Deutschland setzt vor allem auf Kontaktbeschränkungen und ein Herunterfahren von Wirtschaft, Kultur und Schulen, um die Virusausbreitung zu stoppen. Diese Strategie ist enorm kostspielig und hat nur mit relativ großer Zeitverzögerung gewirkt. Da wir nicht sicher sein können, dass keine erneute Beschleunigung des Infektionsgeschehens bevorsteht, gilt es alle wirksamen Alternativen in der Pandemiebekämpfung zu verstärken, vor allem Impfungen, aber auch Tests und Schutzkonzepte für gefährdete Gruppen. Es sollte alles getan werden, um einen erneuten, dritten Lockdown zu vermeiden.

Die wirtschaftlichen Belastungen durch die Corona-Pandemie haben das deutsche Bruttoinlandsprodukt 2020 um fünf Prozent sinken lassen und die Zahl der Arbeitslosen von Jahresbeginn bis Jahresende um rund 500 000 erhöht. Die Nachholkonjunktur, die nach dem Ende des ersten "Lockdowns" im zweiten und dritten Quartal 2020 einsetzte, ist mit den neuen Anti-Pandemie- Beschränkungen ab November zu Ende gegangen. Diese Beschränkungen, die bis Mitte Februar gelten, werden nicht allein in den direkt betroffenen Dienstleistungsbereichen wie Gastgewerbe, Touristik, Verkehr, Kunst, Kultur und Sport, sondern auch im Einzelhandel und damit bei den Aufträgen in der Industrie deutliche Einschnitte nach sich ziehen. Das verarbeitende Gewerbe hat in den vergangenen Monaten die Schwäche im Dienstleistungsbereich deutlich abgefedert, die Konjunktur war gespalten. Zu erwarten ist nun, dass sich das Geschäftsklima auch in der Industrie wieder abkühlt, da der Warenhandel geschlossen ist und das Exportgeschäft unter den Lockdowns in wichtigen Partnerländern leidet. Daher wird im Winterhalbjahr kein Wachstum und damit auch keine Annäherung an die Einkommensniveaus von vor der Krise zu erwarten sein.

Der Einbruch der wirtschaftlichen Aktivität wäre noch viel größer gewesen, wenn der Staat die Geschäftsausfälle und Einkommensverluste, die aufgrund seiner Anordnungen entstehen, finanziell nicht weitgehend kompensiert hätte. Man nimmt die sehr hohen Kosten des "Herunterfahrens" in Kauf, um eine weitere Beschleunigung des Infektionsgeschehens zu verhindern, die die Wirtschaft längerfristig umso härter treffen müsste. Dass es keine Zielkonflikte zwischen Gesundheit und Wirtschaft gibt, ist zwar grundsätzlich richtig, es kann aber kein Freibrief sein, jedwede Einschränkung der wirtschaftlichen Aktivität zu rechtfertigen, wie das in der aktuellen Diskussion - etwa mit Forderungen nach Einschränkung der Industrieproduktion - oft anklingt. Ausgaben für die Impfkampagne rechnen sich in nahezu beliebiger Höhe, meint auch das Ifo-Institut, wenn sie das extrem kostspielige Herunterfahren der Wirtschaft und die langfristig folgenschweren Schulschließungen vermeiden helfen.

Ökonomisch und gesundheitspolitisch sollte es zudem eine höhere Priorität für den Schutz der besonders gefährdeten alten Menschen mit ausgedehnten Test- und Betreuungskonzepten geben. Das Virus ist eben für ältere Menschen sehr gefährlich, wie das Medianalter der Verstorbenen von 84 Jahren zeigt. Höhere Aufwendungen für systematische und breit angelegte Testverfahren hätten mehr Transparenz über das Ansteckungsgeschehen erlaubt, Ansteckungen vermindert und die Dauer und Intensität der Lockdowns reduzieren können.

Es reicht nicht aus, nur die pauschale Einschränkung von Kontakten zu verlangen, zumal die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Orte und Verläufe des Infektionsgeschehens nicht gefestigt sind. Wenn also eine erneute Beschleunigung des Infektionsgeschehens käme, was angesichts der langsamen Fortschritte in der Impfkampagne nicht ausgeschlossen werden kann, sollte nicht allein der erneute Lockdown das Mittel der Wahl sein, sondern es sollten alle verfügbaren Abwehrmaßnahmen in einem vorbereiteten Konzept zur Anwendung kommen.

Über Michael Heise


Heise ist seit 2020 Chefvolkswirt bei HQ Trust. Zu seinem Aufgabenbereich gehören tiefgreifende Analysen zur Entwicklung der Wirtschafts- und Finanzmärkte. Er war zuvor unter anderem Chefvolkswirt der Allianz SE sowie Generalsekretär des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. HQ Trust ist eines der größten unabhängigen Multi Family Offices in Deutschland.