Frau Thu, im Jahr 2000 beliefen sich ausländische Direktinvestitionen in Vietnam auf 2,4 Milliarden US-Dollar. 2014 waren es bereits 12,3 Milliarden. Warum kommen Unternehmen wie Intel oder Samsung nach Vietnam?
Vietnam verfügt über eine ganze Reihe von Investitionsanreizen, nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Anleger. Unter anderem ist das Land reich an Bodenschätzen wie Erdöl, Erdgas und Eisenerz. Hinzu kommt eine sehr günstige geografische Lage, die großen Märkte China und Indien sind nicht weit weg. Ausländische Unternehmen schätzen vor allem die niedrigen Löhne Der durchschnittliche Monatslohn beträgt 200 US-Dollar. Im Nachbarland China beispielsweise haben die Löhne in den vergangenen Jahren dagegen stark angezogen und fallen mittlerweile mehr als doppelt so hoch aus wie in Vietnam.

Die Lohnunterschiede steigen weiter?
Ja. Prognosen zufolge werden im Jahr 2020 die Arbeitskosten in China um rund 170 Prozent höher ausfallen als in Vietnam. Ausländische Unternehmen kommen aber auch ins Land, weil sie hier hoch motivierte und gut ausgebildete Arbeitskräfte finden. Zwar gibt es noch Unterschiede etwa auf technologischem Gebiet, doch wir holen schnell auf. Meiner Meinung nach werden sich künftig noch mehr Unternehmen aus China zurückziehen und in Vietnam investieren. Das schafft Jobs, belebt die Binnennachfrage und sorgt für Kursfantasie.

Weist Vietnam auch gegenüber anderen Ländern der Region Wettbewerbsvorteile auf?
Ja. Nicht zuletzt ist Vietnam eines der politisch stabilsten Länder in der Region. Thailand, aber auch andere Staaten wie beispielsweise die Philippinen sind da deutlich krisenanfälliger.

Auf Seite 2: Wachstumsprognose für Vietnam





Das Analysehaus Pricewaterhouse Coopers sagt für Vietnam bis 2050 jährliche Wachstumsraten von 5,3 Prozent voraus. Halten Sie die Zahlen für realistisch?
Ja, sie könnten sogar noch höher ausfallen. Vietnam hat das Potenzial, weltweit eine der schnellst wachsenden Volkswirtschaften zu werden. Dafür spricht nicht zuletzt die Demografie, rund 60 Prozent der Bevölkerung sind im erwerbsfähigen Alter zwischen 16 und 54 Jahren. Auch ist Vietnam mittlerweile vollkommen in die Weltwirtschaft integriert. Seit 2007 ist das Land Teil der Welthandelsorganisation WTO. Vietnam profitiert zudem von seiner Mitgliedschaft in der Asean-Staatengruppe. Bis Ende des Jahres wollen die Länder einen Binnenmarkt schaffen, was den Austausch von Waren und Dienstleistungen in der Region deutlich beleben wird.

Vietnam wird von einer kommunistischen Partei regiert. Betreibt die Regierung dennoch eine marktfreundliche Politik?
Wie in China hat die Kommunistische Partei die Macht, sie stellt die Regierung. Sie hat sich 1986 jedoch zu einem wirtschaftlichen Kurswechsel entschlossen und betreibt seitdem eine zunehmend marktfreundliche Politik. Die auch als "Doi Moi" bezeichnete Öffnung hat Wirtschaft und Währung stabilisiert und einen deutlichen Aufschwung bewirkt. Noch aber bleibt das Land unter seinem Potenzial.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?
Insbesondere die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen noch verbessert werden. Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück, weil sie nicht wissen, ob sie möglicherweise gegen Gesetze verstoßen. Es gibt aber auch sehr ermutigende Entwicklungen. Die Regierung bemüht sich, bürokratische Hindernisse abzubauen und die Ansiedlung von Unternehmen zu beschleunigen.

Auf Seite 3: Welche Faktoren das Wachstum fördern





Integration in die Weltwirtschaft, ausländische Direktinvestitionen, eine junge Bevölkerung, anziehende Binnenachfrage - schlägt sich das auch in steigenden Aktienkursen nieder?
Langfristig ja. Dazwischen gibt es natürlich immer wieder Schwankungen. Von Anfang 2012 bis zum dritten Quartal 2014 hat sich der vietnamesische Leitindex sehr gut entwickelt und rund 70 Prozent zugelegt. Doch an der Börse in Ho-Chi-Minh-Stadt sind zahlreiche Öl- und Gasunternehmen gelistet. Der Sektor litt zuletzt unter den sinkenden Notierungen. Die Anleger trennten sich aber auch von Unternehmen, für die ein günstiger Ölpreis eigentlich ein Vorteil sein sollte. Auch im März erfolgte eine Korrektur. Seit April ziehen die Kurse jedoch wieder an.

Wie viele Unternehmen sind an der Börse gelistet?
Aktuell sind es 678, es waren aber schon einmal über 700. Doch eine ganze Reihe von Unternehmen verfolgte zu ambitionierte Wachstumspläne, ohne über die dafür notwendigen Mittel zu verfügen. Ihr Delisting hat die Risiken für Anleger reduziert. Auch die von der Regierung forcierte Konsolidierung und Stabilisierung im Bankensektor sorgt für mehr Sicherheit. Die Anzahl der an der Börse notierten Finanzwerte soll von derzeit 30 bis zum Jahr 2017 auf 15 reduziert werden. Die Marktkapitalisierung aller notierten Unternehmen beträgt derzeit rund 55 Milliarden Dollar. Das ist im Vergleich zu Thailand und anderen südostasiatischen Märkten zwar geringer, doch der Börsenwert des Finanzplatzes Vietnam wird in den kommenden Jahren sicherlich steigen.

Seit Sommer vergangenen Jahres können deutsche Anleger in den von Ihnen gemanagten Vietnam Emerging Market Fund investieren. Welche Unternehmen sind für Sie interessant?
Wir konzentrieren uns auf Firmen, die in ihrer Branche führend sind, die regelmäßige Cashflows generieren und geringe Schulden aufweisen. Vor allem aber müssen wir vom Management dauerhaft überzeugt sein. Wir besuchen daher die Unternehmen regelmäßig. Unseren Bedingungen entsprechen derzeit rund 100 Unternehmen. Aus diesen suchen wir rund 20 Aktien aus.

Auf Seite 4: Aussichtsreiche Titel





Welches Unternehmen zählt zu Ihren Favoriten?
Zum Beispiel die Masan Group. Das Unternehmen stellt genau die Baumaterialien her, die für das vietnamesische Klima geeignet sind. Der Marktanteil liegt bei 40 Prozent. Masan Group expandiert darüber hinaus in Laos und Kambodscha. Uns gefällt aber auch, wie das Unternehmen Verkaufszahlen der einzelnen Filialen kontrolliert.

Welche Rendite können Anleger erwarten, die in Ihren Fonds investieren?
Unser Ziel ist es, den Index zu schlagen. Eine konkrete Renditezahl möchte ich jedoch nicht nennen.

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Nguyen Hoai Thu

Nguyen Hoai Thu ist Anlagechefin der Investmentboutique Vietnam Asset Management und verantwortet den im Juni 2014 in Deutschland zum Vertrieb zugelassenen Vietnam Emerging Markets (ISIN: LU1042536018). Thu verfügt über elf Jahre Investmenterfahrung, unter anderem arbeitete sie in Singapur als Portfoliomanagerin für asiatische Konsumund Immobilienaktien für die dänische Anlagegesellschaft BankInvest. Sie studierte Betriebswirtschaft an der Universität Singapur.