Er gilt als erfolgreichster und mächtigster Manager der Autobranche, als genialer Visionär und Stratege. Carlos Ghosn hat Renault saniert und Nissan vor dem Bankrott gerettet, wurde als "Mister Fix-It" gefeiert, aber auch als "Le Cost Killer" und eiskalter "Zerstörer" verdammt. In der Pariser Zentrale von Renault nennen sie ihn den "Imperator". Ghosn gefällt sich in der Rolle des harten Hundes und des kleinlichen Zahlenfressers, das Magazin "Forbes" bezeichnete ihn als "den härtesten Mann in diesem brutal kompetitiven globalen Auto- Business". Er regierte über 450 000 Mitarbeiter in rund 200 Ländern. Nissan hat ihn gefeuert. Bei Renault ist er noch im Amt, aber derzeit "verhindert", wie es heißt. Seit Montag sitzt Ghosn wegen mutmaßlicher Verstöße gegen Börsenauflagen in Japan in Haft.

Der in Brasilien als Sohn libanesischer Einwanderer geborene Ghosn, der in Paris zwei Eliteschulen besucht hat, ist der Prototyp des Global Player. Er sieht sich als Weltbürger, spricht sieben Sprachen und hat drei Pässe, seine beiden Arbeitsplätze in Paris und Tokio liegen 10 000 Kilometer voneinander entfernt; in Japan, das ihn nach der Nissan-Rettung als Helden feierte, wurde sein Leben in einem Manga-Comic nachgezeichnet, und im Libanon, seiner zweiten Heimat, war er sogar als Präsidentschaftskandidat im Gespräch. Politische Ambitionen hat Carlos Ghosn allerdings nie verfolgt.

Der "letzte Auto-Monarch" ("Manager Magazin") ist vielmehr ein leidenschaftlicher Student der Geschichte des Römischen Reichs. Roms Historie biete wertvolle Lehren für die Manager von heute, erklärte er. Zwar sah er sich nicht als moderne Verkörperung von Julius Caesar, aber er hatte ähnliche imperiale Visionen wie der große Römer, der nichts Geringeres als die Weltherrschaft anstrebte. Wenn Ghosn über die Zukunft seiner Auto-Allianz redete, dann entwarf er das Bild eines Business-Imperiums, dessen Macht auf Expansion gründete, auf der ständigen Integration neuer Unternehmen, auf Wachstum, das von der Globalisierung getrieben wurde.



Zehn Jahre Haft drohen



Dieser Traum ist vermutlich ausgeträumt, denn am Montag wurde der mächtige Architekt der Auto-Großallianz aus Renault, Nissan und Mitsubishi am Flughafen Tokio-Haneda verhaftet, als er aus seinem Gulfstream-Privatjet stieg. Er soll in Paris, Amsterdam, Rio und Beirut auf Firmenkosten Luxusimmobilien finanziert und über Jahre hinweg ein niedrigeres Gehalt als tatsächlich gezahlt wurde angegeben haben. Seit 2011 soll Ghosn so an die 40 Millionen Euro Einkommen zu wenig deklariert haben. Jetzt droht ihm eine Gefängnisstrafe von zehn Jahren. Der Skandal wurde durch einen Whistleblower ins Rollen gebracht. Die Verhaftung löste einen Schock an den Finanzmärkten aus.

Ausgerechnet Ghosn, der Superstar der Branche, einer der bestbezahlten Automanager weltweit - eigentlich ist es nicht nachvollziehbar, dass er zu solchen Finanztricks gegriffen haben soll. Er bezog 2017 ein Gehalt von 7,32 Millionen Euro und erhielt zusätzlich 9,2 Millionen Euro von Nissan. "Forbes" schätzt sein Vermögen auf 100 Millionen Euro. Aber Ghosn sei ein "ohne Not kriminell gieriger Manager", urteilte die "Süddeutsche Zeitung". Kritische Töne kamen jetzt auch aus Japan. Nissans CEO Hiroto Saikawa warf Ghosn nach der Verhaftung vor, dass der schillernde Titan zu viel Macht angehäuft habe, und nannte dies "die dunkle Seite" seines Führungsstils.

Carlos Ghosn kam 1954 in Porto Velho zur Welt. Er erkrankte, als er zwei Jahre alt war, weil er verschmutztes Flusswasser getrunken hatte. Auf Anraten der Ärzte zog er zusammen mit Schwester und Mutter in deren Heimat Beirut zurück, damals die kosmopolitischste Stadt im Nahen Osten. Später studierte Ghosn in Paris, machte einen Abschluss als Ingenieur und heuerte beim französischen Reifenhersteller Michelin an, wo er als Management-Trainee begann und schnell die Karriereleiter hochstieg. Als CEO des Amerika-Geschäfts organisierte er beispielsweise die Übernahme des amerikanischen Rivalen Uniroyal Goodrich. 1996 holte ihn Louis Schweitzer, der glücklose CEO von Renault, als Manager zu dem taumelnden französischen Autoriesen, der damals noch mehrheitlich im Staatsbesitz war. Ghosns Meinung über die Unternehmenskultur von Renault: Man verschwende zu viel Zeit "mit Diskussionen über alles und nichts", die Firma sei unproduktiv und habe zu viel Fett angesetzt. Er setzte die Axt an, legte zunächst eine Fabrik in Belgien still und entließ 3300 Arbeiter. Sein Sanierungsplan war erfolgreich, er führte Renault wieder in die Gewinnzone.

1999 beteiligte sich Renault mit sieben Milliarden Dollar am japanischen Autohersteller Nissan und erhielt dafür einen Anteil von 44,4 Prozent. Schweitzer schickte seinen Thronfolger Ghosn als CEO nach Tokio. Er behielt zwar seinen Job bei Renault, war nun aber zusätzlich für den Turnaround von Nissan verantwortlich. Eigentlich eine "Mission Impossible": Nissan hatte in sieben der acht vergangenen Jahre Verluste gemacht und schob einen Schuldenberg von 20 Milliarden Dollar vor sich her.



Geld im Ozean versenken



Die Branche sparte nicht mit Spott und Häme. Bob Lutz, der spätere Vice Chairman von General Motors, meinte damals, dass Renault das Geld für den Kauf von Nissan besser in ein Containerschiff gepackt und es auf dem Grund des Ozeans versenkt hätte. Aber 2005 musste Lutz kleinlaut zugeben, dass er Ghosns "Persönlichkeit und Power, seinen starken Willen und sein Draufgängertum" unterschätzt habe. Am Tag nach seiner Machtübernahme in Tokio musste Ghosn - der erste Nichtjapaner an der Spitze eines japanischen Unternehmens - sich den mehrheitlich einheimischen Aktionären stellen. Es war ein schwieriges Meeting. Einer der Aktionäre verglich die Übernahme Nissans mit der Besetzung Japans durch die alliierten Truppen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein anderer kritisierte Ghosn, weil er die traditionelle Verbeugung, die in -japanischen Businesskreisen üblich ist, nicht beherrsche.

Ghosn konterte, indem er auf die schlechten Zahlen des Unternehmens hinwies - Nissan war damals praktisch pleite. Und er versprach, dass die Firma innerhalb eines Jahres wieder Gewinne machen würde. Andernfalls werde er zurücktreten. "Diese Offenlegung von Zielen und Verantwortlichkeiten ist mit der Samurai-Kultur identisch", kommentierte er sein Versprechen. "Das habe ich in Japan früh verstanden." Der neue Chef, der bereits Morddrohungen erhalten hatte, nahm sich drei Monate Zeit, um das Unternehmen zu analysieren. Im Oktober 1999 verkündete er seinen ambitionierten Restrukturierungsplan. Was er damit lostrat, war eine Kulturrevolution - für manche auch ein Blutbad: Er strich 21 000 Jobs und demontierte die jahrhundertealte Keiretsu-Tradition, das von der Regierung sanktionierte Netzwerk von wirtschaftlichen Querverbindungen, Überkreuzbeteiligungen und Abhängigkeiten. Gleichzeitig schaffte er das auf Seniorität basierende Beförderungssystem und den Anspruch auf eine lebenslange Anstellung ab. Ghosn warb Top-Designer bei Konkurrenzfirmen ab und er führte Englisch als Umgangssprache im Unternehmen ein.

Ein Jahr später machte Nissan einen Gewinn von 2,7 Milliarden Dollar - nach einem Verlust von 6,46 Milliarden im Vorjahr. Und nach drei Jahren war Nissan einer der profitabelsten Autoproduzenten überhaupt. Ghosn, der wegen seiner Physiognomie gelegentlich mit dem britischen Komiker Rowan Atkinson verglichen wird, galt in Japan jetzt als Held. Er hatte inzwischen Japanisch gelernt, erschien auf den Titelseiten von Wirtschaftsmagazinen - gelegentlich sogar in einen Kimono gekleidet. In einer Umfrage ernannten ihn Japans Frauen zum begehrtesten Ehemann, und in den Restaurants wurde eine bei Geschäftsleuten besonders beliebte Essensbox nach ihm benannt. Befragt danach, welcher Prominente das Land regieren sollte, wurde er 2012 von den Japanern in einer Umfrage an siebter Stelle genannt, noch vor Barack Obama oder dem damals amtierenden Premierminister. Nach der Katastrophe von Fukushima trat Ghosn im Fernsehen auf und rief die Japaner dazu auf, optimistisch zu bleiben.

Ghosn wurde jetzt mit Preisen und Ehrungen überhäuft. Frankreich ernannte ihn zum Ritter der Ehrenlegion, das Wirtschaftsmagazin "Fortune" ehrte ihn 2002 als "Asiens Businessman des Jahres" und nahm ihn in die Liste der zehn mächtigsten Wirtschaftslenker außerhalb der USA auf. Auch die Queen verlieh ihm einen Orden. Die Konkurrenz wurde auf Ghosn aufmerksam. 2005 erwarb der milliardenschwere aktivistische US-Investor Kirk Kerkorian eine 9,9-Prozent-Beteiligung an General Motors und drängte darauf, dass GM mit Renault und Nissan fusionieren und Ghosn zum Chairman des neuen Unternehmens ernennen solle.Das GM-Management vereitelte allerdings diesen Plan. Ein Jahr später kam das nächste Angebot: Ford wollte ihn als neuen CEO verpflichten. Diesmal war es Ghosn, der ablehnte.

2016 schmiedete der französisch-japanische Autoriese eine Allianz mit dem vergleichsweise kleinen Massenhersteller Mitsubishi und übernahm für 1,9 Milliarden Euro einen 34-Prozent-Anteil an dem Rivalen. Ein "Discountpreis", wie das "Manager Magazin" schrieb. "Denn der japanische Hersteller gestand vor wenigen Wochen ein, jahrzehntelang Verbrauchswerte gefälscht zu haben", so das Blatt. Dabei hatte ausgerechnet Nissan die Mitsubishi-Manipulationen aufgedeckt. "Sollte Nissan-Chef Ghosn diese Demontage seines Partners mit Absicht betrieben haben, war es ein genialer Schachzug, um den Preis zu drücken." Ghosn war jetzt der Dreh- und Angelpunkt für die komplizierte Großallianz zwischen Renault, Nissan und Mitsubishi. Alles schien ihm zu gelingen, in der Branche wurde er zur Legende. Doch um seine ambitionierten Ziele erreichen zu können, musste er ein brutales Arbeitstempo vorlegen.



Das Leben eines Tempelritters



Dies sei nur mit einer strengen Disziplin zu schaffen. "Mit 45 wurde ich CEO, und ich habe wie ein Tier gearbeitet. 15 oder 16 Stunden am Tag. Aber das hält man nicht durch, wenn man 60 oder 65 ist", verriet er. "Disziplin ist entscheidend, wenn es um Essen, Sport oder Schlaf geht. Ich lebe wie ein Mönch - na ja, vielleicht wie ein Tempelritter. Ich wache zu einer ganz bestimmten Zeit auf und schlafe eine bestimmte Anzahl von Stunden." Er hält eisern Diät und treibt regelmäßig Sport. Seinen Manageralltag habe er bis ins letzte Detail perfekt durchgeplant.

Trotzdem musste er einen hohen Preis für seine Karriere bezahlen: 2012 zerbrach nach 27 Jahren seine Ehe. Aus ihr hat Ghosn vier erwachsene Kinder. 2016 heiratete er erneut, die Libanesin Carole Nahas. Für die Hochzeitsparty mietete er das Grand Trianon im Park von Versailles. Über seinen möglichen Abgang als Konzernchef hatte der 64-Jährige mal gesagt, er könne sich ein Leben als Pensionär gar nicht vorstellen. Bei Renault ließ er sogar die Altersgrenze abschaffen, um noch lange an der Macht zu bleiben. "Ich kann nicht einfach die Tür zuschließen und fischen gehen oder so was Ähnliches."