Wenn es nach der Bundesregierung geht, soll Wasserstoff jetzt die Energiewende richten. "Gasförmige Energieträger, vor allem Wasserstoff, werden ein Schlüsselrohstoff einer langfristig erfolgreichen Energiewende sein. Gleichzeitig bietet die Herstellung von CO2-freiem und CO2-neu­tralem Wasserstoff große industriepolitische Chancen", sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf einem Gipfel mit 700 Teilnehmern aus Politik, Industrie und Forschung in Berlin. Vier Ministerien sollen bis Jahresende eine Wasserstoffstrategie mit einem Aktionsplan erarbeiten. Die Zeit drängt, schließlich sollen die Ziele der Energiewende bis 2030 erreicht werden. Und dafür müssen die Verbrennungsmotoren auf der Straße durch alternative Antriebe ersetzt werden. Diesmal soll es nicht so laufen wie mit der Batteriezelltechnologie, bei der die Asiaten klar die Nase vorn haben.

Also könnte der Staat der Technologie zum Durchbruch verhelfen und darauf setzen, dass die aktuell in Elektroautos verbauten Lithium-Ionen-Akkus eine Lösung von vielen sind. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist sich sicher: "Wasserstoff, Brennstoffzelle und Strom bewegen die Zukunft." Er forderte die Industrie auf, bezahlbare Fahrzeuge auf den Markt zu bringen und den Menschen zu zeigen, dass die Technik zuverlässig funktioniert.

Kaum Bedeutung im Verkehr


Eine Lobby dafür gibt es in Deutschland seit 2015. Damals haben unter anderem der Autobauer Daimler, der Gase­konzern Linde sowie die Ölunternehmen OMV und Shell das Konsortium "H2 Mobility" gegründet. H2 ist die chemische Formel für Wasserstoff. Sie haben einiges erreicht: Mit 125 betriebenen und 45 geplanten Tankstellen ist die Infrastruktur in Deutschland bereits besser ausgebaut als in anderen Ländern Europas.

Allerdings ist die Zahl der zugelassenen Brennstoffzellenfahrzeuge extrem niedrig. Beim Kraftfahrt-Bundesamt waren Anfang des Jahres von mehr als 57 Millionen registrierten Fahrzeugen lediglich 392 dieser Art, das entspricht einem Marktanteil von 0,0007 Prozent. Keines dieser Vehikel ist von einem deutschen Hersteller. Bislang haben nur Hyundai, Toyota und Honda reine Wasserstoff-Flitzer entwickelt, von den Deutschen hat bloß Daimler ein Wasserstoff-Hybridmodell im Verkauf. Immerhin hat der Stuttgarter Konzern angekündigt, dass der Ecitaro, ein Bus für den öffentlichen Nahverkehr, ab 2022 mit Brennstoffzelle ausgestattet sein soll. VW hat erst im Mai abgewunken: Die Technik werde bis Mitte der 2020er-Jahre nicht "zu vertretbaren Preisen oder im industriellen Maßstab mit der nötigen Energieeffizienz verfügbar sein", so Konzernchef Herbert Diess.

Die Technologie günstiger und effizienter zu gestalten, daran arbeiten aktuell einige, auch börsennotierte Unternehmen. Bis auf eine kleine Ausnahme, den Brennstoffzellenhersteller SFC Energy, sind alle aus dem Ausland. Der derzeit wohl bekannteste Vertreter ist Nel ASA aus Norwegen. Das Unternehmen mit Sitz in Oslo errichtet Tankstellen unter anderem in Deutschland, entwickelt aber auch Lösungen zur Herstellung und Speicherung von Wasserstoff. Gerade erst bewies Nel, dass trotz aller Widrigkeiten das Geschäft mit dem Gas wachstumsträchtig ist.

Im dritten Quartal verzeichnete Nel einen Rekordumsatz von 149 Millionen norwegischen Kronen (NOK), was umgerechnet rund 15 Millionen Euro entspricht und ein Umsatzplus von knapp 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum darstellt. Die Auftragsbücher sind prall gefüllt. Der Bestand stieg um 58 Prozent auf 575 Millionen NOK, rund 57 Millionen Euro. Die gewichtigsten Aufträge kommen natürlich aus der Autoindustrie und von Tankstellenbetreibern, aktuell allerdings vor allem aus Asien. Südkorea etwa will 300 Wasserstofftankstellen bis 2022 errichten. Vorstandschef Jon André Lokke blickt optimistisch in die Zukunft: "Das erwartete starke Wachstum bei Brennstoffzellen-­Fahrzeugen dürfte den Ausbau der Tankstellennetze in Schlüsselmärkten wie Korea, Japan, den USA und China beschleunigen."

In den USA sitzt überdies der wichtigste Kooperationspartner von Nel ASA: ­Nikola Motors entwickelt Wasserstoff-­Trucks und baut eine Infrastruktur im Land auf. In den nächsten Tagen will Firmenchef Trevor Milton - wohl via Nachrichtendienst Twitter - eine große Neuigkeit bekannt geben. Die Wahrscheinlichkeit, dass das auch eine gute Neuigkeit für Nel sein könnte, ist hoch.

Die Beratungsgesellschaft McKinsey geht davon aus, dass bis 2030 zwischen zehn und 15 Millionen Brennstoffzellen-­Fahrzeuge auf den Straßen der Welt unterwegs sein werden. Aber auch der Energiebedarf von Haushalten und der Industrie werde zunehmend über Wasserstoff abgedeckt. Dann, so schätzt McKinsey, wird der Umsatz mit Brennstoffzellen-Pkw weltweit bei über 20 Milliarden Euro liegen.

Industrielle Nutzung geplant


Das ist der Grund, weshalb der Gasekonzern Linde Anfang Oktober im großen Stil bei ITM Power aus Großbritannien eingestiegen ist. 20 Prozent der Anteile hat der DAX-Konzern erworben. Nun gründet das Unternehmen mit den Briten eine Kooperation. Gemeinsam wollen die Firmen Lösungen zur Lieferung von grünem, also CO2-frei produziertem Wasserstoff mit Kapazitäten von zehn Megawatt entwickeln.

Dass Industrien wie die Stahlbranche künftig ressourcenschonend produzieren können, ist neben einem emissionsärmeren Verkehr die zweite Hoffnung, die auch die Politik hegt. Die Stadt Hamburg denkt hier schon weiter. Im Hamburger Hafen soll das weltweit größte Wasserstoffkraftwerk mit einer Leistung von 100 Megawatt entstehen. Gespräche mit potenziellen Kunden und Investoren seien bereits weit vorangeschritten, noch in diesem Jahr soll die finale Entscheidung über den Bau der Anlage fallen, gab der Senat des Stadtstaats Anfang September bekannt. Das Kraftwerk kann als Energiespeicher dienen, wenn die Windanlagen vor der Küste Deutschlands Überkapazitäten produzieren. Auch wenn die Leistungsziele der Linde-ITM-Kooperation darunter liegen: Das Joint Venture dürfte hier auf jeden Fall mitmischen.

Trotz dieser Entwicklungen: Die Bundesregierung wird sich mächtig ins Zeug legen müssen. Im Technologiewettstreit spielen auch die Kanadier mit. Das Unternehmen Ballard Power gilt als Pionier im Markt und ist im abgelaufenen Quartal um 15 Prozent gewachsen. Das Unternehmen aus Vancouver hat eine Technologie-Kooperation mit dem chinesischen Motorenbauer Weichai. Aber von mehr CO2-freier Mobilität profitiert schließlich die ganze Welt.

Investor-Info

Ballard Power
Nimmt Fahrt auf


Beim kanadische Brennstoffzellenhersteller Ballard Power sind im dritten Quartal sowohl Umsatz als auch Verlust gestiegen. Vor allem das Geschäft mit technologischen Anwendungen und Komponenten wuchs kräftig. Das Minus begründete das Unternehmen mit Belastungen durch das Joint Venture mit dem chinesischen Konzern Weichai und der Insolvenz des irischen Kunden Wrightbus. Ballard rechnet für 2020 mit anziehendem Wachstum und geringeren Verlusten. Spekulativ.

Empfehlung: Kaufen.
Kursziel: 6,50 Euro
Stoppkurs: 4,10 Euro

Nel Asa
Viel Wasserdampf


Bereits zum Halbjahr konnte das norwegische Wasserstoffunternehmen mit einem vollen Auftragsbuch beeindrucken. Auch im dritten Quartal haben die Orders zugelegt, der Bestand liegt knapp 60 Prozent über Vorjahr. Zusammen mit der US-Firma Nikola Motor baut Nel ASA ein Wasserstoffkraftwerk in Norwegen. Und jetzt sprudelt auch der Umsatz. Nach den guten Nachrichten stieg der Aktienkurs spürbar. Nel ist ein sehr volatiles Papier. Nur sehr Risikofreudige steigen ein.

Empfehlung: Kaufen.
Kursziel: 0,40 Euro
Stoppkurs: 1,30 Euro

ITM Power
Brexit bremst

Das britische Unternehmen unterhält nicht nur eine Kooperation mit dem Gaskonzern Linde, ­sondern auch mit dem Ölriesen Shell. ITM ist im Geschäftsjahr, das im April endete, um 40 Prozent gewachsen. Doch das Unternehmen hat ein Problem: Der Brexit naht, was Investitionsentscheidungen womöglich verzögern wird. Anleger warten ab.

Empfehlung: Beobachten.
Kursziel: 0,90 Euro
Stoppkurs: 0,50 Euro