Herr Dr. Krämer, die FDP hat gestern die Sondierungen über eine mögliche Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP abgebrochen. Wie überrascht sind Sie?


Krämer: Das hat mich grundsätzlich nicht überrascht. Schließlich zogen sich die Verhandlungen quälende vier Wochen hin. Dabei wurde klar, wie weit die Positionen der kleineren Parteien voneinander entfernt sind. Das gilt besonders für CSU und Grüne bei der Flüchtlingspolitik. Das Misstrauen zwischen den potentiellen Jamaika-Partnern war einfach zu groß.

War’s das jetzt mit Jamaika oder erwarten Sie, dass die Liberalen noch mal an den Verhandlungstisch zurückkehren?


Das war eine klare Absage. Ich glaube nicht, dass die FDP noch mal über eine Jamaika-Koalition verhandeln wird. Sie tut alles, um ihr Umfaller-Image loszuwerden.

Kommen jetzt Neuwahlen oder eher eine Minderheitsregierung und damit wachsende politische Unsicherheit?


Heute Nacht fand in Deutschland ein politisches Erdbeben statt. Neuwahlen, Minderheitsregierung - alles ist im Moment möglich. Die politische Unsicherheit ist so hoch wie selten zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber zunächst wird die amtierende Bundesregierung weiter regieren. Solange der Bundestag keine Neuwahl der Bundeskanzlerin ansetzt, bleibt sie im Amt.

Wird Angela Merkel an der Spitze der nächsten Bundesregierung stehen?


Der große Verlierer der Nacht ist Angela Merkel. Sie ist mit ihrer Strategie gescheitert, trotz des Wahlsiegs der AfD dadurch eine Regierungsmehrheit zu bilden, dass sie mit den Grünen eine Partei aus dem anderen politischen Lager in ihr Lager hinüberzieht. Die Autorität der Kanzlerin ist beschädigt. Natürlich könnte sie sich als Kanzlerin einer Minderheitsregierung durchlavieren. Aber irgendwann stehen Neuwahlen an. Es ist zweifelhaft, ob die CDU dann noch einmal mit Merkel in die Bundestagswahl zieht.

Welche Entwicklung erwarten Sie beim Euro?


Der Euro hat gegenüber dem Dollar im asiatischen Handel merklich, aber nicht dramatisch abgewertet. Er fiel er von Niveaus nahe 1,1800 auf unter 1,1740. Das spiegelt vor allem wider, dass sich die deutsche Wirtschaft in einer äußerst robusten Verfassung befindet. Die deutsche Wirtschaft hat so viel Schwung entwickelt, dass sich die zahlreichen, politisch zu lösenden Probleme Deutschlands (schlechte Straßen, Internet, Bildung, Bürokratie etc.) vorerst nicht bemerkbar machen. Ich rechne weiter damit, dass beim Wachstum im kommenden Jahr eine zwei vor dem Komma steht.

Was bedeutet das Scheitern der Gespräche für die Börsen?


Der Dax hat ähnlich wie der Euro nicht stark auf das Scheitern der Jamaika-Gespräche reagiert. Die Anleger wissen, wie robust die deutsche Konjunktur und damit auch die Unternehmen sind. Die Dax-Unternehmen dürften ihre Gewinne trotz der hohen politischen Unsicherheit weiter nennenswert steigern.

Wird das nur ein kurzer Dämpfer oder müssen Anleger sich jetzt auf Schaukelbörsen oder gar auf eine längere Talfahrt einstellen?


Die deutsche Politik ist beileibe nicht der einzige Faktor, der die Börsen treibt. Wenn wir die seit Anfang November andauernde Konsolidierung noch nicht für beendet halten, liegt das weniger an der politischen Unsicherheit in Deutschland, sondern vielmehr daran, dass die Aktienkurse im Herbst einfach zu stark gestiegen waren. Der V-Dax ist im langfristigen Vergleich noch immer niedrig. Aber mit Blick auf das Börsenjahr 2018 bleiben wir optimistisch. Konjunktur und Gewinne laufen. Außerdem wird die EZB an ihrer sehr lockeren Geldpolitik festhalten.