Martin Smura, Chef der Luxushotel-Gruppe Kempinski, über Urlaub fern der Großstadt, Duschen und warum Berlin ein Tal der Tränen ist. Von Markus Hinterberger

€uro: Herr Smura, wird Corona das Reisen oder die Reisegewohnheiten weltweit verändern?

Martin Smura: Davon muss man ausgehen. Momentan suchen Reisende eher erdverbundene Ziele, die sie per Auto oder Bahn bequem erreichen können. Resort Hotels in den Bergen und fernab von großen Städten, wie zum Beispiel unser Kempinski-Hotel in Berchtesgaden, liegen im Trend.

In die Metropolen will also niemand mehr?

Doch schon - die Hotels sind nicht leer, aber verglichen zum Vorjahr sind es viel weniger Gäste. Auch Langstrecke fliegt kaum einer.

Bleibt das auf absehbare Zeit so?

Ich halte das für sehr wahrscheinlich. Aus meiner Sicht ist diese Tendenz jedoch nicht nur Corona-bedingt, sondern entspricht auch gerade bei jüngeren Leuten dem Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit. Aktiv- oder Wanderurlaube, Fahrradtrips, Familienurlaube mit Kindern und Großeltern sind im Kommen. Ziele wie der Schwarzwald erleben gerade eine Renaissance.

Wie sieht es bei Fernreisen aus?

Die nächsten 18 Monate sehe ich diesbezüglich skeptisch.

Rechnen Sie damit, dass sich der weltweite Tourismus auf Sicht von fünf bis zehn Jahren wieder erholt?

Mit Sicherheit - der Tourismus ist eine der zukunftsträchtigsten Branchen.

Mussten Kempinski-Hotels in den vergangenen Monaten zeitweise schließen?

Wir hatten grundsätzlich den Anspruch, offen zu bleiben. Wenn die Regierung den Betrieb untersagt oder der Besitzer des Hotels uns nahegelegt hat, das Hotel zu schließen, haben wir dies natürlich umgesetzt. Zu einem gewissen Zeitpunkt waren rund die Hälfte unserer Hotels geschlossen.

Entwickeln Sie Pläne, wie sie neuerlichen Lockdowns begegnen?

Wir sind zum Teil noch im Lockdown, etwa in Havanna. Die Kunst ist es, einerseits im Lockdown die Kosten im Griff zu behalten und andererseits eine klare Strategie für das Hochfahren des Betriebs nach Ende des Lockdowns zu haben. In dieser Situation gibt es zahlreiche Ungewissheiten. Es wird immer zwei Schritte vor und dann wieder einen Schritt zurück gehen.

Geschäftsreisen finden praktisch nicht mehr statt, inwiefern trifft Sie das?

Die komplette Branche hat schwer zu kämpfen. Geschäftsreisen sind auf ein Minimum reduziert, Konferenzen und Events abgesagt. Wir werden 70 bis 75 Prozent des Umsatzes im Vergleich zum Vorjahr einbüßen.

Bei den Geschäftskunden oder insgesamt?

Insgesamt.

Gewinne machen Sie da keine.

Im Gegenteil. Wir werden deutliche Verluste erleiden.

Wie lange könnten Sie das durchstehen?

So lange es nötig ist. Nein, Spaß beiseite. Wir sind ein eher konservatives Unternehmen und haben für schwierige Zeiten Rücklagen gebildet. Aber es ist, wie man so schön sagt, herausfordernd. Im Wesentlichen managen wir Hotels gegen eine Gebühr und sind mit den Besitzern der Hotelimmobilien im ständigen Austausch, wie wir diese Zeit gemeinsam durchstehen. Es geht uns hier wie den Fluggesellschaften: Den Sitzplatz im Flieger, den Sie heute nicht verkaufen können, werden Sie morgen nicht doppelt los. Mit Hotelbetten ist es genauso.

Müssen vielleicht einige Kempinski-Hotels für immer geschlossen werden?

Das Schließen von Hotels überlasse ich lieber anderen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir diesen Schritt nicht gehen müssen.

Kempinski steht für Luxus, nun ist das Verständnis für Luxus nicht nur rund um den Globus, sondern oft auch innerhalb einer Familie sehr unterschiedlich, was tun Sie, dass es für alle passt?

Wir wollen niemanden belehren, was Luxus ist oder was er für Luxus zu halten hat. Dafür sind Menschen, wie Sie es schon erwähnt haben, zu unterschiedlich. Und das ist auch gut so. Wir versuchen, den Nerv des Gastes zu treffen, was oft auf einer Ebene geschieht, die nicht auf den ersten Blick sichtbar ist.


Haben Sie da ein Beispiel?

Kempinski-Gäste schlafen in hochwertigster Bettwäsche aus ägyptischer Baumwolle und in Betten, in denen sie morgens erholt aufwachen. Luxus, den man spürt, aber über den man nicht aktiv nachdenkt.

Nun heißt Luxus im eigentlichen Wortsinn auch Verschwendung. Wie passen Luxus und Nachhaltigkeit zusammen?

Das ist die Übersetzung aus dem Lateinischen, und wohin der Luxus der Römer am Ende geführt hat, wissen wir ja alle … Ich finde, dass Luxus und Nachhaltigkeit sich nicht ausschließen müssen. Wissen Sie, was für mich zum Beispiel Luxus ist?

Nein, aber sagen Sie es mir bitte.

Eine Dusche mit ordentlichem Wasserdruck.

Jetzt bin ich gespannt, wie Sie nun zum Thema Nachhaltigkeit zurückkommen.

Sicher, mehr Wasserdruck bedeutet mehr Verbrauch. Aber wir rüsten nach und nach unsere Hotels mit Konzepten aus, mit denen Brauchwasser wiederverwertet oder aufbereitet, Strom gespart oder selbst erzeugt werden kann und vieles mehr, um sicherzustellen, dass wir beide Themen verbinden können. Unser Markenbotschafter Nico Rosberg, der selbst stark im Thema Umweltschutz engagiert ist, gibt uns da gute Ratschläge und ist zudem ein konstruktiver Kritiker.

Vergangenen Herbst haben Sie eine Kooperation mit 12.18, einer Gesellschaft, die Hotels entwickelt und baut, geschlossen. Bis 2022 wollen Sie gemeinsam 20 neue Hotels eröffnen. Macht Ihnen die Pandemie gerade einen Strich durch die Rechnung?

Keineswegs. Das Konzept "7Pines", das größtenteils auf Resorts setzt, liegt voll im Trend.

… und ist willkommen, um Kempinski jünger zu machen.

Ja, ja, die "alten" Kempinski-Kunden. Das ist so ein Klischee, an das ich auch beinahe geglaubt hätte. Wissen Sie, wie hoch das Durchschnittsalter unserer Gäste ist?

Nein, aber Sie sagen es mir sicher gleich.

43 Jahre. Ich war selbst überrascht. Aber ich gebe ihnen recht: "7Pines" kommt jünger, entspannter und lebhafter daher. Es gibt Strandbars, DJs und mehr.

Vom Vier Jahreszeiten in München abgesehen, gehört keines der Kempinski-Hotels dem Unternehmen. Als Sie vor rund einem Jahr als neuer Vorstandschef angetreten sind, sagten Sie, Sie wollen das ändern. Wie kann ich mir das vorstellen?

Wir suchen Immobilien, die wir gemeinsam mit Partnern entwickeln.

Haben Sie schon konkrete Ziele?

Wir verhandeln derzeit über einige Gebäude, aber noch ist nichts spruchreif.

Momentan dürfte die eine oder andere Hotelimmobilie günstig zu haben sein.

Das stimmt, doch für den idealen Deal fehlt meist eine Zutat. Bislang hatten wir traumhafte Finanzierungsbedingungen, aber es gab kaum Angebote. Nun gibt es wieder mehr Angebote, aber Banken geben Ihnen weniger leicht Geld.

War es ein Fehler Ihrer Vorgänger, in den 90ern viele Immobilien zu verkaufen?

Aus heutiger Sicht ja, denn so haben wir Häuser wie das Atlantic in Hamburg und das Bristol in Berlin verloren. Damals waren diese Verkäufe für den Eigentümer lukrativ.

Wären Sie manchmal gern Chef eines börsennotierten Unternehmens?

Nein. Ich will nicht auf Biegen und Brechen ein Geschäft machen müssen. Zudem fühle ich mich wohl mit unseren Investoren. Sie sind langfristig mit uns verbunden und Teil der Familie. Aber warum fragen Sie?

Weil große Hotelketten wir Accor oder Marriott sich bei Eigentümern von Hotels mit Millionensummen in Managementverträge einkaufen können.

Das ist in einer Zeit, in der viele Leute Liquidität benötigen, keine gute Entwicklung für uns und wir haben aus diesem Grund auch schon Hotels verloren.

Also doch lieber Geld vom Kapitalmarkt?

Kaufen Sie sich gern Arbeit? Ich nehme einmal an, nicht. Mit solchen Antrittsprämien verhält es sich ähnlich.

Wo sehen Sie Kempinski in zehn Jahren?

Als die führende Luxushotelmarke der Welt mit 150 Häusern rund um den Globus.

Sie wollen also die Zahl der Hotels fast verdoppeln. Welche Städte oder Regionen brauchen denn ein Kempinski-Hotel?

Meine Wunschliste ist lang: In New York sind wir bald zum ersten Mal in unserer über 120-jährigen Geschichte vertreten - ein zweites Hotel ist in Planung. In Paris stehen wir kurz vor dem Abschluss eines Betreibervertrags, in Brüssel haben wir gute Karten, bald eines der führenden Häuser zu managen. Dann würde ich gern Hotels in wichtigen Städten wie London, Rom oder Madrid sowie in Afrika und Südamerika eröffnen.

Ich habe kurz vor unserem Gespräch geschaut, was es kosten würde, heute in Berlin im Adlon zu übernachten. Das günstigste Zimmer kostet dort 280 Euro. Verdienen Sie bei solchen Preisen Geld?

Man muss dazu wissen, dass das Adlon als das führende Haus Berlins schon immer höhere Preise erzielen konnte als andere Hotels. Generell ist der Berliner Hotelmarkt, gerade im Luxusbereich, ein Tal der Tränen. Was Sie hier verdienen, nötigt manchem Betreiber in London oder Paris nicht mal ein müdes Lächeln ab.

Aber für den Gast ist Berlin traumhaft.

Sicher! Da kann ich nur Werbung für Berlin machen. Was Sie in London für eine Nacht zahlen, reicht hier für zwei Nächte.

 
VITA

Martin Smura leitet seit 2019 die Kempinski-Gruppe. Zuvor war der gebürtige Ludwigshafener unter anderem Aufsichtsratschef der Dorint- Gruppe und Chef der Holding des Berliner Hotels Adlon. Seine berufliche Laufbahn startete er allerdings nicht in einer Hotelfachschule, sondern in der Küche. Mit 15 schmiss Smura die Schule und begann eine Kochlehre, die er als Jahrgangsbester in Baden-Württemberg abschloss. Danach zog es ihn zum Studium in die USA sowie zu verschiedenen Hotelketten und Immobilienunternehmen. Der 51-Jährige ist verheiratet und hat vier Kinder. Die Familie lebt in der Schweiz. Seine Frau Kateryna ist selbst Hotellière und führt ein Familienunternehmen, zu dem unter anderem der traditionsreiche Landgasthof Karner im oberbayerischen Frasdorf gehört.


123 Jahre Luxus

1897 gründete der Weinhändler und Gastronom Berthold Kempinski in Berlin die Kempinski Hotelbetriebs- Aktiengesellschaft. Sein Schwiegersohn Richard Unger übernahm nach dem Ersten Weltkrieg einige Berliner Hotels wie etwa das luxuriöse Vaterland am Potsdamer Platz. In der NS-Zeit emigrierte Unger in die USA, der Betrieb wurde arisiert. In den 50ern startete sein Sohn Friedrich wieder durch und hatte bald mehrere Luxushotels wie etwa das Bristol in Berlin oder das Atlantic im Portfolio. Heute betreibt Kempinski weltweit 76 Luxushotels wie etwa das Adlon in Berlin. Die Hauptanteilseigner sind das Königreich Bahrain und das thailändische Herrscherhaus.


Alle Bilder: Axel Griesch für €URO