von Markus Müller, Deutsche Bank AG, Frankfurt

Zweifel an der Dynamik des chinesischen Wirtschaftswachstums, eine deutliche Abwertung der chinesischen Währung, Sorgen um die Robustheit der US-Ökonomie, Diskussionen um den Zeitpunkt der ersten US-Leitzinserhöhung seit rund zehn Jahren und weiter fallende Rohstoffpreise: Die Märkte mögen keine Unsicherheit - diese alte Börsenweisheit hat sich in den letzten Wochen einmal mehr eindrucksvoll bestätigt.

Tagesschwankungen in einer Größenordnung von bis zu 1.000 Punkten erfassten - ausgehend von China - zunehmend auch die Aktienmärkte der großen Industrieländer. Die Schwankungstoleranz der internationalen Anlegerschaft wurde auf eine harte Probe gestellt. Nicht wenige, vor allem defensive Investoren hatten kaum eine andere Wahl als angesichts schwindender Risikobudgets und näher rückender Kapitaluntergrenzen die Reißleine zu ziehen. Dem aufkommenden Verkaufsdruck bei chancenorientierten Anlagen stand im saisonal bedingt dünnen Handel zuerst nur geringe Nachfrage gegenüber. Andererseits führte aufkommendes Kaufinteresse oft am gleichen Tag zu ebenso schnellen wie heftigen Bewegungen nach oben.

Inzwischen scheinen sich die Schwankungen etwas zu glätten und die Analysen, inwieweit die stark psychologisch-technisch motivierten Marktbewegungen fundamentale Ursachen haben, sind in Gang gekommen.

Auf Seite 2: Entwarnung von Seiten der makroökonomischen Analyse





Mehrheitlich Entwarnung kommt von Seiten der makroökonomischen Analyse. Das Wachstum in China wird sich abschwächen. Allerdings dürften sich die Abwärtskorrekturen in diesem und im nächsten Jahr auf einige Stellen hinter dem Komma beschränkten. Die Chancen stehen gut, dass die große Zahl vor dem Komma weiterhin eine 6 bleibt.

Dass sich China mit weniger Quantität und mehr Qualität nach vorne bewegen möchte, ist aber nicht wirklich neu. Die politische Einleitung dieses Prozesses liegt schon einige Zeit zurück und wirkt sich nun mehr und mehr realwirtschaftlich aus. In dieses Bild passt auch die Abwertung der chinesischen Währung. Sie ist natürlich einerseits Folge eines schwächeren Wachstums.

Andererseits ist sie das Resultat von Liberalisierungsschritten auf dem Weg zu einer wichtigen globalen Reservewährung. Und sie verbessert die Chancen, über Exporte die schwächere Binnenkonjunktur zu kompensieren.

Damit reiht sich China aber nur in eine Gruppe von Ökonomien ein, die seit geraumer Zeit dasselbe versuchen. Die bis vor wenigen Wochen deutlich sichtbare Schwäche des Euros hat europäischen Exporteuren gute Geschäfte beschert, auch japanische Unternehmen konnten ähnliches berichten. Die sehr solide Unternehmensberichtsaison zum 2. Quartal - auch viele US-Konzerne haben Umsatz und Gewinn weiter gesteigert - scheint aber kaum noch von Interesse zu sein. Ähnliches gilt für das Thema Griechenland, das zumindest für einige Zeit keine Belastung mehr darstellen sollte. Auch weiterhin solide bis robuste Konjunkturdaten auf beiden Seiten des Atlantiks wurden durch die Kursturbulenzen in den Hintergrund gedrängt.

Doch Stimmungsindikatoren wie Einkaufsmanagerindizes, ifo-Index und US-Verbrauchervertrauen geben, wie auch harte Daten vom US-Häuser- und Arbeitsmarkt oder zumindest teilweise aus der Industrie, starke Hinweise darauf, dass die Ökonomien in den USA und der Eurozone auf Wachstumskurs bleiben. Damit dürften die US-Leitzinswende und ein stärkerer US-Dollar auf der Agenda bleiben. Das ist aber - wie die Wachstumsabschwächung in China - keine Überraschung.

Auf Seite 3: Der Kursrückgang ist übertrieben





In der Summe erscheint der heftige Rückgang der Aktienkurse doch deutliche Zeichen einer Übertreibung aufzuweisen. Das bedeutet nicht, dass die Märkte im Umkehrschluss schnell zu alten - oder neuen - Hochs zurückfinden. Sicherlich sind eine eingehendere Analyse und eine stärkere Differenzierung auf Ebene von Währungsräumen, Sektoren und Unternehmen erforderlich. Die Zeiten, in denen billiges Notenbankgeld nahezu alle Anlageklassen nach oben trieb, scheinen zu Ende zu gehen. Dennoch dürften die Zinsen extrem niedrig bleiben.

Und noch etwas ist auffallend an den Kursbewegungen der letzten Wochen: Die Renditen von Anleihen mit hoher Bonität sind - im Gegensatz zu früheren Marktkorrekturen - kaum zurückgegangen. Die Bedeutung von Anleihen, die kaum noch Rendite und nur noch schwache Diversifizierungseffekte erbringen, dürfte weiter auf dem Rückzug sein. Ein Argument, das neben soliden Dividenden und moderaten Bewertungen für Aktien spricht.

Reuters