€uro fondsxpress: Herr Longchamp, wie viele Hilfspakete für Griechenland werden wir noch sehen?
Yves Longchamp: Nicht mehr viele. Die ersten wurden ja nicht umgesetzt - zumindest was die Reformen angeht. Und das jetzt ausgehandelte dritte Paket ist so einfach nicht implementierbar. Die Sparmaßnahmen sind so hart, dass die Bevölkerung da nicht mitmachen wird.

Kommt es also doch bald zu einem Grexit?
Einen schnellen Austritt Griechenlands aus der Eurozone halte ich für sehr unwahrscheinlich. Es bestand bisher von Seiten der griechischen Regierung schlicht keine Zeit, eine solch gewaltige organisatorische und logistische Operation vorzubereiten. Daher auch die schlechte Verhandlungsposition von Tsipras bei den Gesprächen in Brüssel. Die andere Seite hatte mit einem Grexit viel weniger Probleme - die Finanzmärkte blieben ja sehr gelassen.

Aber wenn man sieht, wie nahe die Verhandlungen am Scheitern waren, ist in den nächsten Monaten doch auch ein zufälliger, ungewollter Grexit möglich - wenn die Emotionen hochkochen. Was würde bei einem Graccident passieren?
Erst einmal wäre das natürlich schon ein Schock für die Finanzmärkte. Aber nur ein kleiner. Die großen Risiken bei einem Zahlungsausfall liegen ja mittlerweile bei den europäischen Steuerzahlern. Und für die Realwirtschaft ist Griechenland kein großes Thema. Mit einem Anteil von gerade einmal zwei Prozent an der Gesamtwirtschaftsleistung der Eurozone ist das Land einfach zu klein, um wirklich große Schockwellen zu verursachen.

Was sind denn die Lehren, die man aus der gescheiterten Griechenland-Politik ziehen kann?
Man sieht eindeutig, dass eine Währungsunion, die nur auf Regeln aufgebaut ist, nicht funktionert. Das hat man jetzt wirklich an jeder Stelle der Misere beobachten können. Der Grund: Die nötigen Anpassungen von Ländern mit großen Leistungsbilanzdefiziten sind zu groß. Die interne Abwertung ist zwar theoretisch ein Weg wieder wettbewerbsfähig zu werden, wenn man keine externe Abwertung mit einer eigenen Währung machen kann. Aber die Schmerzen sind einfach zu groß. Wenn die Leute ihren einmal erreichten Lebensstandard nicht aufgeben wollen, ist Austerität politisch einfach nicht durchzusetzen.

Das hört sich nach dem Auseinanderbrechen der Währungsunion an.
Nicht unbedingt. Ich würde sagen: Die eigentliche Eurokrise fängt jetzt an, und das ist gut so. Jetzt wissen wir, was nicht funktionert, nun kann man ehrlich über einen anderen Weg reden. Und der kann nur heißen: Mehr Europa, mehr politische Unione, mehr Abgabe von Souveränität - Frankreichs Ministerpräsident Hollande hat ja bereits eine Wirtschaftsregierung für die Eurozone gefordert.

Das bedeutet aber dann auch eine Transferunion, bei der Länder wie Deutschland jedes Jahr mehrere Milliarden an wirtschaftlich schwächere Länder überweisen. Glauben Sie wirklich, die deutschen, niederländischen und österreichischen Wähler sind dazu bereit?
Ich bin da nicht so pessimistisch. Man muss ja die Alternative klar benennen: Das Auseinanderbrechen der Eurozone mit all ihren Folgen.

Während die Politik Kapriolen schlägt, entwickelt sich die Konjunktur - außer in Griechenland - in der Eurozone ja ganz gut, oder?
Das ist richtig. Gerade aus den großen Ländern Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien sind die letzten Zahlen ermutigend. Der Binnenkonsum steigt wieder. Das beste Beispiel ist der Automarkt, wo die Verkaufszahlen in der gesamten Eurozone im Juni beispielsweise 15 Prozent über dem Vorjahresmonat lagen. In Krisenländern wie Spanien und Portugal lagen die Wachstumraten sogar noch höher. Hier herrscht nach den vielen Jahren des Sparens einfach ein enormer Nachholbedarf. Irgendwann muss man sein altes Auto gegen ein neues Modell tauschen.

Kann sich Europa allein auf Konsum verlassen?
Natürlich nicht. Muss es aber auch nicht. Auch bei der Investitionstätigkeit sehe ich positive Signale. Hier reden wir zwar noch von keinem Boom. Aber die Schrumpfung ist gestoppt und wir erleben eine langsame Erholung. Mit dem niedrigen Euro-Kurs sollten auch die Exporte Rückenwind bekommen und weil der Ölpreis in der zweiten Jahreshälfte 2014 so einbrach, bekommen wir im zweiten Halbjahr dieses Jahres über den Basiseffekt wieder positive Inflationsraten. Die Deflationsangst Ende 2014 und Anfang 2015 ist gebannt.

Das klingt alles sehr positiv. Ist die Eurozone dank der Lockerung der EZB im Januar endlich auf dem Wachstumpfad angekommen?
Wir sind optimistisch, bleiben aber vorsichtig. Denn trotz der positiven Zahlen: Der Aufschwung ist noch sehr fragil. Ein Schock von außen kann die Wirtschaft in Europa immer noch sehr hart treffen.

Ist das in den USA anders? Hier stehen ja bald höhere Zinsen an.
Tatsächlich ist das Output-Gap in den USA geschlossen, also ist es kein Wunder, dass die Fed die Zinsen anhebt. Wir erwarten aber keine raschen Erhöhungen in der Folge. Wahrscheinlicher ist, dass Janet Yellen ruhig und gleichmäßig die Zinsen anzieht. Sie muss auch die positive Geschichte am Markt verkaufen, dass die Fed alles unter Kontrolle hat. Da wären überraschende Abweichungen von diesem Pfad - nach oben und unten - nicht förderlich. Gegen schnelle Zinserhöhungen, die auch die Aktienmärkte negativ beeinflussen würden, spricht auch der Dollar-Kurs. Erhöht die Fed zu schnell, geht der Dollar angesichts der lockeren Geldpolitik rund um die Welt durch die Decke. Das könnten die USA nicht verkraften.

Wie beurteilen Sie das globale Makroumfeld für Aktien und Anleihen?
Mit ein bisschen Inflation, ein bisschen Wachstum und weiter niedrigen Zinsen ist es ein Umfeld, das mehr Potenzial für Aktien als für Anleihen bietet. Momentan gibt es mit der Eurokrise und den geopolitischen Spannungen und den Sorgen rund um die Zinserhöhung in den USA noch genügend Probleme und keine Euphorie. Auch das spricht für Aktien.