Es war der größte Technologie-Börsengang, seit sich der chinesische Internetkonzern Alibaba 2014 an die Börse wagte - und zunächst ein voller Erfolg: Die Snap-Aktie startete deutlich über dem Ausgabepreis, fiel jedoch wenige Tage darauf unter ihren Startwert. Das Unternehmen wird derzeit aber immerhin mit 17 Milliarden Dollar bewertet. Erstaunlich für eine Firma, die 2016 eine halbe Milliarde Dollar Verlust einfuhr - nach 373 Millionen Dollar Verlust im Vorjahr. Zuletzt erlahmte auch das Nutzerwachstum. Und die Aktien haben kein Stimmrecht: Evan Spiegel und Snapchat-Mitbegründer Bobby Murphy halten weiterhin zusammen fast 90 Prozent der Stimmrechte.

Schon vor dem Börsengang war Spiegel laut Forbes zweifacher Milliardär, nach dem IPO dürfte er über vier Milliarden Dollar schwer sein. Und Spiegel wird mit einem anderen Alphatier aus dem "globalen Hauptquartier der digitalen Revolution" verglichen: mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Die Parallelen sind offensichtlich: Beide brachen ihr Studium ab, um ein Start-up zu gründen, beide lehnten schon früh attraktive Übernahmeangebote ab, und beide lernten schon in ihren Zwanzigern, ein großes Unternehmen zu führen.

Aber es gibt auch Unterschiede: Zuckerberg ist der Computerfreak, der seine langjährige Freundin Priscilla Chan geheiratet hat, der in einem eher bescheidenen Haus wohnt, ein Mittelklasseauto fährt, ein Bücherwurm ist und stets ein graues T-Shirt und einen Kapuzenpulli trägt.

Spiegel hingegen taucht häufig in den Klatschspalten auf, er hat einen Hang zum Glamour, fährt einen Ferrari und fliegt einen Hubschrauber, er ist verlobt mit dem australischen Model Miranda Kerr. Kürzlich kaufte er eine zwölf Millionen Dollar teure Villa in Los Angeles. Aber es gibt auch Parallelen mit einer anderen Ikone des Silicon Valley, dem Apple-Gründer Steve Jobs, dessen Foto in Spiegels Büro hängt und dessen Managementstil er übernommen hat: Entscheidungen trifft er meist allein, und er ändert oft seine Meinung. Auf Ratschläge seiner Mitarbeiter legt er keinen großen Wert.

Spiegel, 1990 in Los Angeles geboren, wuchs in einer Welt voller Reichtum und Privilegien auf. Beide Eltern waren erfolgreiche Anwälte, die Familie wohnte in einer 4,6 Millionen Dollar teuren Villa. Evan machte Urlaub auf Hawaii und in Europa, liebte Partys und fuhr als 17-Jähriger einen Cadillac Escalade im Wert von 56 000 Dollar.

Trotzdem gab es regelmäßig Streit ums Geld: Der Teenager verlangte von seinem Vater ein monatliches "Taschengeld" von 2000 Dollar sowie eine "Notreserve" von 2000 Dollar. Als sich sein Vater weigerte, ihm einen neuen BMW 535i zu kaufen, zog er zu seiner Mutter - die Eltern lebten damals in Scheidung. Sie bewilligte ihm das Auto. Evan besuchte eine private Kunstschule in Santa Monica und studierte anschließend an der traditionsreichen Stanford University im Silicon Valley. Sein Karriereziel war damals Lehrer - aber es sollte ganz anders kommen.

Auf Seite 2: Der Reiz des Vergänglichen





Der Reiz des Vergänglichen



Wie viele andere Stanford-Studenten versuchte er sich als Unternehmensgründer. Sein erstes Projekt scheiterte jedoch. Im Frühjahr 2011 klappte es: Zusammen mit seinem Studienfreund Bobby Murphy entwickelte er ein soziales Netzwerk, das sich radikal von Facebook unterscheidet. Sie nannten es Snapchat, und so funktioniert es: Die Nutzer schicken einander Fotos und Videos, die für den Empfänger nur für kurze Zeit zu sehen sind und dann wieder verschwinden. Das Erfolgsgeheimnis: "Die Vergänglichkeit dessen, was auf Snapchat geschieht, erlaubt es, viel offenherziger zu sein, und lässt die Hemmschwelle sinken. Gerade für junge Menschen, die es stört, dass längst auch ihre Eltern und Lehrer auf Facebook sind, hat sich das als extrem reizvoll herausgestellt", schrieb die "Frankfurter Allgemeine".

Spiegel brach sein Studium ab und entwickelte noch im gleichen Jahr die erste marktreife Version der App. Sie schlug ein wie eine Bombe. Zwei Jahre später - Spiegel war jetzt CEO - bezog das Unternehmen mit 28 Mitarbeitern die neuen Bürogebäude in Venice Beach, in deutlicher Entfernung vom Silicon Valley. Dafür näher an der Glitzerwelt von Hollywood. Heute hat das Unternehmen rund 500 Mitarbeiter, die auf einige der Häuser am Strand verteilt sind.

In die Geschichte des Silicon Valley wird wohl Spiegels selbstbewusster Entscheid eingehen, ein Angebot von Zuckerberg auszuschlagen, der ihm 2013 drei Milliarden Dollar für Snapchat bot. Das Unternehmen war damals 800 Millionen Dollar wert. Und Spiegel gerade mal 23 Jahre alt.Heute hat die App 150 Millionen Nutzer - und ist der einzige ernst zu nehmende Herausforderer von Facebook.

Freunde von Spiegel berichten, dass es seine Ambition sei, Mark Zuckerberg, den König des Silicon Valley, vom Thron zu stoßen. Er ist auf dem besten Wege dazu: In der jüngsten Erhebung der Investmentbank Piper Jaffray, in der Teenager nach ihrem wichtigsten sozialen Netz gefragt werden, ist Snapchat an Facebook und Instagram vorbeigezogen. Nach einem Bericht des Technologieblogs "Recode" peilt das Unternehmen für 2016 einen Umsatz von 300 bis 350 Millionen Dollar an - und 2017 könnte schon die Eine-Milliarde-Dollar-Marke geknackt werden.

Spiegel hat den Ruf, arrogant und schwierig zu sein. Der Onlineblog "Netzökonom" schreibt: "Insgesamt fällt das Urteil in der Techwelt über ihn ziemlich eindeutig aus: Hochachtung, weil er mit Snapchat etwas Großes gebaut hat - aber mögen tut ihn kaum jemand." Spiegel gibt selbstkritisch zu, von seinen Privilegien profitiert zu haben. Auf einem Businessforum in der Stanford University sagte er 2013: "Ich bin jung, weiß, männlich, mit guter Ausbildung. Ich hatte wirklich, wirklich Glück." Es gebe nun einmal Ungleichheit auf der Welt, und die angeblich im Silicon Valley herrschende Leistungsgesellschaft, die harte Arbeit belohne, sei ein Mythos. Spiegels Fazit: "Das Leben ist nicht fair."