Die Kapitalmärkte sind der Motor des Wirtschaftswachstums. Effiziente Märkte lenken das Kapital in produktive Unternehmen, die langfristig Wohlstand und Arbeitsplätze schaffen. Doch in vielen Fällen funktionieren die Märkte nicht so, wie sie sollten. Das Sell-Side-Research ist Teil des Problems.

In einer Studie haben wir 342 Sell-Side-Analysten befragt, um uns ein Bild von den Herausforderungen und dem Druck zu machen, die sie davon abhalten, ein tiefgründiges Research mit langfristiger Ausrichtung zu erstellen. Die Ergebnisse beleuchten, wie wirtschaftliche Interessenkonflikte eine objektive Beurteilung der Unternehmensleistung beeinträchtigen.

Viele Sell-Side-Analysten sind bei Investmentbanken angestellt, die an den Kapitalmärkten zwischen Emittenten und Investoren vermitteln. Die Berichte eines Analysten sind oft für die Investmentbanker und Investor-Relations-Teams derselben Organisation von Interesse. Das führt zu Konflikten. Unsere Ergebnisse zeigen, dass mindestens 90 Prozent der Mainstream-Analysten besonders vorsichtig sind, wenn sie über Themen schreiben, die für die Bank, für die sie arbeiten, sensibel sind. Mehr als ein Drittel vermeidet es, Berichte zu schreiben, die sich als schädlich für die Geschäftsbeziehungen ihres Arbeitgebers erweisen könnten.

Kritik an einem Kunden oder potenziellen Kunden der Bank wirkt - wenn auch nicht immer explizit - entmutigend. Jedes Research hingegen, das zu Handelsaktivitäten führt, dient eher als Anreiz. Dies fördert die Kurzfristigkeit in den größeren Märkten. Das Handelsvolumen nimmt zu, da Investoren überredet werden, unnötig zu handeln - und der daraus resultierende Umsatz führt zu kurzfristigen Beständen.

Obwohl sie gern eingehendere Berichte schreiben würden, verbringen Mainstream-Analysten in der Regel nur zwölf Prozent ihrer Zeit damit, die Perspektiven von Unternehmen über einen Zeitraum von einem Jahr hinaus zu erforschen. Zudem vernachlässigen viele Analysten ESG-Faktoren. So halten nur 16 Prozent von ihnen die Umweltauswirkungen eines Unternehmens für relevant für die Erstellung eines Investmentfalls, obwohl bewiesen ist, dass ESG-Angelegenheiten der wesentliche Treiber für eine langfristige Performance sind. Verzerrte, unvollständige Forschung kann Kursziele und Ratings hervorbringen, die die langfristigen Aussichten eines Unternehmens nicht wirklich widerspiegeln, zu einer Fehlallokation von Kapital führen und die Markteffizienz behindern.

Die neue Mifid-II-Richtlinie könnte in dieser Hinsicht eine Transformation darstellen. Wenn die Käuferseite deutlich macht, dass sie eine langfristige, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Forschung braucht, werden die Banken reagieren. Analysten können sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, indem sie die Art von nuanciertem, objektivem Research anbieten, die sich die Investoren wünschen.

Mifid II soll auch bewirken, dass es einen größeren Pool von Research-Anbietern gibt, die von Investmentbanken unabhängig sind. Dies dürfte dazu beitragen, eine qualitativ hochwertigere, objektive Forschung hervorzubringen, vorausgesetzt, die Käuferseite ist bereit, bei der Zuweisung ihrer Research-Budgets selektiver vorzugehen.

Durch Mifid II müssen Investmentbanken, Vermögensverwalter und Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass das Sell-Side-Research das Kapital zu Unternehmen lenkt, die langfristig Wert schaffen. Bessere Sell-Side-Forschung wird dazu beitragen, die Motoren in der Wirtschaft neu zu justieren, um ein nachhaltiges Wachstum für alle voranzutreiben.

Dr. Steve Waygood leitet das Team Global Responsible Investment von Aviva Investors, das sich um Engagement sowie Umwelt-, Sozial- und Governance-Angelegenheiten kümmert. Unter anderem ist er Gründer der Initiative Sustainable Stock Exchanges und hat zur Erstellung der United Nations Principles for Responsible Investment beigetragen. Der Volkswirt lehrt am Institute for Sustainability Leadership der Universität Cambridge.