von Robert Halver

Helikopter-Geld ist keine geldpolitische Leibesübung, sondern eine sportliche Verrenkung!



Frisch, fromm, fröhlich, frei! Das war das Motto von Turnvater Jahn, der sich die leibliche Ertüchtigung der Bevölkerung zum Ziel gesetzt hatte. Auch die Vorturner der EZB verfolgen dieses Motto: Mit geldpolitischen Leibesübungen soll die Euro-Konjunktur fit wie ein Turnschuh gemacht werden.

Dabei scheut die EZB auch vor den unkonventionellsten Verrenkungen - für die man im normalen Sportleben zum Chiropraktiker gehen müsste - nicht zurück. In der Pressekonferenz nach der letzten Notenbanksitzung wurde ihr Präsident Draghi gefragt, was er denn von "Helikopter-Geld" halte. Ein früherer Bundesbanker hätte angesichts dieser stabilitätsketzerischen Frage sofort Luftnot bekommen. Aber was antwortet der EZB-Chef auf seine charmant-entspannte Art: "Das ist ein sehr interessantes Konzept". Als er realisierte, was er da gerade gesagt hatte, versuchte er zwar noch den Rückzug: "Die EZB habe sich noch nicht mit dem Konzept beschäftigt". Für Entspannung sorgte dies jedoch nicht. Nein, die Verbindung von "interessant" und "noch nicht" und eben nicht die vehemente Ablehnung dieses Teufelsinstruments haben die Diskussion über die Geldgeschenke via Hubschrauber erst richtig losgetreten.

Und bist du konjunkturell nicht willig, dann schenke ich dir Geld



Bei der EZB muss der Frust wohl riesengroß sein, dass trotz negativer Leitzinsen und einer Überflutung der Eurozone mit Liquidität - als Vorgeschmack auf das Abschmelzen der Polkappen - die Euro-Konjunktur keine konjunkturelle Bewegungsfreude zeigt. Aus panischer Angst vor einer Deflationsspirale wie in Japan denkt die EZB wohl auch über die absurdesten geldpolitischen Leibesübungen nach.

Wenn sich die Bürger an der Konjunktur "versündigen", indem sie ihr Geld sparen, nicht ausgeben und somit nicht für Wirtschaftswachstum und Inflation sorgen, könnte die EZB auf die Idee kommen, sie zu ihrem Konsum-Glück zu zwingen. Sie könnte versuchen, ihre ungläubige Konsumseele mit dem heiligen Geist einer hyperaktiven Geldpolitik zu heilen: Geld in Form von Gutscheinen wird einfach vom Helikopter abgeworfen. Wie bei der Rockband Dire Straits ist es "Money for nothing", geschenktes Geld für nichts, ohne Gegenleistung. Moment, ich muss mich korrigieren. Eine Gegenleistung gibt es da schon: Man darf den Geldgutschein nicht für Sparzwecke missbrauchen, sondern muss ihn tatsächlich verwenden. Ansonsten verfällt er wertlos. Aber mit dieser Auflage könnte wohl jeder gut leben.

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Helikopter-Geld ist in der Theorie nicht neu



Immerhin hat Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman dieses hippe Instrument bereits 1969 in die geldpolitische Debatte gebracht: Wenn die Welt bis Oberkante Unterlippe in Schulden steckt und Preisrückgänge drohen - Ähnlichkeiten mit der Realität sind nicht rein zufällig - darf als Ultima Ratio der Geld-Hubschrauber zur Inflationsbeschleunigung eingesetzt werden. Denn wenn die Konsumenten gemäß der Devise "Geiz ist geil" ihr Geld horten und es heute nicht ausgeben, weil morgen alles billiger wird und es morgen aber auch nicht ausgeben, weil es übermorgen noch billiger ist, kommt eine Volkswirtschaft schnell auf den deflationären Hund. Selbst Ben Bernanke, Vorgänger der jetzigen US-Notenbankpräsidentin Janet Yellen glaubte, dass Hubschraubergeld Japan aus der Deflationsspirale befreien könnte. Seitdem trägt er den Spitznamen Helicopter-Ben.

Was für eine schöne neue heile Konjunktur-Welt



Sollte es tatsächlich Gratis-Geld vom Himmel regnen wie im Märchen leckeren Brei, brauchen die Konsumenten letztlich nur noch einen großen Löffel, um den Brei, also das Geld, aufzunehmen und auszugeben. Die Konsumnachfrage soll dafür sorgen, dass auch noch die letzte Fabrik ausgelastet wird und die Preise schließlich steigen. Endlich hätte man den gordischen Konjunktur-Knoten durchschlagen. Das Geld müsste nicht mehr über den Umweg der Banken in die Realwirtschaft gelangen. Dieser Weg ist ohnehin verbaut, weil Banken die Lust auf Kreditvergabe verloren haben. Aber warum überhaupt Umwege machen? Die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten ist doch ohnehin eine Gerade. Und der kürzeste Geldtransfer ist der direkte Weg zwischen der EZB und seinen Not leidenden Euro Bürgern.

Würden zwischen März 2015 und März 2017 nicht 1,7 Billionen Zentralbankgeld der EZB in Anleihekäufe fließen, sondern direkt an die Euro-Bürger ausgezahlt, käme jeder von uns in den Genuss von ungefähr 5.000 Euro. Kein Staat müsste sich, wie früher bei Konjunkturprogrammen üblich, verschulden. Diese schmutzige Arbeit übernähme die EZB mit selbst gedrucktem Geld. Sie wäre so etwas wie der Durchlauferhitzer der Konjunktur der Eurozone, einer Region in der Milch und Honig fließt.

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Helikopter-Geld stößt die Tore der volkswirtschaftlichen Hölle weit auf



Wäre man naiv, würde man dem Reiz von Helikopter-Geld erliegen. Bitte, bitte nicht! Bringen wir es auf den Punkt: Die "Hubschrauber-Monetisierung" wäre der finale Akt der geldpolitischen Verzweiflung, die totale Bankrotterklärung einer Notenbank. Wenn die EZB nach Lust und Laune Geld verschenkt, ist früher oder später der Vertrauensverlust in die Stabilität des Euros bei null. Eine massive Inflationierung wäre dann der Kollateralschaden, den die Notenbank aber nicht mehr zinspolitisch bekämpfen könnte. Denn dies käme dem kalten Entzug eines Drogenabhängigen gleich: Die Euro-Volkswirtschaft würde zusammenbrechen.

Natürlich, fände man einen Sack Geld vor der Haustür und wäre man als braver Bürger "gezwungen", dieses Geld z.B. binnen Halbjahresfrist auszugeben, schafften wir tatsächlich einen Wirtschaftsaufschwung vom Feinsten. Es würden Fernseher, Sofas oder Waschvollautomaten gekauft. Aber eine nachhaltige Verbesserung der allgemeinen Wirtschaftsstimmung wäre damit nicht verbunden. Denn es fehlt der fruchtbare Nährboden dafür. Warum sollten Unternehmen massiv in der Eurozone investieren und Arbeitsplätze und Kaufkraft für Konsum schaffen, wenn viele Industriestandorte reformunbeweglich sind und mit Couch Potatoes gleichzusetzen sind.

Wenn aber Helikopter-Geld nur ein one hit economic wonder, ein Strohfeuer, auslöste, würden Wähler und Politiker bei wirtschaftlicher Ernüchterung Nachschlag aus der Gulaschkanone einfordern und die EZB aus konjunktureller Verzweiflung und sozialpolitischer Verantwortung auch tatsächlich liefern müssen.

Zum Schluss verkäme die EZB zum - im Hubschrauber fliegenden - geldpolitischen Sozialamt, das jedes Leistungsprinzip komplett aushebelte. Viele Bürger hätten den Eindruck, ihr Geld nicht mehr durch Arbeit verdienen zu müssen. Und Müßiggang ist aller Laster Anfang. Dieses Rundum-Sorglos-Paket der Geldpolitik kann die Marktwirtschaft nicht retten. Aufgrund des fehlenden Leistungsanreizes würde die Eurozone zu einer Insel der wirtschaftlich Verdammten, ja schließlich sogar zu einem neuen Entwicklungsland. An der schnöden wirtschaftlichen Wahrheit kommen wir nicht vorbei: Nur die Verbesserung des Wirtschaftsstandortes über Strukturreformen und die Wiederherstellung einer Infrastruktur auf Weltniveau schafft nachhaltige volkswirtschaftliche Wertschöpfung und Lustbarkeiten wie Arbeitsplätze und Konsum. Nur sich regen, bringt Segen.

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Wie realistisch ist Helikopter-Geld?



Man könnte jetzt einwenden, dass es zu Helikopter-Geld ja nie kommen wird, da es hohe rechtliche Hürden dagegen gibt. Jedoch wissen wir doch alle wie sich eine neue Idee in der Eurozone durchsetzt: Erst ist sie absurd, dann ein Gedankenspiel und zum Schluss alternativlos. Denken Sie einfach acht Jahre zurück. Hätten Sie 2008 jemals gedacht, dass wir dort stehen, wo wir heute stehen? Die damals eisenharten Stabilitätskriterien sind doch längst zu Schaumwaffeln degeneriert. Und allein schon die Diskussion über Helikopter-Geld macht dieses Instrument hoffähig.

In der Eurozone gibt es einen falschen Ehrgeiz. Stabilitätsregeln werden dort wie Rekorde im Sport behandelt: Sie sind dafür da, dass sie frisch, fromm, fröhlich, frei gebrochen werden. Doch dafür sollte Turnvater Jahn nicht als Alibi dienen.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.