbeitsgänge rasch wechseln müssen. Koordiniert wird das von einer Software. Nicht alle Computer sind jedoch so programmiert, dass die Roboter fehlerfrei arbeiten. Das führt oft zu Unterbrechungen - und kostet viel Geld.

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DIE TÜCKEN DER KOMPLEXITÄT

Die Ursache für die Schwierigkeiten in der Golf-Fertigung hat das Management noch nicht gefunden. "Es ist noch nicht ganz klar, warum wir diese Probleme haben", sagte ein VW-Manager. "Bei Audi- und Skoda-Modellen bekommen wir es ja anscheinend auch hin", fügte er hinzu. Bei den beiden Schwestermarken werden ebenfalls Modelle nach dem neuen Baukastensystem gebaut - allerdings ohne nennenswerte Unterbrechungen.

"Es hat den Anschein, als ob die Tücken der Komplexität VW jetzt heimsuchen", sagt Stefan Bratzel. Der Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach glaubt, dass die Erfolge von VW beim Volumenwachstum in den vergangenen Jahren viele Probleme überdeckt haben. "Wir haben zu viel auf einmal gewollt", sagte ein VW-Mitarbeiter. Die Hauptmarke hat die Produktion in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet. Zuletzt liefen bei VW weltweit knapp sechs Millionen Fahrzeuge vom Band, knapp ein Drittel mehr als 2010.

Konzernchef Martin Winterkorn hat die Einführung des Modularen Querbaukastens (MQB) jüngst als Kraftakt bezeichnet. Er rief das Management in einer Brandrede dazu auf, die Ziele des MQB in punkto Kosten, Pünktlichkeit und bei den Produktionsprozessen zu erfüllen. "Seien wir ehrlich: Wir haben in der Produktivität erheblichen Nachholbedarf gegenüber unseren Hauptwettbewerbern", räumte der VW-Chef auch eigene Fehler ein. Winterkorn will die Kosten von VW um fünf Milliarden Euro im Jahr senken. Auf diese Summe sollen die Einsparungen ab 2014 schrittweise steigen und ab 2017 nachhaltig wirken. Details der geplanten Einsparungen wird Winterkorn am Donnerstag vermutlich nicht bekanntgeben. Darüber sollen sich die Manager in den Sommerferien Gedanken machen, bevor das Paket voraussichtlich im Herbst im Rahmen der neuen Strategie "Future Tracks" bekanntgegeben wird.

Die Mitarbeiter wollen keine Kürzungen akzeptieren und verweisen auf das Management. Dieses habe VW schließlich in die schwierige Lage geführt, argumentiert Betriebsratschef Bernd Osterloh. Er unterstützt die von Winterkorn geforderte Kurskorrektur, will sich aber in das angekündigte Programm zur Effizienzsteigerung einmischen. "Das wird kein Spaziergang", kündigte er vergangene Woche auf der Betriebsversammlung an. Schon jetzt sei absehbar, dass es an dem einen oder anderen Punkt auch "richtig krachen" werde. Die bei VW geübte Harmonie könnte schon bald dahin sein.

Reuters