Der russische Staatskonzern Gazprom überprüft jährlich die Pipeline Nord Stream 1. Am 11. Juli wird die Anlage heruntergefahren, dann fließt für etwa zehn Tage kein Gas nach Deutschland. "Genau das beunruhigt uns in der Bundesnetzagentur und löst bei Tausenden Industriebetrieben erhebliche Nervosität aus. Wir fragen uns, ob aus dieser technischen Wartung eine länger andauernde politische Wartung wird", sagte Netzagentur-Chef Klaus Müller der Funke Mediengruppe laut einem Vorabbericht.

Möglicherweise werde der Gashahn nicht wieder aufgedreht. Wenn der Gas-Fluss aus Russland länger anhaltend abgesenkt wird, "müssen wir ernsthafter über Einsparungen reden". Die zwölf Wochen bis zum Beginn der Heizsaison müssten genutzt werden, um Vorbereitungen zu treffen, sagte er.

Gasengpass bereits 2021 von Russland vorbereitet?


Die Befürchtung des Gas-Stopps ist nicht aus der Luft gegriffen. Anzeichen dafür, dass Russland einen Gaskonflikt provozieren würde, gab es nämlich schon deutlich bevor Putin seinen Truppen den Befehl gab, in die Ukraine einzumarschieren. Der NDR hatte bereits im September 2021 in einem Online-Artikel auf den ungewöhnlich leeren Gasspeicher im niedersächsischen Rehden (bei Diepholz) hingewiesen. Gazprom wiegelte seinerzeit ab.

"Gazprom hat den Gasspeicher in Rehden schon im vergangenen Jahr systematisch nicht befüllt", zitiert das Börsenmagazin "Der Aktionär" nun Achim Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsförderung, in seiner aktuellen Ausgabe. Deutschland sei in Bezug auf die Gasversorgung verletzlich, so Wambach. "Und diese Verletzlichkeit hat Gazprom mit vorbereitet."

Gas-Heizungen schnell optimieren


Müller rief alle Haus- und Wohnungsbesitzer dazu auf, ihre Gas-Brennwertkessel und Heizkörper rasch zu überprüfen und effizient einstellen zu lassen. "Eine Wartung kann den Gasverbrauch um 10 bis 15 Prozent senken", sagte er. "Das muss jetzt passieren und nicht erst im Herbst."

Um Engpässe bei den Handwerker-Terminen zu überwinden, rief er alle Handwerker dazu auf, sich auf Heizung und Warmwasser-Versorgung zu konzentrieren. Außerdem solle in den Familien jetzt schon darüber geredet werden, "ob im Winter in jedem Raum die gewohnte Temperatur eingestellt sein muss - oder ob es in manchen Räumen auch etwas kälter sein kann".

Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte am vergangenen Donnerstag deutlich gemacht, dass er ein vollständiges Ausbleiben russischer Gaslieferungen durch Nord Stream befürchtet. Es drohe ab dem 11. Juli "eine Blockade von Nord Stream 1 insgesamt", sagte der Grünen-Politiker. Deswegen könne es im Winter wirklich problematisch werden. Er rief private Verbraucher dazu auf, jetzt ihren Gasverbrauch zu verkleinern, damit die Gasspeicher in Deutschland besser befüllt werden können.

"Ohne Gas kein Bier"


Nicht nur die energieintensiven Branchen Chemie, Stahl oder Glashütten sind auf das Gas angewiesen. Auch für Brauereien hätte ein Stopp der Erdgas-Lieferungen dramatische Folgen, erklärt Veltins-Chef Michael Huber in einem "Handelsblatt"-Interview. "Wenn russisches Gas ausbleibt, hätten wir ein erhebliches Problem: Ohne Gas kein Bier", sagt Huber.

Die Netzagentur sieht allerdings "kein Szenario, in dem gar kein Gas mehr nach Deutschland kommt". Müssten Industriebetriebe von der Gasversorgung getrennt werden, "orientieren wir uns am betriebswirtschaftlichen Schaden, am volkswirtschaftlichen Schaden, an den sozialen Folgen und auch an den technischen Anforderungen des Gasnetzbetriebs", sagte Klaus Müller.

Für BÖRSE ONLINE bereits sicher scheint: Verbraucher, Unternehmen und auch der Staat müssen sich auf weitere, kräftige Preissteigerungen beim Gas einstellen.

mmr mit dpa und rtr