Ein früher Morgen vor der Opel Group in Rüsselsheim: Da steht das erste reine Elektroauto von Opel. Die Opel-Blitze an der Karosserie sind unter Klebestreifen versteckt; das Interieur ebenfalls. Die lauernden Auto-Paparazzi sollen keine Details erhaschen, da der Ampera-e erst noch vorgestellt wird. Deshalb dürfen wir das Auto auch noch nicht selbst fahren.

Das macht Karl-Thomas Neumann, 55, seit 2013 Vorstandschef der Adam Opel AG und Präsident von General Motors Europe. Mit ihm sind Mario Müller-Dofel und ich auf eine Spritztour verabredet. Ein Plausch zur Begrüßung, ein paar Fotos zu dritt für die Galerie - und wir summen los.

Tichys Einblick: Herr Neumann, wie weit fahren wir denn heute?


Karl-Thomas Neumann: Wir könnten ziemlich weit fahren. Das Auto zeigt jetzt 391 Kilometer Reichweite an, obwohl die Batterie nur zu 80 Prozent geladen ist.

Das ergäbe bei 100 Prozent Batterieladung fast 500 Kilometer.


Mehr sogar. Nach dem neuen europäischen Fahrzyklus liegt die Reichweite bei über 500 Kilometern - und damit mindestens 100 Kilometer über dem besten Wettbewerber im Segment.

Da könnten wir auch nach Salzburg fahren und dort VW-Großaktionär Ferdinand Piëch besuchen.


Zwei Opel-Ingenieure sind kürzlich sogar von London nach Paris gefahren, ohne aufzuladen. Am Ende waren 417 Kilometer auf dem Tacho und sogar noch 80 Kilometer Restreichweite vorhanden.

Die Schwäche von Elektroautos ist eigentlich ihre Reichweite.


Sie war ihre Schwäche, neben den Kosten. Mit dem Ampera-e machen wir Elektromobilität voll alltagstauglich. In dem Auto steckt eine große Batterie mit einer sehr großen Ladekapazität von 60 Kilowattstunden. Damit haben wir die Reichweitenproblematik gelöst.

VW sagt, dass deren Elektroauto die Welt verändern wird - ab 2019. Verändern Sie schon 2017 die Welt?


TICHY_Print-Launch_1080p from BÖRSE ONLINE on Vimeo.



Das glaube ich schon. Wir werden die Ersten sein, die - Tesla ausgenommen - dem Fahrer die Reichweitenangst nehmen. Und wir werden mit dem Ampera-e die Elektromobilität für ein viel breiteres Publikum erreichbar machen.

Wie teuer wird der Ampera-e?


Verraten wir noch nicht.

Rund 30.000 Euro?


Neuigkeiten dazu gibt’s, wenn wir den Ampera-e im Frühjahr 2017 im Markt einführen. Es soll ein Auto sein, das man sich leisten kann. Es soll nicht im Luxussegment fahren, es ist kein Spielzeug in Form eines Drittwagens, sondern soll für viele Menschen infrage kommen. Das Herausragende am Ampera-e ist: Er wird vor allem für Fahrzeugflottenbetreiber, die dieses Auto täglich bewegen, wirtschaftlich. Die senken damit die durchschnittliche CO2-Emission der gesamten Flotte. Um das zu schaffen, gibt es ja kaum Alternativen zur Elektromobilität.

Aber was ist der technische Trick dabei? Die besonders große oder besonders leistungsfähige Batterie?


Letzteres. Die Batterie ist auf Energieinhalt optimiert und das Auto um die Batterie herum konstruiert. Es ist darauf getrimmt, effizient mit der gespeicherten Energie umzugehen.

Wie lange dauert es, die Batterie aufzuladen?


Das hängt davon ab, wie Sie laden. Via Gleichstromschnellladung können Sie binnen 30 Minuten Strom für etwa 150 Kilometer nachladen. Oder Sie laden es in etwa anderthalb Stunden komplett auf. Wenn Sie den Ampera-e via Haushaltssteckdose laden, dauert es länger. Allerdings werden Sie dieses Auto selten leer fahren. Professionelle Nutzer werden das vielleicht mal tun. Die haben dann aber auch Zugang zu einer Gleichstromladestation.

Ist dieses Auto wirklich sauberer? Der Strom kommt ja nicht aus der Steckdose, sondern aus einem Kraftwerk.


Die Antwort ist einfach: Es hängt davon ab, wie der Strom erzeugt wird. Kommt er aus Kohle, werden Dieselfahrzeuge CO2-effizienter sein. Kommt er aus erneuerbaren Quellen wie Windenergie, ist der Ampera-e klar im Vorteil. Es kommt also auf den Strommix an. Man kann Verbrennungsmotoren weiter optimieren, was wir auch machen. Aber wir müssen ebenso die Elektromobilität für die Breite akzeptier- und nutzbar machen, wenn wir als Gesellschaft unsere Klimaziele erreichen wollen.

Auf Seite 2: Wie Opel-Chef Neumann die Chancen sieht, bis 2020 insgesamt eine Million E-Autos auf deutschen Straßen zu sehen





Die Bundesregierung will 2020 eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen fahren sehen. Wird das was?


Neue Technologien brauchen Zeit - und die notwendige Infrastruktur. Aber die Autoindustrie ist jetzt bereit für das Zeitalter der Elektromobilität. Und wir sind mit dem Ampera-e Vorreiter.

Also wird es bis 2020 nichts mit der Million?


Eine Gesellschaft braucht ambitionierte Ziele. Die Automobilbranche überbietet sich derzeit mit neuen Ankündigungen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die gesellschaftliche Vision von CO2-neutraler Mobilität ist nur mit Elektromobilität erreichbar - sei es mit Batterie oder Brennstoffzelle.

Dahin prügelt Sie die Politik, oder?


Es ist von essenzieller Bedeutung, dass die Politik einen verlässlichen Rahmen vorgibt. Nur dann werden die Ressourcen in die richtige Richtung gelenkt.

Seit einigen Monaten gibt es bis zu 4000 Euro "Umweltprämie" für E-Autos. Die Verkäufe laufen dennoch schlecht. Das heißt: Sie bieten ein Produkt an, das die Menschen nicht wollen.


Ich würde sagen, der Markt ist noch nicht ganz reif. Auch weil die Menschen noch nicht genau wissen, was sie von Elektroautos erwarten können. Das ändern wir nun mit dem Ampera-e.

Die Leute haben Angst, dass die Reichweite zusammenfällt, wenn sie Licht, Scheibenwischer und Sitzheizung anschalten. Muss man damit auch im Ampera-e sparen?


Nein. Natürlich wird die reale Reichweite auch von Umweltbedingungen wie der Außentemperatur abhängen. Aber in der Ampera-e-Batterie ist sehr viel Energie gespeichert. Licht und Scheibenwischer machen ihr kaum etwas aus. Wie gesagt: Wir fuhren unter realen Bedingungen 417 Kilometer von London nach Paris und am Ende waren sogar 80 Kilometer Reichweite übrig.

Warum ist dieses Auto eigentlich deutlich kleiner als sein Vorgänger, der Ampera ohne "e"?


Weil wir jetzt in der Lage sind, es kleiner zu bauen. Der erste Ampera war ja ein Plug-in-Hybrid, bei dem vorn ein Verbrennungsmotor untergebracht war. Den braucht der Ampera-e nicht mehr. Und die Batterie ist im Boden des Fahrzeugs verbaut. Der Innenraum ist richtig groß. Wir haben ein Auto gebaut, das viel Innenraum bei weniger äußerer Größe bietet. Das ist die Zukunft.



Der Vorgänger-Ampera hatte eine futuristische Optik. Wir wollen nicht unhöflich sein, aber dieses Auto erscheint eher bieder.


Das Auto ist alles andere als bieder. Das spüren Sie auch beim Fahren.

Na ja, dieses Auto ist schon brav.


Es ist eben kein Auto, das schreit: Schaut her, ich bin ein Elektroauto! Dabei ist die Beschleunigung ein besonderes Erlebnis. Mit seinen 204 PS beschleunigt er von null auf Tempo 50 in nur 3,2 Sekunden.

Tesla schminkt seine Autos auf Ferrari.


Ich rede ungern über Wettbewerber. Nur: Unser Ampera-e ist kein Öko-Luxus und kein Spielzeug. Der Ampera-e soll für die breite Masse da sein. Opel demokratisiert mit dem Ampera-e das Elektroauto.

Warum haben Sie ihn wie den Vorgänger genannt? Der war nicht gerade ein Erfolgsmodell.


Der Ampera war ein tolles Auto - und Ampera ist ein schöner Name. Mit dem Ampera war Opel Pionier der Elektromobilität. Allerdings war das Auto seiner Zeit ein Stück voraus. Wir mögen das alte Auto eben immer noch.

"Alt" haben Sie gesagt.


Der Ampera ist ausgelaufen, insofern darf ich ihn als alt bezeichnen. Meine Frau war übrigens ziemlich traurig darüber, dass sie keinen mehr bekommen kann. Sie ist ihn täglich gefahren und mit den 70 bis 80 Kilometern, die sie mit der Batterie durchfahren konnte, perfekt hingekommen. Aufgeladen hat sie ihn jede Nacht an der Haushaltssteckdose in unserer Garage. Für längere Strecken war der Verbrennungsmotor da. Und da "Ampera" bei vielen Kunden nach wie vor einen sehr guten Klang hat, haben wir ihn wieder verwendet und ein "e" angehängt.

Ein E-Auto braucht weniger Motor und Getriebe - also jene Komponenten weniger, die die Stärke der deutschen Automobilindustrie ausmachen. Wird ihre Branche durch E-Autos wegschrumpfen?


Nein. E-Autos können auch hierzulande gebaut werden, wenn der Markt dafür reif ist. Aber klar, für jedes E-Auto brauchen wir einen Verbrennungsmotor und ein Getriebe weniger. Das bedeutet eine riesige Veränderung für die Industrie.

Wie viel weniger Arbeitsstunden brauchen Sie für ein E-Auto im Vergleich zu Benziner und Diesel?


Die Zellenerzeugung für die Batterie ist relativ stark automatisiert. Die Montage der Batterien läuft manuell. Es sind sicher einige Stunden weniger.

Auf Seite 3: Kosten E-Autos Arbeitsplätze?



Der Betriebsratschef von Daimler warnt, durch Elektromobilität könnten Arbeitsplätze wegfallen. Fallen dem auch Opel-Mitarbeiter zum Opfer, sollte der Ampera-e erfolgreich werden?


Die Automobilindustrie ist mit tiefgreifenden Veränderungen konfrontiert und hat gelernt, diese anzunehmen. Elektromobilität ist ein immens wichtiges Zukunftsthema. Wenn nicht wir die Autos der Zukunft produzieren und verkaufen, werden es andere tun. Deshalb ist es gut, dass Deutschland nicht das letzte Land ist, das eine Kaufprämie einführt: Wir brauchen aber auch die beste Infrastruktur für Elektromobilität.

Wie viel deutsches Know-how steckt noch im Ampera-e?


Wir arbeiten in unserem Opel-Entwicklungszentrum mit mehr als 7000 Ingenieuren für General Motors weltweit. Insofern steckt in vielen Autos unseres Konzerns, die etwa in China und Nordamerika verkauft werden, auch viel von Opel. Der Ampera-e ist von Anfang an eine gemeinsame Entwicklung von Opel und Chevrolet gewesen.

Ist Elektromobilität überhaupt ein deutsches Thema?


Die Elektromobilität wurde in den vergangenen Jahren stark aus den USA und aus China getrieben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Technologie mit dem Ampera-e auch in Europa erfolgreich machen werden und Elektromobilität für unser Entwicklungszentrum Rüsselsheim noch sehr wichtig sein wird.

Investieren Sie noch in Dieselmotoren?


Ja! Das Potenzial herkömmlicher Verbrennungsmotoren ist noch nicht ausgereizt. Aber natürlich werden alternative Antriebe, ganz besonders die Elektromobilität, immer wichtiger.

Wird der Dieselmotor im Zuge des Betrugsskandals bei VW zu Recht von Politikern totgeredet?


Aus meiner Sicht wird da vieles sachlich nicht korrekt begründet. Ja, die Automobilindustrie hat Fehler gemacht - aber daraus gelernt. Wir bei Opel haben schon im Dezember 2015 angekündigt, offener mit Emissionen, Verbräuchen et cetera umzugehen. Auch beim Elektroauto.

Mit wem würden Sie gern die nächste Probefahrt machen?


Mit Tesla-Chef Elon Musk.

Copyright: Tichys Einblick - Heft Nr. 1