Der Wolfsburger Autobauer Volkswagen steuert auf eine Welle von Schadenersatzklagen in Deutschland zu. "Wir sind aktuell wegen der Abgas-Manipulation bei VW mit institutionellen Investoren mit einem Forderungsvolumen von über 500 Millionen Euro im Gespräch", sagte Rechtsanwalt Andreas W. Tilp von der Kanzlei Tilp aus Kirchentellinsfurt bei Tübingen gegenüber BÖRSE ONLINE. Er rechne mit weiteren Profi-Investoren, die sich einer möglichen Schadenersatz-Klage in den nächsten Wochen anschließen würden. Zudem hätten sich "bereits über 1000 Privat-Anleger mit einem durchschnittlichen Streitwert von über 20.000 Euro" an die Kanzlei gewandt , sagte Tilp.

Auch andere renommierte Kanzleien bereiten entsprechende Klagen gegen Volkswagen vor. "Wir stehen wegen der Abgas-Affäre in Kontakt mit mehreren institutionellen Investoren, so dass Schadenersatz-Klagen gegen Volkswagen in dreistelliger Millionen-Höhe denkbar sind", sagte etwa Bernd Jochem, Rechtsanwalt bei der Münchner Kanzlei Rotter. Unter den möglichen Klägern seien auch Hedgefonds.

Auch große Fondsgesellschaften könnten Volkswagen ins Visier nehmen. "Wir prüfen derzeit, ob wir juristische Schritte einleiten", sagte etwa Markus Temme, Pressesprecher von Union Investment auf Anfrage. Dazu sei man "als Treuhänder für die uns anvertrauten Anlagegelder auch verpflichtet". Aus Frankfurter Finanzkreisen heißt es, derzeit würden "praktisch alle Fondsgesellschaften" mögliche Schadenersatz-Forderungen prüfen.

Tilp, Jochem sowie weitere Anwälte werfen Volkswagen vor, den Kapitalmarkt zu spät über den Einsatz einer speziellen Steuerungssoftware zur Manipulation von Abgaswerten von Dieselmotoren informiert zu haben. Damit liege ein Verstoß gegen §37b Wertpapierhandelsgesetz vor.

Zudem käme "ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 826 BGB und nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 400 Aktiengesetz in Betracht", erklärte Jochem. Auf diese Normen könnten sich auch Anleger stützen, die ihre Aktien vor dem Bekanntwerden der Insider-Information mit Verlust wieder veräußert haben.

Volkswagen bestreitet die Vorwürfe. "Unsere Rechtsauffassung besagt, dass wir rechtzeitig informiert haben", sagte der neue Konzernchef Matthias Müller in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Die Anwälte zeigten sich zudem zuversichtlich, dass es im Falle der Abgasmanipulation von Volkswagen zu einem Sammelverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) kommen könnte. Die Kanzlei Tilp hatte bereits Anfang der Woche einen entsprechenden Antrag beim Landgericht Braunschweig gestellt.

Voraussetzung für die Eröffnung eines solchen Sammelklage-Verfahrens ist, dass es mindestens zehn Schadenersatzverfahren gibt, die gleichlautende Tatsachen- und Rechtsfragen klären müssen. Im Falle von Volkswagen gibt es zahllose Anleger, die übereinstimmend einen Verstoß von Volkswagen gegen die Publizitätspflicht sehen.

Im Falle von VW müsste das Landgericht Braunschweig zunächst grünes Licht für die Eröffnung eines Musterverfahrens geben. Das Verfahren selbst würde dann vor dem Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig verhandelt.