Herr Müller, die Eurozone macht Ernst. Am Samstag haben die Euro-Finanzminister neue Hilfen für Griechenland abgelehnt. Nun bleiben die Banken erst mal geschlossen, es gibt Kapitalverkehrskontrollen und drastische Beschränkungen beim Geldabheben. Wie überrascht sind Sie von dieser Entwicklung?
Davon bin ich überhaupt nicht überrascht. Vor einigen Monaten hätte ich noch erwartet, dass man sich am Ende irgendwie doch durchmogelt. Aber am Ende hat sich die Eurozone doch für die harte Linie entschieden, was sich zuletzt bereits abgezeichnet hat.

An diesem Dienstag muss Griechenland 1,6 Milliarden Euro an den IWF überweisen. Glauben Sie, dass Athen das Geld überweisen kann, oder ist Griechenland morgen auch offiziell pleite?
Auch, wenn sie es am Dienstag überweisen könnten - was nur die Griechen selbst wissen - stehen die nächsten Zahlungen mit noch größeren Summen an. Aber selbst, wenn man sich jetzt auf einen Kompromiss verständigt hätte, würde man in wenigen Jahren wieder vor der gleichen Situation stehen. Alles, was bisher getan wurde, war ein Herumdoktern an den Symptomen. So lange die Ursachen nicht bekämpft werden, wird es keine dauerhafte Lösung geben.

Das heißt?
Das einzig Sinnvolle für Griechenland wäre eine eigene Währung. Das wäre ja nicht das Ende Europas, wie viele erzählen. Das ist völliger Unsinn. Wir haben zahlreiche EU-Mitgliedsländer, die Teil des europäischen Binnenmarktes sind, aber der Eurozone nicht beigetreten sind. Bei vielen funktioniert das wunderbar. Schauen Sie sich nur mal die Wirtschaftsdaten von 2006 bis 2014 an. In der oberen Hälfte liegen jene Länder, die keinen Euro haben und in der unteren Hälfte die Mitglieder der Eurozone. Das kommt nicht von ungefähr.

Viele Mitgliedsländer tun sich mit dem Euro schwer, aber für Griechenland - das ist jetzt ganz klar - ist der Euro die völlig falsche Währung. Die Eurozone sollte sich ehrlich machen und klar sagen: Wir haben bei der Aufnahme Griechenlands in die Eurozone einen Fehler gemacht. Ihr habt die Zahlen gefälscht, und wir wollten es nicht sehen. Das wollen wir jetzt korrigieren und unterstützen Euch dabei. Und selbstverständlich bleibt Ihr Teil Europas und des Binnenmarktes. Und irgendwann in vielen, vielen Jahren können wir über die Rückkehr in die Eurozone nachdenken.

Das klingt fast wie ein Plädoyer zur generellen Abschaffung des Euro?
Nein, nein. Der Euro ist für mich ein wirtschaftliches Konstrukt mit vielen Vorteilen, wie die Identitätsstiftung, eine relativ schwankungsarme Abrechnungswährung, die Bewirtschaftung durch die EZB. Aber der Euro bringt natürlich auch viele Nachteile mit sich, denken Sie nur an die zum Teil sehr unterschiedliche Wirtschaftskraft der Mitgliedsländer. Weltweit werden solche Unterschiede durch Währungen ausgeglichen. In der Eurozone haben wir diese Möglichkeit so nicht. Und bislang hat mir auch noch niemand erklärt, wie wir diese Unterschiede abpuffern wollen. In Deutschland machen wir das mit dem Länderfinanzausgleich. Das ist für Europa nicht gewollt. Aber wie es sonst gehen soll, weiß offenbar auch keiner.

Auf Seite 2: Was ist vom Referendeum am Sonntag zu erwarten?





Ein wichtiges Datum in allernächster Zukunft wird wohl auch das griechische Referendum am Sonntag sein. Was erwarten Sie für den Fall, dass die Griechen den Kompromissvorschlag doch billigen: Wird die Eurozone dann einen neuen Anlauf unternehmen, Griechenland doch im Euro zu halten?
Die Eurozone wird alles tun, um Griechenland in der Eurozone zu halten. Ich glaube auch nicht, dass ein unmittelbarer Ausstieg aus der Eurozone ansteht. Wenn doch, dann würde Griechenland wahrscheinlich zunächst eine Parallel-Währung einführen, mit Schuldscheinen bezahlen. Aber ob und wie Athen aus dem Euro austritt, da fehlt mir derzeit die Phantasie.



Die Eurozone wird alles tun, um Griechenland in der Eurozone zu halten.
Ein Grexit ist für Dirk Müller noch längst keine ausgemachte Sache.


Aber die Syriza-geführte Regierung müsste dann den Weg für Neuwahl frei machen und Griechenland drohte dann wochenlanger Stillstand, den sich das Land eigentlich nicht leisten kann?
Griechenland kann sich eigentlich gar nichts leisten. Für die griechische Bevölkerung werden die nächsten beiden Jahre brutal. Man darf ja nicht vergessen, dass die Vorschläge der Geldgeber für die Griechen noch mal schlimmer werden als es bislang ohnehin schon ist. Griechenland hat 26 Prozent Arbeitslosigkeit. Das ist mehr als die USA auf dem Höhepunkt der Depression zwischen 1929 und 1941 hatten. In Griechenland sitzen Kinder hungrig in der Schule. Das ist ein Skandal für Europa. Und die Situation wird noch schlimmer.

Nämlich?
Griechenland wird das Armenhaus Europas. Das wird zwangsläufig zu Neuwahlen führen. Sie dürfen ja nicht vergessen: Beim Regierungsantritt von Syriza vor rund einem halben Jahr hat die neue Regierung praktisch ein leeres Haus vorgefunden. Damals waren Akten geschreddert, selbst die Klodeckel waren abgeschraubt. Auch was andere Themen wie Rechtssicherheit anbelangt, sprechen wir hier bei - bei allem Respekt vor Griechenland - von afrikanischen Verhältnissen.

Das Staatswesen des Landes ist meilenweit von europäischen Standards entfernt. Das dürfen wir in der aktuellen Diskussion nicht vergessen. Und vielleicht noch ein Punkt, der am Wochenende untergegangen ist: Tsipras hat schon vor Monaten gesagt, wir sind gewählt worden, um die Vorgaben der Geldgeber abzulehnen. Und wenn wir neue Vorgaben unterschreiben sollten, hätten wir dafür kein Mandat und bräuchten eine Volksabstimmung. Genau das hat er jetzt angekündigt.



Für die griechische Bevölkerung werden die nächsten beiden Jahre brutal.
Dirk Müller zu den mittelfristigen Aussichten für Griechenland.


Aber was passiert, wenn die Griechen dem griechischen Ministerpräsidenten folgen und den Kompromiss-Vorschlag der Institutionen ablehnen? "Isch dann" endgültig "over", wie Wolfgang Schäuble schon vor Wochen gesagt hat?
Davon müssten wir ausgehen.

Also Grexit?
In dem Moment, in dem Griechenland keine Euros mehr hat und keine Hilfe mehr bekommt, ist das so. Dann muss die griechische Regierung entweder Schuldscheine ausgeben oder eine neue Währung einführen.

Auf Seite 3: Was bedeutet die Zuspitzung der Krise für die Börsen?





Was bedeutet die Zuspitzung der Krise für die Börsen: Wird sich der Markt jetzt nur kurz schütteln und Griechenland auch im Falle eines Grexit ad acta legen oder droht deshalb ein Crash?
Nein, zumindest nicht wegen Griechenland. Wenn wir einen Crash kriegen, ist Griechenland sicherlich nicht der Auslöser. Griechenland hat die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bundeslandes Hessen. Von daher ist Griechenland ein Nicht-Ereignis für die Börsen. Das sehen wir auch an den Kursen. Gestern großes Flattern auch in den Medien, heute morgen in der ersten Stunde viele Verkaufsorders. Und danach hat sich die Lage beruhigt. Ein Minus von rund drei Prozent wie heute ist eigentlich fast noch im Rahmen einer Tagesschwankung.

Jetzt wird es für 48 Stunden turbulent, dann ist die Sache ausgestanden. Viel wichtiger ist derzeit die Entwicklung in China. Im Shanghai Composite sind die Kurse in den letzten Tagen um 20 Prozent eingebrochen. Das hat nichts mit Griechenland zu tun, sondern mit der extremen Spekulationsblase, die auf Kredit finanziert ist. Wenn dort im großen Stil Kredite platzen und Banken in Schieflage geraten, könnte das viel weitreichendere Auswirkungen haben. Nur: Das nehmen wir wegen Griechenland gar nicht wahr.

Auf Seite 4: Wie positioniert sich Dirk Müller?





Sie haben mit dem Dirk Müller Premium ja unlängst auch einen eigenen Fonds aufgelegt. Wie positionieren Sie sich im gegenwärtigen Umfeld?
Wir haben uns so aufgestellt, dass wir heute überhaupt nicht reagieren mussten. Wir sind nach oben dabei und voll investiert in die guten Unternehmen wie Apple oder Universal Health Services - mit 60 Prozent in den USA und 40 Prozent Europa und Unternehmen außerhalb des Euro-Raums in Skandinavien. Wir haben die Währung abgesichert und wir haben 10 bis 15 Prozent unter dem jeweiligen Kursniveau Optionen gekauft und das Depot so abgesichert. Wenn also ein Großschaden eintreten sollte, würde uns das wesentlich weniger betreffen. Damit schlafen wir sehr gut.



Gut angelegtes Geld.
Dirk Müller über die Kosten von Optionen zur Absicherung des Depots.


Wäre das auch eine Strategie für Privat-Anleger?
Wir denken schon. Aktien von guten, starke Unternehmen, die man über viele, viele Jahre halten möchte, kaufen, aber in unsicheren Phasen abgesichert gegen Großschäden. Denn wir wissen ja nicht, ob ein Ereignis wie jetzt am Wochenende mit Griechenland wieder eintritt, oder ob es in China noch mal richtig nach unten geht. Eine entsprechende Absicherungsstrategie kostet je nach Ausgestaltung zwei bis drei Prozent Performance. Das entspricht derzeit ein bis zwei Tagesschwankungen und ist damit gut angelegtes Geld.