Experten von AllianceBernstein, BlackRock, DekaBank, HanseMerkur Trust und Warburg Invest im Gespräch mit €uro-Redakteur Ludwig Riepl.



Die Gesprächspartner

Victoria Arnold ist Director bei BlackRock und betreut seit 2018 den Vertrieb von iShares ETFs und Index-Anlageprodukten an deutsche Unternehmen und Pensionseinrichtungen. Zudem ist sie ESG-Ansprechpartnerin (D-A). Vorher war sie drei Jahre bei DWS und sieben Jahre bei BNP Paribas tätig. Sie hat ein "Diplôme de Grande École" der ESCP Business School Paris.
Christian Aselmann verantwortet als Sustainable Investment Manager und ESG Officer sowohl das Nachhaltige Anlagekonzept Warburg Invest Responsible als auch die Corporate Sustainability Policy. Er ist Certified ESG Analyst und hat einen Masterabschluss in Management. In die Warburg Gruppe ist er 2014 als Trainee eingestiegen.
Jon Gallop ist seit 2019 Leiter für nachhaltige Investments bei der HanseMerkur Trust AG. Er ist mit über 25 Berufsjahren ein ausgewiesener Nachhaltigkeitsexperte. Zuvor war er unter anderem als Vorstand der nachhaltigen Pensionskassengruppe Hannoversche Kassen, als kaufmännischer Leiter der Stiftungsholding GLS Treuhand und als Unternehmensberater tätig.
Hussam Masri ist Leiter Private Banking und Produktmanagement bei der DekaBank. Seit 2002 ist er in verschiedenen Führungsfunktionen der Deka-Gruppe tätig. Der Diplom-Betriebswirt und Finanzökonom verfügt über mehr als 20 Jahre Management- und Vertriebserfahrung in der Asset-Management- und Derivateindustrie.
Dr. Martin Dilg betreut bei AllianceBernstein seit 2016 mit seinem Team die professionellen Kunden (D-A-CH sowie Osteuropa). Von 2011 bis 2014 war er bei Baring AM für Institutionelle (D, A) zuständig. Davor verwaltete er bei der Fürst Fugger Privatbank über zwölf Jahre hinweg preisgekrönte Dachfonds (5 Sterne von Morningstar, Citywire A-Rating) und institutionelle Mandate.

Ist Nachhaltigkeit zum beherrschenden Thema der Investment-Industrie geworden?


Victoria Arnold (Direktorin und ESG-Ansprechpartnerin - Deutschland, Österreich, Osteuropa - BlackRock): Das Thema hat in den zurückliegenden Jahren enorm Fahrt aufgenommen. Für den europäischen ETF-Markt war bereits 2019 ein Rekordjahr, 2020 haben sich die Zahlen verdreifacht und 2021 gab es bereits in den ersten sechs Monaten fast so viele Nettomittelzuflüsse in nachhaltige Produkte wie im Gesamtjahr 2020. Mittlerweile geht annähernd so viel Geld in nachhaltige Anlagestrategien wie in normale. Auch die Zahl der entsprechenden ETF-Sparpläne hat Rekordzahlen erreicht. Zu dieser rasanten Beschleunigung hat nicht nur die europäische Regulierung beigetragen. Auch die erwiesene Stabilität der bisherigen Produkte in derschwierigen Covid-Zeit überzeugt Anleger und die Industrie.

Hussam Masri (Leiter Private Banking und Produktmanagement, DekaBank): Die Gesellschaft verändert sich. Klimaschutz ist längst kein Nischenthema einzelner Interessenverbände oder Politiker mehr. Bei Kirchen, Verbänden und Stiftungen ist verantwortliches Investieren schon lange ein dominantes Thema. Inzwischen beziehen aber auch Privatanleger diese Fragestellung stärker in ihre Anlageentscheidungen mit ein. Und durch zahlreiche neue regulatorische Rahmenbedingungen müssen sich auch die Anbieter von Anlageprodukten intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen. Da es aber weiterhin unterschiedliche Kundeninteressen gibt, werden die meisten Anbieter eine Produktwelt mit und eine Angebotspalette ohne dezidiert nachhaltige Ausrichtung haben …

Christian Aselmann (Sustainable Investment Manager und ESG Officer, Warburg Invest): … zumal es ja nicht nur eine, sondern viele Auffassungen von Nachhaltigkeit gibt. Ein Beispiel: Im kirchlichen Bereich sind in der Regel andere Werte gefragt als bei Privatanlegern. Auch unter Letzteren gibt es unterschiedliche Sichtweisen. So legt der eine mehr Wert auf Tierschutz, einem anderen mag der Aspekt Klimaneutralität wichtiger sein, und einem dritten liegt zum Beispiel die Vermeidung genmanipulierter Nahrungsmittel am Herzen. Wir als Anbieter haben die Aufgabe, die jeweiligen Vorstellungen in einem Produkt plausibel und performant zu überführen.

Jon Gallop (Leiter nachhaltige Investments HanseMerkur Trust): Institutionelle Anleger arbeiten fast immer in Rechtfertigungszusammenhängen. Über Family Offices, Unternehmen, Verbände oder Einzel-Stiftungen wachen Öffentlichkeit und Gremien mehr oder minder stringent. Hier ist eine neue Notwendigkeit entstanden. Man fragt nicht mehr: Muss ich? oder: Mache ich es trotzdem?, sondern handelt. Es geht in den Transitions-Beratungen, die ich durchführe, darum, konventionelle Portfolios nachhaltig zu gestalten. Egal ob Landeskirche, Stiftung oder Industrieunternehmen, die vornehmliche Frage ist: Wie kommen wir von konventionell zu nachhaltig? Anders gesagt, ethische Motivation ist keine Grundprämisse mehr. Es geht nach dem Motto "wir sollten wohl, wir müssten wohl" in die Breite und in die Tiefe. Der eine ist dabei proaktiv, der andere zurückhaltender.

Welchen Bereichen sind denn die zurückhaltenden Industrien zuzuordnen?


Gallop (HanseMerkur Trust): Das ist weniger eine Frage der Segmente als der Größe. Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern müssen ja transparent über Umwelt-, Sozialund Arbeitnehmerbelange, Korruption und Menschenrechte Auskunft geben. Solche CSR-Berichte werden von PR-Experten selbstbewusst formuliert. Es gibt darunter auch sehr "kreative" Ausgestaltungen, deren Lyrik bisher durch eine fehlende Definition von Nachhaltigkeit gedeckt wird. Mit der EU-Taxonomie erleben wir jetzt eine Veränderung. Auch wenn man deren Details differenziert diskutieren kann, macht die Festlegung einigem Schein den Garaus. So gesehen ist es ein Fortschritt, dass wir den leeren Raum von Brüssel aus besetzt bekommen.

Dr. Martin Dilg (Head of Wholesale - D-A-CH - AllianceBernstein): Der Boom hin zu mehr Nachhaltigkeit hat viel Gutes, aber auch seine Schattenseiten. So werden zu viele zu schnell vom Saulus zum Paulus. Angesichts der enormen Dynamik in den zurückliegenden Jahren muss man sich auch fragen, ob nicht einzelne Teile der Branche im Bemühen, stets der Beste, der Schnellste, der Tollste zu sein, übers Ziel hinausschießen und den dritten Schritt vor dem zweiten machen wollen. Als Qualitätsanbieter muss man einen soliden Investmentprozess aufsetzen und darf sich nicht von einem überschwänglichen Marketing fortreißen lassen, so verlockend das angesichts der Nachfrage- Dynamik auch sein mag.

Folglich wäre für Teile der Industrie eine gewisse Zurückhaltung zu fordern.


Dilg (AllianceBernstein): Die Investmentwelt ändert sich nicht von heute auf morgen. Und reinrassig nachhaltige Titel stehen nicht in beliebiger Menge zur Verfügung. Man kann also mit etwas Greenwashing die Kriterien verwässern oder muss ein deutlich eingeschränktes Investmentuniversum in Kauf nehmen. Dazu verleitet die schwammige Begrifflichkeit. So sind die ESG-Vorgaben plakativ, aber nichts bahnbrechend Neues - das Kürzel steht für Environmental, Social und Governance (Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung). Nur, jeder gute Fondsmanager achtet bei seiner Titelauswahl seit jeher peinlich genau auf das "G". Bei "E" und "S" übernimmt zunehmend ein Oligopol von unterschiedlichen Ratingagenturen die Deutungshoheit. Auch bei den anderen in Mode gekommenen Kürzeln SRI (Social Responsable Investment) oder SDG fehlt bisher eine verpflichtende Nomenklatur, an der sich jeder orientieren muss …

Aselmann (Warburg Invest): … wobei das breite Interesse den Wandel treibt. Die Datenbasis verbreitert sich schnell, hat aber noch nicht in jedem Bereich die gleiche Tiefe erreicht. Gerade bei Nebenwerten sehen wir Datenlücken in der ESG-bezogenen Berichterstattung. Wir nähern uns diesem Segment durch die Datenerhebung über einen von uns entwickelten Fragebogen, der Nachhaltigkeitsaspekte bewertet. Zudem muss man die erreichte Auswirkung erfassen. Das gelingt längst nicht überall so gut wie bei nachhaltigen Bonds, die beispielsweise direkt auf die Reduktion von Treibhausgasemissionen abzielen. Als Experten müssen wir hier diverse Effekte berücksichtigen und im Blick behalten. Nur so schaffen wir für unsere Kunden Transparenz, damit sie zu einer fundierten Investitionsentscheidung kommen können.

Wie gut sind private und institutionelle Anleger mit dem Thema vertraut?


Dilg (AllianceBernstein): Das Interesse an Nachhaltigkeit steigt. Es ist aber dahingestellt, ob die breite Kundschaft die Zusammenhänge verstehen kann, die selbst eingearbeitete Profis nur mit entsprechender Unterstützung entschlüsseln können. Der gute Wille, etwas Gutes für die Umwelt zu tun, ist nicht ohne Weiteres in Produktprämissen umzusetzen. Daher müssen wir als Anbieter die unterschiedlichen Meinungen und Ansätze diskutieren und nach außen tragen, statt dogmatisch an Formulierungen und Nachhaltigkeitsstandards festhalten, die irgendjemand in New York oder sonstwo in die Welt gesetzt hat.

Gallop (HanseMerkur Trust): Die Vorkenntnisse der institutionellen Anleger sind breit gestreut. Ich bin manchmal irritiert - und manchmal total beeindruckt, wie gut informiert die Anleger sind. Egal, ob sie nun persönlich ökologisch motiviert sind oder nicht, sie beschäftigen sich mit der Materie. Natürlich wird nicht jeder Assetmanager die 169 Unterziele der Sustainable Development Goals diskutieren, der Kapitalanlage- Leiter einer mittelständischen Pensionskasse sollte aber im Jahr 2021 die 17 SDGs nicht nur vom Bierdeckel kennen. Mit vielen ist sofort ein fachlicher Austausch möglich, einige wenige sagen eher allgemein: Jetzt ist der Pariser Klimavertrag angesagt.



Arnold (BlackRock): Auch bei unseren Kunden ist der Wissensstand nicht einheitlich. Institutionelle, Großkunden (Wealth Retail) und Privatanleger verfolgen aber auch unterschiedliche Ziele und müssen dazu die passenden Strategien finden. Ob Pensionskasse, Vermögensverwaltung oder Privatanleger - jeder muss definieren, was Nachhaltigkeit für ihn bedeutet und wo dies in der Produktwelt entsprechend widergespiegelt ist. Da ist viel Aufklärungsarbeit zu leisten, obwohl auch wir bereits heute viele Kunden haben, die wirkliche Spezialisten sind, was Regulierung, SDGs oder geeignete Investmentstrategien angeht.

Nicht wenige Anleger sind aber auf eine ausführliche Beratung angewiesen.


Masri (DekaBank): Ja, denn der Anleger muss nicht zwingend die UN-Klimaziele kennen oder sich mit den unterschiedlichen ESG-Kriterien auskennen. Er kann seine subjektive Meinung zu Nachhaltigkeit aber von Experten umsetzen lassen. Die Beratung, die in der Fläche in den Sparkassen stattfindet, bietet diesen Mehrwert. Sie filtert heraus, was der Kunde unter Nachhaltigkeit versteht und welche Strategien und Produkte dazu passen. Diese Transformation steht erst am Anfang, aber sowohl die deutsche Bevölkerung wie die Fonds-Industrie nehmen heute eine ganz andere Position ein als vor zehn Jahren. Wir sind insgesamt auf einem richtigen und guten Weg.

Dilg (AllianceBernstein): Man muss Anlegern trotzdem den Investmentprozess erklären. Wodurch unterscheidet sich eine Strategie von einer anderen? Und: Welche Implikationen hat es, die eine oder andere oder eine Kombination von mehreren Strategien zu betreiben? und: Wann sind konventionelle Fonds die bessere Wahl? Unternehmensweit muss sich jeder Manager mit solchen Fragen auseinandersetzen. Wir haben zusammen mit der Columbia University auf Klima-Einflüsse aufmerksam gemacht und gezielt darauf hin geschult. Das Material haben wir auch qualifizierten Kunden zur Fügung gestellt und darauf eine sehr positive Resonanz erfahren. Wir sind also aktiv dabei, ohne in ein Windhundrennen einzusteigen, das keinen Sinn macht.

Arnold (BlackRock): Grundsätzlich kann man fördernde und vermeidende Ansätze unterscheiden. Zu Letzteren gehört es, Geschäftsfelder oder Segmente per se auszuschließen oder nur bis zu einer prozentualen Grenze zuzulassen. Was bei Streubomben eindeutig ist, wird aber beispielsweise bei Kernkraft und Todesstrafe schon schwierig und hat bei der Erdöl-Industrie von der Exploration bis zum Chemie-Unternehmen eine breite Streubreite. Auch die fördernden Strategien sind sehr differenziert zu betrachten. Sie haben nur einen gemeinsamen Nenner: eine nachhaltige Anlagestrategie. Diese kann jedoch unterschiedlich ausgestaltet sein. Hier gibt es historisch gewachsene PRI-Kriterien (Principles of Responsible Investment), die Beschränkung auf die ESG-Vorreiter oder die Auswahl nach reduzierten CO2-Emissionen. Es gibt die europäischen Klima-Benchmarks, die "Transition"- und die "Paris- aligned"-Benchmark, die beide in unterschiedlicher Weise auf Klimaverbesserung abzielen. Dazu kommen themenbezogene Strategien, von "Inclusion and Diversity" bis hin zu erneuerbaren Energien oder Wasser als Ressource. Darüber hinaus gibt es eine weitere, wirkungsbezogene Kategorie, die sogenannten Impact-Strategien, wo man mit seinem Investment eine gezielte Wirkung hat und diese messen und reporten kann, wie etwa bei grünen Anleihen.

Masri (DekaBank): Welchem Pfad man folgt, hat allerdings nur eine zweitrangige Bedeutung. Auch die stärkere Berücksichtigung von Impact Investing, normbasiertem Screening oder Stimmrechtsausübung sind als Themen wichtig. Sie entscheiden aber nicht über die einzuschlagende Richtung.



Aselmann (Warburg Invest): Man muss für Transparenz sorgen. Für unsere nachhaltigen Publikumsfonds veröffentlichen wir ein ESG-Factsheet mit umfangreichem Glossar, um den Kunden die wichtigsten Merkmale zu erläutern. Daneben finden wir im direkten Dialog mit unseren Kunden die passende Anlagestrategie, um die Investmentziele nachhaltig zu erreichen.

Welche fördernden Strategien gibt es in nachhaltigen Investments?


Masri (DekaBank): Ohne uns darauf zu beschränken, ist der Best-in-Class-Ansatz ein sehr gebräuchlicher Ansatz, der aber unterschiedlich differenziert ausfällt. Die Deka berücksichtigt eine Vielzahl von ESG-Kriterien - vom Umweltmanagement über Energie- und Wasserverbrauch bis zu Menschenrechten, Arbeitsschutz und Gesundheit. Dabei nutzen wir beispielsweise MSCI, imug und Vigeo Eiris als Datenprovider und brechen mit eigener Expertise deren Aufteilung branchenweit herunter. Best-in- Class kann als ein Auswahlverfahren verstanden werden, mit dem Unternehmen identifiziert werden sollen, die absolut oder im Branchenvergleich eine vergleichsweise hohe ESG-Ausrichtung aufweisen. So kommt man zu einem reduzierten Investment- Universum, mit dem dann das klassische Portfolio-Management erst beginnt, das weitere nachhaltige Kriterien nutzt.

Dilg (AllianceBernstein): Aktuell nutzt man am besten mehrere Strategien, etwa indem man mit Best-in-Class und Best-in-Progress bereits Erreichtes und angestrebtes Improvement honoriert. Wer diversifizieren will, muss wohl oder übel auch in Erdöl oder Flugzeuge investieren. Es gibt aber auch in "schlechten" Branchen aus ESG-Sicht mehr und weniger attraktive Unternehmen. Wenn die Industrie solche Titel gezielt fördert, werden viele besser werden, und das Investment- Universum weitet sich wieder aus. Damit erreicht man mehr als mit einem dogmatischen rechthaberischen Standpunkt.

Gallop (HanseMerkur Trust): Mit der HanseMerkur Versicherung im Hintergrund kombiniert unser Haus vorgeschaltete Ausschlusskriterien mit Best-in-Transition und Klima-Engagement. Dazu prüfen wir je Einzelindustrie, welche Titel sich hinsichtlich der ESG-Kriterien stärker verbessert haben als andere Teilnehmer im gleichen Segment. Die Zielvorgabe ist nicht "dreckig" oder "sauber", sondern "im relevanten Zeitraum stärker sauber geworden als der Wettbewerb". Es geht nicht um das aktuelle Level, sondern um die Veränderung, eben "Best-in-Transition".

Aselmann (Warburg Invest): Wir bereinigen zunächst unser Investment-Universum um Waffenhersteller, Unternehmen der Tabakindustrie sowie aus anderen kritischen Sektoren. Zusätzlich kontrollieren wir in einer kombinierten Systematik bestimmte Kennzahlen wie die CO2-Intensität. Werden zu viele Tonnen CO2 pro erzielter Umsatz-Million emittiert, leuchtet die erste Warnlampe auf. Anhand der MSCI-Daten prüfen wir verschiedene Management-Scores, ob künftig weniger oder mehr saubere Energie verbraucht werden soll. Das schließt Zementoder Stahlhersteller ein, die bereit sind, ihren CO2-Footprint zu reduzieren. Wir kombinieren Best-in-Class und Best-in-Universe, um eine ganzheitliche und im besten Sinne nachhaltige Aussage zu treffen, und wollen keine Sektoren pauschal ausschließen.



Arnold (BlackRock): Das ist ein wichtiges Thema, das über die breite Produktpalette hinausgreift, die wir für unsere unterschiedlichen Kunden bereithalten. So schränkt beispielsweise ein rigider Best-in-Class-Ansatz für bestimmte Zielsetzungen das Investment- Universum zu stark ein. Ein Pensionsfonds hat Zahlungsverpflichtungen, die nicht immer zum Tracking Error passen, den man eingehen muss, zu geringerer Diversifikation und zu höheren Klumpenrisiken. Die klassische Finanztheorie legt andere Portfolio-Zusammenstellungen nahe …

Aselmann (Warburg Invest): … weil man nicht ohne Folgen die Hälfte des Zielinvestments ausschließen kann, was beispielsweise das MSCI-ESG-Leaders-Konzept vorgibt. Unsere nachhaltige Anlagestrategie kommt aggregiert auf etwa 25 Prozent Ausschlüsse im Vergleich zu einem konventionellen Index. Mithilfe der ESG-Integration justieren wir die Titelauswahl neu, um eine höhere CO2-Effizienz und bessere Nachhaltigkeitskennzahlen zu erreichen.

Was genau ist unter Engagement und Impact Investment zu verstehen?


Masri (DekaBank): Ergänzend zur Auswertung der Daten müssen die Gesellschaften sich und ihre Assetmanager ins Spiel bringen. Zu Engagement und Active Ownership gehört, auf Hauptversammlungen die Aktionärsrechte engagiert wahrzunehmen. Wir als Industrie verantworten als Treuhänder das Geld unserer Kunden und müssen dafür sorgen, dass die Unternehmen erfolgreich bleiben. Dazu gehört, die Firmen auch kritisch zu begleiten, Geschäftspraktiken zu hinterfragen sowie eventuelle Probleme anzusprechen - und das nicht nur im Bereich Nachhaltigkeit. Das beginnt kooperativ, kennt aber auch Eskalationsschritte und geht vom vorfühlenden Einzelgespräch "one by one" mit Experten, dem Stab, dem Finanz- oder Marketingvorstand bis hin zu kritischen Redebeiträgen auf der Hauptversammlung.

Arnold (BlackRock): Unsere Stimmrechte nehmen wir als verantwortungsvoller Investor und Treuhänder unserer Kunden wahr. Unser Investment-Stewardship-Team stimmte im ersten Quartal des Jahres auf mehr als 2600 Hauptversammlungen über mehr als 21 000 Vorschläge ab. Hierbei legen wir unter anderem einen Schwerpunkt auf Klimathemen. In den vergangenen zwölf Monaten hat dieses Team das Klima-Fokus- Universum auf über 1000 kohlenstoffintensive Unternehmen ausgeweitet. In über 2300 Dialogen zu Klima und Naturkapital stellten sie bei knapp einem Drittel der Unternehmen mehr Dringlichkeit in Bezug auf das Klima fest …

Dilg (AllianceBernstein): … wobei mich stört, dass viele erst seit ESG aktiv eingreifen. Früher erinnerten Hauptversammlungen immer ein wenig an einen Streichelzoo. Eigentlich gehört es zum normalen Geschäft, dass der Investor seine Rechte und die seiner Anleger wahrnimmt. Gallop (HanseMerkur Trust): Es gibt nach wie vor Investoren, die über sehr hohe Aktienbestände etwa im DAX verfügen und ihre Aktionärsrechte auf den Hauptversammlungen nicht wahrnehmen …

Masri (DekaBank): … wobei ein Redebeitrag auf einer Hauptversammlung nur der letzte Teil eines Investorengesprächs ist. Aber dieser Schritt ist natürlich öffentlichkeitswirksamer als Governance-Gespräche mit dem Aufsichtsrat im Vorfeld.



Aselmann (Warburg Invest): Wir nutzen unsere fundamentale Anlagestrategie, kombiniert mit den Unternehmenskontakten von Warburg Research, um im direkten Dialog mit den Unternehmen unsere Positionen zu relevanten Nachhaltigkeitsaspekten des Unternehmens zu verdeutlichen. Dieses Engagement dokumentieren wir in Veröffentlichungen nachvollziehbar und transparent auf unserer Website.

Und welche Erfahrungen haben Sie in entsprechenden Gesprächen gemacht?


Aselmann (Warburg Invest): Es ist für mich immer wieder spannend, wie unterschiedlich die Gespräche mit Unternehmensvertretern ablaufen. Die einen gehen bereitwillig auf kritische Punkte ein, zeigen sich auch reumütig, wenn etwas schiefgelaufen ist, und stellen konkrete Verbesserungen in Aussicht. Bei anderen wird man den Eindruck einer Alibi-Veranstaltung nicht los. Die handelnden Personen sind aber gut geschult und wissen, wie man sich marketingtechnisch gut darstellt. Die Diskrepanz von Gestik und Aussage erinnert trotzdem an den großen Unterschied zwischen Aussagen aus dem firmeneigenen Hochglanzmagazin und Einschätzungen von unabhängigen Organisationen (NGOs) über das Unternehmen und seine Bemühungen.

Wie sieht es generell mit den Berichtspflichten der Unternehmen aus?


Arnold (BlackRock): Die Berichtspflichten für gelistete Unternehmen werden zukünftig verstärkt geregelt werden, wobei die Offenlegungsverordnung oder die EU-Taxonomie ausschließlich europäische Regelungen sind. Die Berichterstattung bekommt international durch das Sustainability Accounting Standards Board (SASB) und die Task Force on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) gewisse Leitplanken gesetzt. Für die Finanzbranche gibt es in der EU die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), wobei die Pflicht zur Offenlegung bereits besteht, ohne dass die notwendigen Inhalte ebenfalls bereits festgelegt wurden. Trotz eines Walds von neuen Kürzeln sind bisher die Unternehmen im Detail noch nicht wirklich vergleichbar.

Aselmann (Warburg Invest): Die Transparenzpflichten werden sich in den nächsten Monaten und Jahren deutlich verbessern. So wird in Europa die Taxonomie die enthaltenen Bausteine besser abstimmen müssen. Ein wirklicher Meilenstein wäre es, wenn - ob börsennotiert oder nicht - alle Unternehmen berichten müssen und nicht nur die Fonds-Branche irgendwelche Zahlen, die es noch gar nicht gibt. Aber vielleicht bringt uns der UN-Klimagipfel in Glasgow da einen Schritt weiter.

Arnold (BlackRock): Eine fundierte Einschätzung von Nachhaltigkeitsrisiken ist Anlegern nur möglich, wenn sie Zugang zu konsistenten, verlässlichen und wesentlichen Informationen haben. Aus diesem Grund forderten wir im vergangenen Januar alle Unternehmen auf, ihre Nachhaltigkeitsberichte an den Empfehlungen der TCFD und den SASB auszurichten. Die Entwicklung ist überaus ermutigend: Die Zahl der Unternehmen, die Berichte gemäß den SASB-Empfehlungen erstellen, ist um 363 Prozent gestiegen. Mehr als 1700 Organisationen orientieren sich nach eigenen Angaben bei ihren Veröffentlichungen an den TCFD-Vorgaben. Mehr Transparenzpflichten bei gelisteten Unternehmen sollen jedoch nicht dazu führen, dass kritische Geschäftsbereiche von privaten Unternehmen ohne die gleichen Transparenzpflichten geführt werden. Hier würde dann das Risiko entstehen, dass wir als Gesellschaft keinen Wandel vorantreiben, sondern nur Nachhaltigkeitsfaktoren nicht publizieren …



Dilg (AllianceBernstein): … und auch in den Ratings würden solche Bereiche entfallen.

Wie geht man mit der steigenden Abhängigkeit von den Datenlieferanten um?


Arnold (BlackRock): Durch kritische Vergleiche und Expertise im eigenen Haus. Es ist ja auch bereits angedacht, dass sich die EU direkt mit ESG-Ratings beschäftigt. Das ist allerdings ein langwieriges Projekt, das erst in den Startlöchern steht. BlackRock nutzt externe Datenlieferanten, wir haben jedoch auch ein proprietäres Research, wo wir unter anderem künstliche Intelligenz und Big Data nutzen. Durch Kooperationen mit der Forschung ermitteln wir im Markt fehlende Kennzahlen etwa für physische Klimarisiken. Dazu werten wir mit spezialisierten Partnern wie Rhodium und Baringa unter anderem Luftbildaufnahmen mit Wettermodellen aus.

Gallop (HanseMerkur Trust): Wir arbeiten mit ähnlicher Stoßrichtung. Unter anderem aufgrund unserer Kundenstruktur arbeiten wir vornehmlich mit MSCI, da viele mit ihrer KVG in einer Sprache sprechen wollen. Und es gibt noch eine Besonderheit: Als Tochter einer Versicherung haben wir neben liquiden Assets noch einen Schwerpunkt in Immobilien, für die viele Daten nicht einfach abrufbar sind. Man braucht internes Know-how, darunter auch über klimatische und geografische Daten. Die Erkenntnisse erlauben Rückschlüsse auf gelistete Unternehmen. Das bauen wir auf. Wir können also perspektivisch ergänzen, was MSCI und andere liefern.

Zumal die Ratings ja immer noch zu völlig unterschiedlichen Urteilen kommen.


Gallop (HanseMerkur Trust): Tatsächlich gibt es teilweise bemerkenswerte Abweichungen in der Bewertung. Ist das stets ausschließlich sachlich begründet? Eine Herabstufung im ESG-Rating beeinflusst eventuell den Börsenkurs. Die Ratingagenturen tragen hier eine zunehmende Verantwortung.

Aselmann (Warburg Invest): Zudem bedienen sich weltweit die Research-Teams an den Daten der externen Ratings. Es ist ein Glück, dass die Transparenzvorschriften der EU sich auf die Originaldaten beziehen und nicht auf Ratingnoten …

Dilg (AllianceBernstein): … was hoffentlich keine Momentaufnahme bleibt. Sonst wird das aktive Fondsmanagement zwischen engen Leitplanken keinen großen Spielraum mehr haben. Zudem beißt sich die Katze in den Schwanz, wenn sich beispielsweise Fondsbewertungen oder ESG-Siegel mangels eigener Datenbanken an Ratingnoten orientieren müssen.

Aselmann (Warburg Invest): Unerfahrene Anleger stellen Ratingprofile nicht infrage. Sie freuen sich, ein "AAA"-Portfolio zu haben. Dass es im Worst Case bei Best-in- Class nur aus Versorgern, Chemiefabriken, Minenbetreibern und Erdölproduzenten besteht, ist aber vielleicht doch nicht gewünscht. Man muss also Kunden an die Hand nehmen und erläutern, welche Strukturen sich ergeben. Die Frage ist dann: Willst du wirklich in solche Titel investieren oder etwas weiterblickend klimatechnische und ökologische Konsequenzen vermeiden?

Dilg (AllianceBernstein): Dazu kommt die Gefahr des Gleichlaufs in einem engen Anlageuniversum. Wer beispielsweise globale Aktienfonds analysiert, findet darin immer wieder konzentriert 30 bis 40 ESG-Rating-konforme Titel, die jeder hat. Wenn das Thema gut läuft wie 2020, kann man damit die Lichter ausschießen. Dass man nicht in die Breite investieren kann, potenziert aber die Probleme, wenn die Märkte einmal in die andere Richtung gehen. Wenn alle zeitgleich ihre Verluste begrenzen wollen, wird die Liquidität dafür fehlen. Man muss also vorsorglich viel mehr in die Breite gehen - und dazu viel Überzeugungsarbeit leisten.

Masri (DekaBank): Wobei nicht alle Fonds so hoch konzentriert sind. Unser globaler Aktienfonds hat rund 130 nachhaltige Positionen, unser globales Impact-Konzept ist mit etwa 80 bis 100 Titeln ebenfalls breiter aufgestellt. Diversifizierung wird so leichter, da die Ziele nicht nur für Europa gelten, sondern eine internationale Aufgabe sind. Auch US-amerikanische und asiatische Unternehmen werden diesen Entwicklungen folgen.

Regulierung und Taxonomie sind demnach kein europäischer Alleingang?


Dilg (AllianceBernstein): Nein, trotzdem ist die Fondsindustrie stark durch Luxemburg geprägt. Sie hat ihren Fokus auch auf dem europäischen Geschehen, was sich durch dazustoßende Regionen deutlich verändern dürfte. Beispiel USA: Dort ist es noch normal, keinen Meter zu Fuß zu gehen und auf dem Parkplatz den Motor laufen zu lassen. Oder in der First-Class-Kantine Wegwerfgeschirr und Wegwerfbesteck zu verwenden. Kurz: In Europa wird mehr und qualifizierter über Nachhaltigkeit gesprochen als in Übersee. Zwar kommen Elite und Meinungsmacher auch in den Vereinigten Staaten nicht mehr drum herum, sich irgendwie ökologischer zu geben - aber Statements und Alltag sind zwei Paar Stiefel.

Arnold (BlackRock): Wir verwalten für Kunden weltweit mittlerweile mehr als neun Billionen US-Dollar. Bei Nachhaltigkeit hat Europa die Nase vorn, Amerika und Asien sind hintendran. Aber auch dort wird für den Buchstaben "E" mehr gemacht als vor zwei oder drei Jahren. Der Druck durch den Klimawandel ist überall spürbar.

Es gibt aber auch positivere Verbindungen mit nachhaltigen Investments.


Masri (DekaBank): In jedem Fall, sie werden aber nur selten thematisiert. Es gibt im Mainstream auch viel negative Berichterstattung, weil nicht wenige versuchen, das Haar in der Suppe zu finden. Natürlich ist in einer Branche im Aufbruch nicht alles perfekt.

Arnold (BlackRock): Es gibt momentan große Opportunitäten und Lichtblicke. Es werden neue Arbeitsplätze geschaffen. Es werden Innovationen getätigt, die wir alle dringend brauchen, um die Wirtschaft zu wandeln. Das alles ist positiv. In der In- vestment- Debatte wird aber hauptsächlich über Risiken gesprochen - nicht über Chancen.

Aselmann (Warburg Invest): Die gute Performance 2020 war ein Türöffner. So konnten wir zuletzt auch Investoren überzeugen, die dem Thema etwas skeptischer gegenüberstehen. Wir hatten vermehrt Anfragen, für unterschiedlichste Investorengruppen nachhaltige Anlagestrategie zu entwickeln. Derartige Fortschritte freuen uns natürlich. Denn sie erlauben uns, als Finanzdienstleister einen eigenen positiven Beitrag bei dieser großen Herausforderung für unsere Gesellschaft zu leisten …

Dilg (AllianceBernstein): … und mit dem Dialog ist ein wichtiger Schritt gemacht. Wir müssen den Ball jetzt nur mehr am Rollen halten, und zwar in der Champions League und nicht in der Kreisklasse.

Was ist, auf wenige Sätze gebracht, Ihr Resümee zum Stand der Debatte?


Arnold (BlackRock): Nachhaltigkeit ist kein Schwarz-Weiß-Thema. Man kann komplizierte Fragen nicht mit einfachen Antworten abklatschen, sondern muss noch viel Aufklärungsarbeit leisten. Nur so kann ein breites Feld transitionsfähig gemacht werden. Das ist enorm wichtig, da sonst nur ein kleiner Markt investierbar ist, was dann zu Überbewertungen verleitet. Wichtig ist, dass man auch in Zukunft mehr verändert und fördert, statt abzustrafen, und dass man transparent bleibt in dem, was man macht.

Dilg (AllianceBernstein): Wir werden noch viele solcher Runden brauchen, in denen qualitativ diskutiert wird, um die Thematik voranzubringen. Der Politik allein darf man es nicht überlassen. Wir müssen die Zwischentöne betonen und geländegängig bleiben. Andere Meinungen und Zugangsweisen zulassen, um in der Umsetzung qualitativ wieder einen Schritt nach vorn zu machen. Denn wir stehen erst am Anfang und wissen nicht, wie lange es dauert, das Thema zu Ende zu denken. Das kann fünf oder 30 Jahre dauern …

Gallop (HanseMerkur Trust): Vor ein paar Jahren hat fast keiner über ESG geredet, jetzt reden alle darüber. Man darf gespannt sein, worüber wir uns in der Industrie künftig noch differenzieren werden. Denn in ein paar Jahren werden wir alle nachhaltig sein. 2035 ist ESG kein großes Thema mehr, weil es im Narrativ wie in der Qualität eingepreist ist. Wir werden also über andere Alleinstellungsmerkmale unserer künftigen Fonds sprechen. Welche werden das sein?

Aselmann (Warburg Invest): Bis es so weit ist, wird man den globalen Herausforderungen nicht mehr mit Ausschlusskriterien allein gerecht. Es muss eine ESG-Integrationsstrategie her, die den Fokus auf Engagement und die aktive Begleitung richtet. Auch transparente Öffentlichkeitsarbeit wird an Bedeutung gewinnen, um Anlegern das Vertrauen zu geben und nicht in eine grüne Scheinwelt abzugleiten. Man wird verstärkt auf realistischen Impact achten, der sich bei Aktien schwieriger nachvollziehen lässt als auf der Fixed-Income-Seite. Mit vernünftigem Green-Bond-Framework und einer guten Second Opinion kann man Kunden einen guten Eindruck geben, wo sie ihr Geld sinnvoll einsetzen können.

Masri (DekaBank): Engagement gibt es nicht nur nach außen. Ich persönlich freue mich, für ein Unternehmen zu arbeiten, in dem Nachhaltigkeit und ESG Top-Themen sind und das als nachhaltiger Treuhänder Active Ownership lebt. Es ist gut, dass wir uns gesellschaftlich weiterentwickeln, dass die Fondsindustrie in die gleiche Richtung geht und der eingeschlagene Weg trotz allfälliger Korrekturen der richtige Weg ist. Und ich sehe, dass das Glas halb voll ist.

Das Interview führte Ludwig Riepl