von Joachim Jakobs, Journalist und Datenschutzaktivist

Künstliche Intelligenz gilt als das "Gold der Zukunft". Vor allem an der Börse wittern viele die nächste Gewinnmaschine. Doch Vorsicht! Der Schuss kann nach hinten losgehen. Immerhin 18 Prozent der Branchenexperten befürchten laut einer Studie der Universität Oxford eine existenzielle Bedrohung, die von der KI ausgehe - nicht nur fürs Finanzsystem, sondern für die gesamte Menschheit. Zu den Schwarzsehern gehören Bill Gates und Elon Musk, Gründer von Microsoft beziehungsweise des Autobauers Tesla, genauso wie der Physiker Stephen Hawking.

Die in Hongkong ansässige Investmentfirma Deep Knowledge hat einen Algorithmus namens Vital mit Stimmrecht in den Vorstand aufgenommen - wegen seiner "Fähigkeit, Markttrends zu erkennen, die für Menschen nicht sofort offensichtlich sind". Ein Durchbruch im Zeitalter der künstlichen Intelligenz! Und das geht jetzt erst richtig los: Der in Cambridge promovierte Tshilidzi Marwala und heutige Professor der Universität Johannesburg mit Schwerpunkt KI sagt: "Je mehr Computerhändler von künstlicher Intelligenz unterstützt werden, umso effizienter werden die Märkte."

Demgegenüber befürchtet Kevin Warwick, Professor an der University of Reading, dies könne im Bereich Datenkriminalität wie ein "Weckruf" wirken: Es sei wichtig zu verstehen, dass eine solche Intelligenz in der Lage sei, einem Opfer einen Sachverhalt als Tatsache vorzugaukeln. So ist es denkbar, dass das Opfer einen Anruf erhält, bei dem die Stimme eines vertrauenswürdigen Anrufers imitiert wird. Unternehmen und Behörden sollen weltweit bereits Millionen Sprechproben gesammelt haben, und Google hält ein Patent auf eine Software, die die Stimme einer Person anhand solcher Sprechproben erlernen kann. Die künstliche Intelligenz Amelia führt nicht nur ein Gespräch, sondern zigtausende zur gleichen Zeit. Also Vorsicht beim Gebrauch von Sprachsteuerungen wie Apples Siri oder Microsofts Cortana.

Auf Seite 2: Warnung vor datenmanipulierenden Algorithmen



Ernest (E.J.) Hilbert, früher Ermittler bei der US-Bundespolizei FBI und heute Direktor für Cyberuntersuchungen beim Sicherheitsberater Kroll, wiederum warnt vor Algorithmen, die Daten manipulieren. Wir sollten überlegen, wer Interesse daran haben könnte, Computerhandel und Börse zu manipulieren: Die NSA beobachtet den internationalen Zahlungsverkehr detailtief - Bürgerrechtler befürchten darüber hinaus, dass die Datensammler außerdem daran interessiert sein könnten, das Finanzsystem zu beeinflussen. Und die Cyberterroristen des Islamischen Staates würden wohl kaum davor zurückschrecken, das Finanzsystem gleich zu "zerstören". Die Folgen der Verwüstung wären wohl umso heftiger, je gewaltiger die den Angreifern zur Verfügung stehenden Waffen der künstlichen Intelligenz sind.

Die Gier der Datensammler scheint sich im Übrigen umgekehrt zur Fähigkeit der Beteiligten zu verhalten, diese sicher aufzubewahren: Kürzlich wurde bekannt, dass Aktienhändler im US-Bundesstaat Texas ihre Fingerabdrücke bei den Behörden abgeben müssen - tags darauf beichtete das Personalamt der US-Bundesregierung, dass ihm Fingerabdrücke von 5,6 Millionen Beschäftigten gestohlen wurden. Wie gewonnen, so zerronnen! Das deutsche Bundeskriminalamt hält die Übertragung der Abdrücke auf Latexhandschuhe für möglich. Durch das dadurch machbare Legen falscher Fährten sind nicht nur die echten Eigner der Fingerabdrücke bedroht - auch den jeweiligen Systemen droht Schaden.

Deswegen brauchen nicht nur Börsen, Händler, Fonds, Banken und Versicherungen, sondern auch Aufsichtsbehörden, Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Softwareentwickler Sicherheits- und Notfallkonzepte, physikalischen Einbruchsschutz, Verschlüsselungen etc. Und die Handelnden benötigen rollenspezifische Bildung - dazu gehören die Entscheider in Politik, Behörden und Wirtschaft sowie die, die auf Basis der Entscheidungen Software entwickeln, implementieren, administrieren oder nutzen.


Im Profil



Joachim Jakobs ist Industriekaufmann und Diplom-Betriebswirt (FH) mit den Schwerpunkten Personalwirtschaft, Unternehmensberatung sowie Betriebsverfassungs- und Datenschutzrecht. Jakobs arbeitete lange für Institute der Fraunhofer-Gesellschaft und der TU Darmstadt. Sein Buch "Vernetzte Gesellschaft. Vernetzte Bedrohungen - Wie uns die künstliche Intelligenz herausfordert" ist soeben im Cividale-Verlag erschienen (ISBN: 978-3-945219-16-4, 21,90 €).