Wie ein schlechter Scherz mag das in den Ohren vieler Reisender klingen: Während Tausende Urlauber mit Verspätungen und Flugausfällen an deutschen Flughäfen kämpfen, sollen in einem Zeitraum von einer Woche mehr als 360 Flüge vom Frankfurter Flughafen abheben - ohne Passagiere. Mit den sogenannten "Geisterflügen" transportiert die Lufthansa laut Berichten lediglich Crewmitglieder oder Gepäck. Ein Grund: Die Kranich-Airline schickt Urlaubern ihr Gepäck hinterher, das beim Abflug nicht rechtzeitig abgefertigt werden konnte und nun separat folgt.
Der Grund für die Probleme an deutschen Flughäfen ist schnell ausgemacht: Es fehlt an Personal. Dabei kommt diese Misere für die Airlines zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Nach pandemiebedingt schwierigen Monaten, in denen die globalen Reiseaktivitäten stark reduziert wurden, sollten aufgestaute Reiselust und gelockerte Corona- Beschränkungen das Geschäft bei Fluglinien wieder beleben. Die Buchungszahlen sind wie erwartet hoch: Im April dieses Jahres nutzten rund fünfmal mehr Reisende deutsche Flughäfen als im Vorjahresmonat.
Überraschender Andrang
Stefan Schulte, Chef des Flughafenbetreibers Fraport, hatte mit einem derart hohen Reiseaufkommen nicht gerechnet. Man habe rund 70 bis 75 Prozent des Vorkrisenniveaus erwartet. Derzeit liege es zum Teil noch darüber, in Spitzenzeiten sogar auf dem Niveau vor Corona. "Das hat uns schon überrascht. Da gebe ich offen zu, dass wir falsch gelegen haben", konstatiert Schulte.
Die Airlines reagieren auf den Ansturm, wollen beispielsweise das weltgrößte und vielerorts ausgemusterte Passagierflugzeug Airbus A380 reaktivieren. Doch auch das größte Flugzeug hilft wenig, wenn es keine Crew gibt, die dort mitfliegt. Die Probleme sind indes zu einem gewissen Teil hausgemacht: In der Pandemie brachen Nachfrage und Umsätze drastisch ein, Airlines wie die Lufthansa standen kurz vor der Pleite. Entsprechend wurde das Personal drastisch reduziert, viele Stellen abgebaut. Da sich diese nun nicht wieder in vollem Maß besetzen lassen, fehlt massig Personal. Abhilfe sollen nun Arbeitskräfte aus der Türkei schaffen. Etwa 2.000 Personen sollen für die Abfertigungen an deutschen Flughäfen angeworben werden, der bisher angemeldete Bedarf der Unternehmen liegt noch deutlich darüber. Da die neuen Arbeitskräfte jedoch nicht unmittelbar einsetzbar sind, sind für Airlines und Fluggäste komplizierte Sommermonate zu erwarten. Einer enormen Nachfrage steht ein immer kleiner werdendes Angebot gegenüber. Die Lufthansa als Deutschlands wichtigste Fluglinie strich für Juli und August bereits mehr als 3.000 Flüge. Auch British Airways reduziert sein Angebot drastisch und streicht bis Ende Oktober mehr als 10.000 Kurzstreckenflüge. Dabei sind es nicht nur Massen an Urlaubern, auch im Frachtverkehr wütet der Personalmangel.
Noch schwieriger wird es, wenn verfügbares Personal die Arbeit niederlegt. In Spanien sind weitere Streiks von Kabinenpersonal und Piloten bei Ryanair und Easyjet geplant. Die Beschäftigten fordern höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Mit den Streiks werden die ohnehin engeren Kapazitäten zusätzlich belastet.
Fliegen ist zu billig
Entsprechend herrscht aktuell eine
große Diskrepanz zwischen Angebot
und Nachfrage. Analyst Guido Hoymann
vom Bankhaus Metzler sieht darin
für die Airlines aber kein riesiges
Problem:
"Was die Durchsetzbarkeit höherer
Preise betrifft, kommt ihnen die
Knappheit durch Störungen wie Personalmangel
unter dem Strich vielleicht
sogar ein klein wenig entgegen."
Schließlich sorgen die Mechanismen
des Markts derzeit für steigende Ticketpreise,
mit denen die Fluggesellschaften
höhere Kosten für Treibstoff, Personal
und Inflation weitergeben können:
"Die Leute, die jetzt unbedingt fliegen
wollen oder müssen, für die ist das Angebot
ungefähr ausreichend, die scheinen
auch entsprechend bereit, diese
Preise zahlen zu können und zu wollen.
Im Moment, glaube ich, passt das", ordnet
Hoymann das Preisgeschehen ein.
Auch Michael O’Leary, Chef der Billig-Airline
Ryanair, wirbt für höhere Preise.
Flugreisen
seien inzwischen "zu billig"
geworden, die Preise müssten in den
nächsten fünf Jahren steigen. Dies verdeutlichte
O’Leary am Beispiel seiner eigenen
Airline: Wegen gestiegener Ölpreise
und höherer Umweltabgaben
könnten die Kosten für ein durchschnittliches
Ryanair-Ticket von 40 auf
50 bis 60 Euro steigen. Auch die Lufthansa-
Tochter Eurowings kündigte
jüngst die Anhebung ihrer Preise um
mindestens zehn Prozent an.
Hoymann sieht darin einen richtigen
Schritt. Die niedrigen Preise seien keine
mehr gewesen, zu denen die meisten
Wettbewerber noch vernünftige Gewinne
erzielen konnten. Darin, dass das
bisherige Überangebot an Flugzeugkapazitäten
nun eingebremst wird,
sieht er kein Problem: "Diese unvorhergesehene
Störung ist gar nicht so
schlecht für die Branche, weil sie eben
endlich mal zu einem rationalen Kapazitätsangebot
führt."
Trotz geringerem Angebot ist man in
der Branche zuversichtlich. Die International
Air Transport Association (IATA)
als Dachverband der Fluggesellschaften
rechnet damit, dass die Luftfahrtbranche
im kommenden Jahr in die Gewinnzone
zurückkehren wird. Aufgestaute
Nachfrage und Reiseverkehr würden
die Zahl der Buchungen auch bei angespannter
Weltwirtschaft aufrechterhalten,
prognostiziert die IATA.
Chance für Günstig-Airlines
Aus den gestiegenen Kostenfaktoren ergeben sich jedoch auch Profiteure. Analysten des Informationsdienstleisters Bloomberg zufolge könnten Billig-Airlines von gestiegen Energiekosten und dem Druck auf das Einkommen der Verbraucher besonders profitieren und auf der Kurzstrecke Marktanteile gewinnen. Die zunehmende Preissensibilität der Reisenden könne dazu führen, dass Anbieter wie Ryanair, Easyjet oder Wizz Air bis zum Jahr 2024 rund die Hälfte der innereuropäischen Passagierkilometer erreichen.
Bereits im Juni hatten die irische Ryanair und die ungarische Konkurrentin Wizz Air deutliche Zuwächse bei den Passagierzahlen vermeldet; bei Ryanair lag die Auslastung erstmals seit Pandemiebeginn wieder bei 95 Prozent. Im Juni transportierte die Airline mit 15,9 Millionen so viele Fluggäste wie noch nie. Geisterflüge ohne Passagiere dürften bei der irischen Airline folglich kaum ein Thema gewesen sein.