Auf die Mieter kommen nun Nachzahlungen zu. Die Deutsche Wohnen - der größte private Vermieter in der Hauptstadt - will im Schnitt rund 430 Euro je betroffenem Mieter zurückfordern. Das Land Berlin zeigte sich von der Entscheidung enttäuscht und sieht nun ebenso wie der Mieterbund den Bund in der Pflicht. "Die mittlerweile bundesweit vorherrschende Wohnungsnot muss endlich energisch vom Bund bekämpft werden", sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD). Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) forderte, es dürfe keine weiteren Anläufe für eine Deckelung der Mieten geben. Wohnungsnot und steigende Mieten in den Metropolen dürften im Bundestagswahlkampf nun eine wichtige Rolle spielen.

Der Berliner Mietendeckel war bundesweit einmalig. Am 23. Februar 2020 wurden die Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen für fünf Jahre eingefroren, und zwar auf dem Stand vom Juni 2019. Erst ab 2022 sollten Erhöhungen von höchstens 1,3 Prozent jährlich möglich sein. Bei einem Mieterwechsel musste sich der Vermieter an die zuletzt verlangte Miete halten. Zudem galt eine Obergrenze für Mieten. Ein Überschreiten der Obergrenze um mehr als 20 Prozent war gesetzlich verboten und konnte mit hohen Geldbußen geahndet werden. Mieter konnten zu viel gezahltes Geld zurückverlangen.

Doch die Verfassungsrichter erklärten das Gesetz einstimmig für nichtig und gaben der Klage von 284 Bundestagsabgeordneten der Union und der FDP statt. Auch zwei Berliner Zivilgerichte hatten Karlsruhe um Klärung gebeten. Da der Bund bereits 2015 die Mietpreisbremse beschlossen hatte, liege die Gesetzgebungsbefugnis ausschließlich bei diesem, erklärte das Bundesverfassungsgericht. Das Land sei nicht berechtigt gewesen, einen Sonderweg zu gehen. Da das Gesetz der Entscheidung zufolge von vorn herein ungültig war, kann es nun zu Rückforderungen von Vermietern kommen. (AZ: 2 BvF 1/20 2 BvL 4/20 2 BvL 5/20)

Bei dem Urteil sei es nur um die Frage der Kompetenz gegangen, betonte Müller. "Das Urteil sagt jedoch nichts über die Maßnahmen des Mietendeckels aus, die wir nach wie vor für richtig und notwendig halten." Ein Mietenmoratorium in Märkten mit angespannter Wohnlage muss zügig auf den Weg gebracht werden, sagte der SPD-Politiker. "Das ist spätestens für die neue Bundesregierung eine der zentralen Aufgaben."

Die vom Bund 2015 verabschiedete Mietpreisbremse ist weniger einschneidend als der Berliner Mietendeckel, weil sie kein Einfrieren der Mieten enthält. Nach der bundeseinheitlichen Mietbremse dürfen bei Neuvermietungen in Gebieten mit knappem Wohnungsangebot die Preise maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Miete liegen. Mieterhöhungen in bestehenden Verträgen müssen sich an der ortsüblichen Vergleichsmiete beziehungsweise dem Mietspiegel orientieren. Berlin wird sich nun an die bundesweit geltenden Vorschriften halten müssen.

MIETERBUND: GESETZGEBER MUSS MIETENEXPLOSION STOPPEN


Für Mieter in Berlin bedeutet das Urteil, dass sie gegebenenfalls auch die Differenz zwischen der Mietendeckelmiete und der Vertragsmiete nachzahlen müssen. Der Deutsche Mieterbund nannte die Karlsruher Entscheidung "bitter". "Aber sie ist auch ein lauter Weckruf an den Bundesgesetzgeber endlich zu handeln und die Mietenexplosion in vielen deutschen Städten zu stoppen!", sagte Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten. Müller appellierte an die Vermieter, sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst zu sein. "Wir werden jetzt prüfen, inwieweit wir soziale Härten bei Nachforderungen an Mieterinnen und Mieter abfedern können", kündigte der Regierende Bürgermeister an.

Der Wohnungskonzern Vonovia erklärte, keine Nachzahlungen zu verlangen. Die Deutsche Wohnen begrüßte die Entscheidung aus Karlsruhe und will sich die Differenz zwischen ursprünglicher und gedeckelter Miete dagegen erstatten lassen. Im Durchschnitt lägen die Rückforderungen an die betroffenen Mieter bei rund 430 Euro, erklärte ein Sprecher. Kein Mieter werde durch die Entscheidung seine Wohnung verlieren.

SEEHOFER: "BAUEN, BAUEN, BAUEN"


Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) bezeichnete den Mietendeckel als "baupolitisch völlig falschen Weg". Um der Wohnungsknappheit zu begegnen, gebe es dagegen nur eine Devise: "bauen, bauen, bauen!" Ähnlich äußerte sich die FDP. "Das verfassungswidrige Instrument hat nachweislich nicht zu mehr bezahlbarem Wohnraum geführt", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann. "In Berlin werden Neubauprojekte verschoben, Sanierungen eingespart und die Schlangen bei den Wohnungsbesichtigungen werden länger statt kürzer."

Zur Verbesserung der Wohnsituation setzt der rot-rot-grüne Berliner Senat unter anderem auf die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. "Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten konsequent umsetzen und weiterentwickeln. Vor allem aber werden wir weiter als Land Wohnungen ankaufen", sagte Müller.

Der Mietendeckel hatte bereits nach seiner Einführung Spuren in den Bilanzen der beiden größten deutschen Immobilienkonzerne Deutsche Wohnen und Vonovia hinterlassen. Die Deutsche Wohnen hatte etwa ihre Gewinnprognose 2021 an das Aus für den Berliner Mietendeckel geknüpft. Sie verfügt über rund 116.000 Wohnungen im Großraum Berlin. Die Bestandsmieten der Deutsche Wohnen waren durch die Deckelung im vergangenen Jahr in Berlin um rund sechs Prozent geschrumpft. Die Deutsche-Wohnen-Aktien stiegen am Donnerstag um fast drei Prozent an die Spitze des Leitindex Dax.

rtr