Geht es nach den Internetauftritten mancher Versicherer, dann läuft gerade eine entscheidende Frist ab: "Jetzt wichtige Vorteile sichern!" (Ergo), "Wer rechtzeitig handelt, kann viel Geld sparen" (Europa), "Bis 31.12.2021 profitieren!"(WWK).

Der Hintergrund: Zum 1. Januar sinkt der gesetzliche Garantiezins von 0,90 auf 0,25 Prozent. Das betrifft zwar fast keine laufenden Policen, sondern nahezu ausschließlich Neuverträge, die mit diesem Garantiezins kalkuliert sind - dafür aber etliche Sparten: Kapitallebens- und private Rentenpolicen, geförderte Angebote à la Riester, Rürup und Betriebsrente, zudem beispielsweise Berufsunfähigkeitsversicherungen.

Sollte man tatsächlich noch auf die Schnelle abschließen? Klare Antwort: Für die meisten Kunden besteht kein Handlungsbedarf. Warum, lässt sich am besten am Beispiel einer privaten Rentenversicherung erklären. Der Garantiezins, der jährlich gutgeschrieben wird, bezieht sich nicht auf die gesamten Prämien, sondern nur auf den sogenannten Sparbeitrag, also auf Einzahlungen minus Kosten. Und diese Kosten sind hoch - so hoch, dass die Kunden bei einem durchschnittlichen Vertrag schon heute im Minus landen.

Das zeigen Zahlen von Partner in Life. Die Firma kauft Lebenspolicen auf und hat auf Basis dieser Verträge kalkuliert. Ergebnis: Bei Kontrakten mit 25 Jahren Laufzeit, die eine Auszahlung von mindestens 20.000 Euro zu Vertragsende zusichern, bringt jeder eingezahlte Euro jetzt schon ein Minus von 0,10 Prozent pro Jahr. Bei Summen unter 20.000 Euro gibt es sogar ein Minus von 0,30 Prozent. Grund für die Differenz: Kleinere Summen sind mit Kosten relativ höher belastet und haben zudem einen geringeren Zinseszinseffekt. Nach der Senkung des Garantiezinses zum Jahreswechsel würde das sowieso schon zu erwartende Minus nur noch ein bisschen höher ausfallen.

Anzumerken ist: In vielen Fällen kommen während der Vertragslaufzeit variable Gewinnanteile hinzu, die jährlich fest zugesagt werden. Die sogenannte laufende Verzinsung - also Garantiezins plus Gewinnanteile - betrug zuletzt im Branchenschnitt für Neuverträge 2,13 Prozent auf den Sparbetrag. Bei alten Verträgen fällt die laufende Verzinsung oft weg, weil der damalige Garantiezins höher lag.

Die sinkende Bedeutung des Garantiezinses zeigt sich auch daran, dass immer weniger Policen mit dieser Sicherung ausgestattet sind. Bis vor wenigen Jahren waren diese sogenannten klassischen Verträge der Verkaufsschlager. Doch müssen sich Versicherer nicht zum Garantiezins verpflichten.

So startete Marktführer Allianz angesichts der sinkenden Marktzinsen 2013 die erste Police, die lediglich zu Laufzeitende die eingezahlten Beiträge garantiert (sogenannte Bruttobeitragsgarantie), und stattete in der Folge eine Reihe weiterer Innovationen mit demselben Versprechen aus. Beispielsweise war das bei sogenannten Indexpolicen der Fall (hier können Kunden an der Entwicklung eines Index oder mehrerer Indizes partizipieren). Etliche Konkurrenten folgten der Allianz.

Auch andere Zusagen schrumpfen

2020 verabschiedete sich der Konzern bei Neuverträgen sogar von der Bruttobeitragsgarantie. Seitdem bietet er nur noch gestaffelte Beitragsgarantien unter 100 Prozent an, zumeist frei wählbar mit 60, 80 oder 90 Prozent. Policen mit Garantiezins hat er überhaupt nicht mehr im Angebot, so wie viele Wettbewerber auch.

Welche Verbraucher sollten angesichts der Senkung auf 0,25 Prozent aktiv werden? Beispielsweise all jene, die sowieso darüber nachdenken, eine geförderte Versicherung via Riester abzuschließen. Denn hier gibt es ab Anfang 2022 ein spezielles Problem. Schon immer - und auch weiterhin - ist hier die Bruttobeitragsgarantie vorgeschrieben. Andererseits darf den Kunden laut Gesetz über die Vertragslaufzeit an durchschnittlichen Kosten nicht mehr abgezogen werden als der Garantiezins. Das fiel den Versicherern schon bei 0,9 Prozent schwer - und wird bei 0,25 Prozent nahezu unmöglich.

Konsequenz: Die sowieso schon schrumpfende Zahl von Riester-Versicherern wird sich zum Jahreswechsel weiter verringern. So antwortete bei einer Umfrage des Branchenportals Versicherungsjournal.de vor einigen Monaten gut jeder zweite Anbieter, dass er sich bereits aus dem Markt zurückgezogen habe oder dies angesichts der Garantiezinssenkung plane.

Weitermachen werden beispielsweise die drei mittelgroßen Versicherer Alte Leipziger, Die Bayerische und Volkswohl Bund. Wie sie in dieser Woche mitteilten, werden sie das Kostenproblem umgehen, indem sie sogenannte Nettopolicen anbieten. Hier darf die Abschlussprovision (üblicherweise vier Prozent der gesamten Prämien) bei der gesetzlich vorgeschriebenen Kalkulation unberücksichtigt bleiben. Grund: Die Provision wird nicht vom Versicherer festgelegt, sondern zwischen Vermittler und Kunde direkt ausgehandelt.

Und wie steht es abseits der Rentenversicherungen? Auch hier ist die Senkung relevant. Etwa bei Berufsunfähigkeitspolicen, die Verbraucherschützer zu den wichtigsten Absicherungen überhaupt zählen. Die Versicherer bauen mit den monatlichen Zahlungen Reserven auf, die dem Garantiezins unterliegen. Und je niedriger der Garantiezins ist, desto stärker müssen die Reserven aus dem zu zahlenden Beitrag gefüllt werden.

Der Finanzdienstleister MLP hat errechnet, dass bei einem Neuabschluss bis Jahresende der Beitrag zumindest 2022 um vier bis 13 Prozent niedriger liegt. Je jünger der Neukunde, desto höher die Einsparungen. Auch bei anderen Absicherungen der Arbeitskraft (etwa Erwerbsunfähigkeits-, Grundfähigkeits- und Schwere-Krankheiten-Policen) sowie bei Risikolebensversicherungen kann es laut MLP 2022 zu steigenden Prämien kommen. "Vergangene Garantiezinsreduzierungen haben jedoch gezeigt, dass die Anbieter eventuelle Beitragserhöhungen durch unterschiedliche Maßnahmen abgefedert haben", sagt Miriam Michelsen, Leiterin Vorsorge bei MLP. "Inwiefern dies für alle Marktteilnehmer nochmals möglich ist, ist schwer abzuschätzen."