Mit dem offziellen Start des Austrittsprozesses haben das Vereinigte Königreich und die 27 EU-Staaten genau zwei Jahre Zeit, die Bedingungen für den Austritt zu klären. Beide Seiten rechnen mit schwierigen Verhandlungen.



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- Donald Tusk (@eucopresident) 29. März 2017


LÖCHER IM EU-HAUSHALT



Die EU steuert zu den Ausgaben der 28 Mitgliedsländer rund zwei Prozent bei. In Osteuropa ist der Anteil aber höher: In Polen stammen rund acht Prozent des Haushalts aus den Beiträgen der anderen EU-Staaten für Brüssel, in Bulgarien - dem ärmsten Land der EU - sind es fast ein Fünftel. Ohne Großbritannien kann die EU rund ein Sechstel weniger an Empfängerländer wie diese verteilen. Damit ist ein Streit zwischen den reicheren EU-Staaten in Westeuropa und dem Osten programmiert, wenn es um den siebenjährigen Haushaltsplan ab 2021 geht. In den Verhandlungen mit Großbritannien geht es zudem um die Zahlungsverpflichtungen der Briten gegenüber Brüssel. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker taxierte die Summe in der "Financial Times" zuletzt auf etwa 60 Milliarden Euro. Womöglich drohen die Briten mit der Kürzung von Mitteln für den laufenden Haushalt, wenn sich die Gespräche über die Schlussrechnung festfahren.

MACHTBALANCE GERÄT AUS DEN FUGEN



Mit dem Abschied Großbritanniens steigen die Sorgen von kleineren EU-Staaten wie den Niederlanden oder Dänemark, die sich bei Themen wie Freihandel oder Haushaltsdisziplin mit der Regierung in London auf einer Seite sehen. In Osteuropas Hauptstädten gibt es die Sorge, dass Deutschland und Frankreich die EU gegenüber den Nationalstaaten stärken wollen oder selbst Barrieren gegen Arbeitnehmer aus einkommensschwächeren Ländern errichten. Die Länder des Westbalkans verlieren mit den Briten wiederum einen ihrer Fürsprecher für einen EU-Beitritt. Die 19 Staaten der Euro-Zone haben zugleich im Rat eine noch größere Mehrheit gegenüber den Nicht-Euro-Staaten, wenn die Briten gehen und können damit eine Politik zugunsten der Gemeinschaftswährung durchdrücken.

Militärisch neigt sich die Balance Richtung Frankreich, das mit dem Abschied der Briten einzige Atommacht innerhalb der EU und einziges permanentes Mitglied im UN-Sicherheitsrat ist. Wirtschaftlich wiederum erhöht sich das deutsche Gewicht deutlich, da sich Frankreich nur langsam erholt. Am deutsch-französischen Tandem dürfte in Zukunft jedenfalls noch weniger vorbeiführen als bisher.

EU VERLIERT IN WELT AN EINFLUSS



Großbritannien war für die Kontinentaleuropäer stets eine wichtige Brücke zu den USA. Die diplomatische und militärische Präsenz der Briten in der Welt - auch wenn diese unter Mays Vorgänger David Cameron schon abnahm - kam der EU zugute. Die harte Linie der Londoner Regierung gegenüber Russland hat vor allem Polen und den baltischen Ländern Rückendeckung gegeben. Der weichere Ansatz von Frankreich, Italien und teilweise auch Deutschland schürt dort die Sorge, dass die Wirtschaftssanktionen gegen Russland nicht mehr lange aufrecht erhalten werden können.

TABUBRUCH EU-AUSTRITT ALS VORBILD FÜR ANDERE?



Die 27 verbleibenden EU-Staaten haben zuletzt in Rom ihre Einigkeit betont, mit der sie dem Brexit-Schock begegnen wollen. Diese Einigkeit dürfte in den Verhandlungen mit der Londoner Regierung früh auf die Probe gestellt werden. In Brüssel wird zudem befürchtet, dass andere EU-Staaten zwar nicht dem britischen Beispiel eines Austritts folgen, aber doch damit drohen könnten, wenn ihnen die EU-Politik nicht passt.

WIEDERERSTARKEN FRANZÖSISCHER EU-KULTUR?



Für Brüssel bedeutet der Brexit im gewissen Umfang ein "brain drain", also die Abwanderung hochqualifizierter Mitarbeiter aus den EU-Institutionen ins Königreich. Zwar sind längst nicht so viele Briten dort tätig wie etwa Deutsche oder Franzosen, ein Verlust an Kultur und Wissen bleibt trotzdem. Vor allem kleine EU-Länder schätzen den eher lockeren Umgang der Briten mit EU-Fragen und fürchten die Zunahme von Regulierung durch die eher zentralistisch eingestellten französischen EU-Beamten. Trotz anderer Hoffnungen in Paris dürfte Englisch der EU als eine der Amtssprachen aber erhalten bleiben, da die nord- und osteuropäischen Länder mit dem Französischen traditionell fremdeln.

rtr