Aus der Luft wirkt die längste Seebrücke der Welt wie ausgestorben. Vier Monate nach der Eröffnung fahren nur vereinzelt Transporter und Busse über das Viadukt, das Hongkong mit der südchinesischen Provinz Guangdong verbindet. Kein Wunder, denn wer die 55 Kilometer lange Verbindungsstraße nutzen will, muss sich zuvor durch die Bürokratie von drei Administrationen wühlen. Autofahrer brauchen Zulassungen für die Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau sowie für Zuhai auf dem Festland, dazu eine Sondergenehmigung für die Brückennutzung.

Zwar ist die Straße bislang kaum befahren,doch sie ist ein zentraler Baustein für die geplante Wirtschafts- und Technologiesuperzone im Perlflussdelta.

Unter dem Namen "Greater Bay Area" haben Pekings Zentralplaner am Reißbrett eine Konkurrenz zum Silicon Valley entworfen. Diese Woche will die chinesische Staatsführung Details zu dem Projekt vorstellen. Bereits jetzt ist bekannt, dass die Zone elf Millionenstädte mit einer Wirtschaftskraft von mehr als 1,3 Billionen Euro umfasst. So sollen unter anderem die Stärken von Hongkong (Finanzen und Logistik), Shenzhen (Innovation), Guangzhou (Handel und Produktion) und Macau (Konferenzen) gebündelt werden. Aufgrund seiner strategischen Lage werde Hongkong von der gemeinsamen Wirtschaftszone "in den kommenden Jahrzehnten enorm profitieren", sagte Carrie Lam, Regierungschefin der Sonderverwaltungszone Anfang Januar auf dem Asiatischen Finanzforum (AFF). Kritiker fürchten dagegen, dass die ehemalige britische Kronkolonie 22 Jahre nach der Rückgabe an China immer mehr ihre Eigenständigkeit und Freiheit verliert.

Wie groß der Einfluss Pekings bereits ist, machte auch das Finanzforum deutlich. Obwohl der Handelskrieg mit den USA die chinesische Wirtschaft stark belastet und die Risiken zunehmen, wurde kaum über dieses kritische Thema gesprochen. Vor einigen Jahren war das noch anders. Da diskutierten die Podiumsteilnehmer schonungslos offen über die Chancen und Herausforderungen der chinesischen Wirtschaft - auch weil Hongkong stark von der Entwicklung der Volksrepublik abhängt. Dabei war und ist es gerade Hongkongs Sonderrolle, die seine Stärke ausmacht: Im Gegensatz zum Festland gibt es eine rechtsstaatliche Justiz, eine strenge und unabhängige Finanzaufsicht, kaum Handelsbeschränkungen, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie Wahlen. Dies alles bescherte der 7,4-Millionen-Metropole im Januar zum 25. Mal in Folge den Titel der freiesten Volkswirtschaft der Welt, verliehen von der US-Denkfabrik Heritage Foundation. Allerdings habe der wachsende Einfluss Pekings die Freiheiten insbesondere von Justiz, Parteien und Presse zuletzt unterminiert, warnt das Institut. Es besteht die Gefahr, dass diese weiter ausgehöhlt wird und Deng Xiaopings Versprechen, die Besonderheiten Hongkongs für 50 Jahre zu garantieren ("ein Land, zwei Systeme"), bereits vor 2047 kassiert wird.

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Chinas Finanzzentrum



Die Brücke zum Festland und die geplante Superwirtschaftszone sind deshalb für Hongkong Chance und Risiko zugleich. Ein Risiko, weil die Freiheiten, welche die Stadt wirtschaftlich wie politisch noch genießt, zunehmend verschwinden. Eine Chance, weil es just jene Freiheiten sind, die Hongkong als international anerkanntes Finanzzentrum so wertvoll für das Festland machen. So ist es der chinesischen Regierung im vergangenen Jahrzehnt trotz großer Anstrengungen nicht gelungen, Shanghai als Konkurrenz zu Hongkong zu etablieren. Internationale Investoren bevorzugen nach wie vor die unabhängige Hongkonger Börse, um mittels sogenannter H-Aktien in Firmen vom Festland zu investieren. Nirgendwo gab es 2018 mehr Börsengänge als hier. 125 Unternehmen haben umgerechnet nahezu 32 Milliarden Euro eingesammelt.

Der Börsenbetreiber Hongkong Stock Exchange (HKEx Group) dürfte deshalb ein Profiteur der geplanten Wirtschaftsregion im Perlflussdelta sein. Hier erhalten neue und etablierte Unternehmen Zugang zu internationalen Geldgebern. 2018 hat die Börse ihre strengen IPO-Regeln überarbeitet, um auch Technologieunternehmen, die noch keine Gewinne schreiben, den Börsengang zu ermöglichen. Von der besseren Anbindung an das Festland profitieren könnte auch der Logistikdienstleister Kerry Logistics. Das gilt jedoch nur, wenn die bürokratischen Hürden für die Nutzung der Hongkong- Zhuhai-Macau-Brücke reduziert werden und der Warenaustausch wie erhofft ansteigt. Schon jetzt ist das Unternehmen auch auf dem Festland präsent. Die erforderlichen Genehmigungen dürften also kein Hindernis darstellen.





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Schub für Tourismus



Die Tourismusindustrie hofft, dass die Schnellstraße nach Südchina den Fremdenverkehr weiter ankurbelt. Dies dürfte nicht nur Hotels und Vergnügungsparks wie Disneyland zugutekommen, sondern auch dem U-Bahnbetreiber MTR Corp. Er verbindet die neue Brücke mit dem Stadtzentrum Hongkongs. Ebenfalls profitieren könnte die Immobilien- und Investmentgesellschaft Henderson Land Development. Das Unternehmen ist in der Projektleitung für den geplanten Technologiepark an der Grenze zwischen Hongkong und Shenzhen vertreten. Zudem hält der Konzern große Teile an der Fährgesellschaft Ferry Hongkong, dem Gasversorger Towngas und dem Hotel- und Tourismusanbieter Miramar. Ein Risiko ist jedoch die hohe Abhängigkeit vom teuren Hongkonger Immobilienmarkt, der zuletzt deutlich abkühlte.

Ein Firmenimperium, das weit über Hongkong hinausreicht, hat Multimilliardär Li Kashing aufgebaut. Die Gesellschaft CK Asset Holdings umfasst unter anderem Mobilfunkanbieter, Energieversorger, Handelsunternehmen und Hafenbetreiber in Europa, Asien und Australien. Das Immobiliengeschäft hat Li 2015 in ein separates Unternehmen ausgegliedert. Doch der überhitzte Immobilienmarkt ist nicht das einzige Risiko für Hongkongs Entwicklung. Der größte Unsicherheitsfaktor ist die Abhängigkeit von China. Der Zollstreit zwischen der Volksrepublik und den USA belastete 2018 die Kurse in Hongkong stark. Immerhin entfallen 38 Prozent der Marktkapitalisierung auf Unternehmen vom Festland. Über diese Risiken wird in Hongkong kaum noch gesprochen. Zu groß ist inzwischen der Einfluss Chinas.



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Hongkong auf einen Blick