Das Schienennetz in Deutschland wurde jahrelang kaputt gespart. Jetzt muss kräftig investiert werden

Es hat eine Weile gedauert, aber jetzt ist das 49-Euro-Ticket da. Seit Anfang Mai können Fahrgäste mit diesem deutschlandweit Regional- und Nahverkehrszüge nutzen. Die Nachfrage war so groß, dass es zeitweise zu Störungen auf der DB-Website und der DB-Navigator-App kam. Laut dem Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) wurden bereits mehr als sieben Millionen Tickets verkauft. Schätzungen zufolge sollen 5,6 Millionen Menschen erstmals für ein Abo für den Schienenverkehr überzeugt werden.

Die Verkehrsbetriebe haben also mit steigenden Fahrgastzahlen zu rechnen. Diese treffen jedoch auf ein in weiten Teilen marodes Schienennetz. Viele Brücken, Weichen und Bahnübergänge müssen ausgetauscht beziehungsweise neu gebaut werden. Bei der Deutschen Bahn herrscht ein regelrechter Investi- tionsstau. Laut dem vor Kurzem veröffentlichten Netzzustandsbericht sind mindestens 89 Milliarden Euro notwendig, um überfällige Sanierungen nachzuholen. Intern ist sogar von mehreren zehn Milliarden Euro die Rede, die noch dazukommen müssten. Laut dem Netz- zustandsbericht sind beispielsweise 30 200 Weichen und 9 600 Brücken in einem mittelmäßigen oder schlechten Zustand. Mittelmäßig bedeutet dabei nach offizieller Definition der Deutschen Bahn bereits instandsetzungsbedürftig.

Großes Marktvolumen

Es gibt viel zu tun für Unternehmen wie Vossloh, einen wichtigen Player im Bereich der Bahninfrastruktur. Das Produktportfolio umfasst neben Schienen- befestigungs- auch Weichensysteme und Signaltechnik. Außerdem bietet Vossloh die Wartung von Bahninfrastruktur über den Geschäftsbereich Lifecycle Solutions an. Dazu gehören beispielsweise die Analyse des aktuellen Schienenzustands und die Schieneninstandhaltung. Mit dem HSG-2- Schienensonderfahrzeug bietet Vossloh sogenanntes „High Speed Grinding“ an. Dank der hohen Arbeitsgeschwindigkeit von bis zu 80 Kilometer pro Stunde lässt sich das für die Instandhaltung notwendige Schleifen flexibel in den Fahrplan einpassen. Mit bisherigen Fahrzeugen ist das Abfräsen nur bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten möglich, weshalb Strecken gesperrt werden müssen. Es besteht also ein erhebliches Interesse für Bahnkonzerne, die neue Technik einzusetzen. Laut Vossloh sind seine Produkte in über 100 Ländern im Einsatz. Vor Ort ist das Unternehmen auch in wichtigen Märkten wie Australien, Kanada und den USA präsent. In Australien ist das Tochterunternehmen Austrak etwa der größte Hersteller von Betonschwellen, die beim Bau von Gleisen unerlässlich sind. Mit einer Gesamtlänge von rund 294 000 Kilometern sind die USA das Land mit dem größten Schienennetz und so ebenfalls ein besonders relevanter Markt für Vossloh. Seit das Unternehmen im Januar 2017 den Hersteller Rocla Concrete Tie übernommen hat, gehören auch Betonschwellen zum nordamerikanischen Produktangebot des Unternehmens. Der Bahntechnikkonzern produziert nicht nur Schienen, Betonschwellen und Signaltechnik, er baut diese auch ein und bietet sich über die Logistik­sparte sogar als Manager für Großbaustellen im In- und Ausland an. 

Auch das deutsche Unternehmen Knorr-Bremse ist ein wichtiger internationaler Player im Bereich Bahninfrastruktur. Neben Bremssystemen gehören Klimaanlagen, Steuerungskom­ponenten sowie Bahnsteigtüren und Fahrerassistenzsysteme zum Angebot des Konzerns. Der Bahnausrüster will zudem im Güterverkehr künftig eine wichtige Rolle spielen, dabei setzt sich Knorr-Bremse selbst große Ziele. Digital gekuppelt Ab 2026 will das Unternehmen zum führenden Anbieter von automatisierten Systemlösungen für den Güterverkehr werden. Knorr-Bremse arbeitet an einer sogenannten digitalen automatischen Kupplung (DAK), deren Einsatz zu einem effizienteren Zugbetrieb führen soll. In Europa werden Güterwagen im Schienenverkehr bisher überwiegend noch mit Schraubenkupplungen per Hand gekuppelt. Mit einer DAK hingegen können Güterwagen automatisch gekuppelt werden, mitsamt Luftleitungen für die Bremsen sowie Strom- und Datenleitung. Durch die Ermöglichung einer durchgängigen Strom- und Datenleitung über alle Güterwagen ist die DAK ein wesentlicher Baustein für die Digitalisierung und Automatisierung des Schienengüterverkehrs. Mit rund 500 000 Güterwagen und 17 000 Lokomotiven, die manuell gekuppelt werden, bildet dieser einen enormen Zukunftsmarkt für Automatisierung und Digitalisierung. Zudem sollen bis 2030 in der EU erhebliche Anteile der Güter, die heute per Lkw transportiert werden, auf die Schiene verlagert werden. Außer im Bereich Bahntechnik ist Knorr-Bremse auch im Bereich Nutzfahrzeuge aktiv. Das Unternehmen rüstet etwa Lkw, Busse und Anhänger mit Bremssystemen aus. Im Geschäftsjahr 2022 trug die Sparte Nutzfahrzeuge 52 Prozent zum Umsatz bei. Knorr-Bremse beliefert auch den Zughersteller Alstom mit Bremssystemen, der nach Umsatz hinter dem chinesischen Konzern CRRC das zweitgrößte Unternehmen im Bereich Bahntechnik weltweit ist. 

Lesen Sie auch: Siemens-Aktie im Plus: Milliardendeal mit Deutsche Bahn

Milliarden für neue Züge

So wird voraussichtlich auch die Modernisierungsoffensive der deutschen Bahn zu neuen Umsatztreibern bei Alstom führen. Milliarden für neue Züge Mehr als 19 Milliarden Euro sollen bis 2030 in neue Züge fließen. Insgesamt sollen dann deutschlandweit 450 ICE-Züge im Einsatz sein, 100 mehr als noch Ende 2022. Rund 2,5 Milliarden Euro sind dabei für 73 ICE 3 Neo vorgesehen, die von Siemens’ Mobilitätssparte ­gebaut werden. Zu Beginn der 2030er-Jahre soll es dann eine neue ICE-Generation geben. Dafür schickt die deutsche Bahn Siemens und Alstom ins Rennen, die unabhängig voneinander an Konzepten arbeiten sollen. Die bisherigen Flotten entstanden jeweils unter der Federführung von Siemens, der französische Alstom-Konzern war allerdings in wechselndem Umfang ebenfalls am Bau beteiligt. Siemens Mobility ist dabei nicht nur beim Bau von Zügen ein wichtiger Player, sondern auch bei der Digitalisierung von Bahninfrastruktur. In Norwegen realisiert der Konzern ein digitales Leitsystem, mit dem der Schienenverkehr des Landes aus nur einer Zentrale gesteuert werden kann. In Deutschland stehen hingegen noch alle 16 Kilometer elektrische Stellwerke. Laut Mobility-­Chef Michael Peter müssten dazu alle 60 000 Weichen in Deutschland ausgetauscht werden, nicht nur die maroden. 2022 entfielen rund 13 Prozent des Umsatzes von Siemens auf die Sparte Mobility. Wer ausschließlich auf das Wachstum im Schienenverkehr setzen möchte, ist mit der Alstom-Aktie besser beraten. Denn neben Hochgeschwindigkeitszügen wie dem TGV baut Alstom auch Regionalzüge, U-Bahnen und Trambahnen, kann also auch vom Ausbau des Nahverkehrs profitieren.

Hinweis auf Interessenkonflikte
Der Autor hält unmittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Vossloh, Knorr-Bremse