Alle drei Regionen profitierten in der Vergangenheit stark von EU-Geldern. Dominiert wird das Referendum am 23. Juni jedoch vom Votum der Wähler in England, die 84 Prozent der Stimmberechtigten in ganz Großbritannien stellen. Sollten sie sich für den Brexit entscheiden, könnte dies den Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland neuen Auftrieb verleihen - und in Nordirland möglicherweise alte Spannungen wiederaufleben lassen.

SCHOTTLAND



Eigentlich haben die Schotten ja gerade erst eine Abstimmung über die Unabhängigkeit hinter sich gebracht: 55 Prozent der Wähler votierten 2014 gegen die Abspaltung vom Königreich. Seither hat die regierende Schottische Nationalpartei (SNP) allerdings an Zustimmung zugelegt. Die Erste Ministerin Nicola Sturgeon brachte ein neues Unabhängigkeitsreferendum ins Gespräch, falls sich Großbritannien gegen den Willen einer Mehrheit der Schotten für den Brexit entscheiden sollte.

Alle fünf Parteien im Parlament in Edinburgh werben für den Verbleib in der EU. Die Sympathie vieler Schotten für Europa hat unterschiedliche Gründe: Einerseits basiert ihre Wirtschaft auf dem Export, andererseits tendieren die Schotten ohnehin weit stärker zur Wahl der Labour-Partei, deren Chef Jeremy Corbyn für den Verbleib in der EU plädiert. Viele schätzen den Schutz, den sie dank des EU-Arbeitsrechts und anderer europäischer Regelungen genießen. "Die meisten Schotten glauben an einen starken Staat und lehnen die Privatisierungspolitik der Regierung in London ab", sagt der Geschichtsprofessor Tom Devine von der Universität in Edinburgh.

Auch die Zuwanderung, eines der Hauptargumente der Brexit-Befürworter, verbreitet in Schottland weit weniger Schrecken als in England: Während viele Engländer die zahlreichen Immigranten aus der EU eher als Konkurrenten um Arbeit und Belastung der Sozialsysteme betrachten, ist Schottland wegen seiner alternden Bevölkerung in ländlichen Regionen auf die Zuzügler angewiesen.

Eine Unabhängigkeit würde für Schottland allerdings auch Risiken bergen - vor allem finanziell, denn die Region ist von der Ölförderung abhängig. Dementsprechend hart trifft sie derzeit der Ölpreisverfall. "Die Schotten bremst bei ihren Bemühungen um einen Abschied von Großbritannien nur eine Sache, und das ist die finanzielle Abhängigkeit vom Haushalt in London", sagt Joachim Fritz-Vannahme, der Direktor des Programms "Europas Zukunft" bei der Bertelsmann-Stiftung.

NORDIRLAND



Auch in Nordirland beflügelt die Brexit-Debatte alte Abspaltungsphantasien von Großbritannien - und zugleich die Furcht vor einem Wiederaufflammen des Konfliktes zwischen Katholiken und Protestanten. Sollte Großbritannien für den Brexit stimmen, müsse es unmittelbar danach auch ein Referendum über eine Wiedervereinigung Irlands geben, fordert etwa der stellvertretende Erste Minister Nordirlands, Martin McGuinness. Der Politiker gehört der Partei Sinn Fein an, die hauptsächlich von katholischen Nationalisten unterstützt wird und Nordirland wieder mit Irland vereinen möchte. Die Mehrheit der Bevölkerung in Nordirland stellen dagegen Protestanten, die Teil Großbritanniens bleiben wollen. Pro-irische Katholiken und pro-britische Protestanten hatten sich 30 Jahre lang einen Bürgerkrieg geliefert, der mindestens 3600 Menschen das Leben kostete und erst 1998 mit dem Abschluss des Karfreitags-Abkommens endete.

Die beiden früheren britischen Premierminister Tony Blair und John Major warnten kürzlich bei einem Besuch in der Provinz vor einem Wiederaufflammen der Gewalt im Fall eines Brexits. Die EU, die Reisefreiheit und der freie Warenverkehr auf der Insel seien ein wichtiger Faktor gewesen, um das Karfreitags-Abkommen abschließen zu können, sagte Blair. Ein Austritt aus der EU aber würde nach Aussage des britischen Finanzministers George Osborne unausweichlich Grenzkontrollen zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland nach sich ziehen. Dies könnte der nordirischen Wirtschaft schaden, die gut ein Drittel ihrer Güter in den Nachbarstaat ausführt. Außerdem sei Nordirland abhängig von den EU-Beihilfen für die Landwirtschaft.

WALES



Mit seinen drei Millionen Einwohnern ist Wales die ärmste Region Großbritanniens und traditionell eine Hochburg der Labour-Partei. Ebenso wie Nordirland profitiert die Region stark von EU-Geldern. Einer Studie der Deutschen Bank zufolge erhält Wales von 2014 bis 2020 2,6 Milliarden Euro aus EU-Töpfen. Unternehmen würden die Region verlassen, wenn Großbritannien den Zugang zum EU-Binnenmarkt verliere, warnte unlängst der Erste Minister von Wales, Carwyn Jones, im "Independent".

Reuters