In der Tabelle der weltweit besten Finanzplätze rangiert Brasilien weit vorn. Seit Jahresanfang erzielte der iShares MSCI Brazil ETF 24 Prozent - obwohl die Banco Central do Brazil so kräftig wie kaum eine andere Zentralbank an der Zinsschraube dreht. In nur 14 Monaten hob sie den Leitzins von zwei auf 12,75 Prozent an.

Dennoch ist es Notenbankchef Roberto Campos Neto bislang nicht gelungen, die Inflation in den Griff zu bekommen. Im Mai wurde eine Teuerungsrate von knapp zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gemessen. Kraftstoffe und Lebensmittel haben sich - wie in anderen Ländern auch - massiv verteuert. Im Vergleich zu den Industriestaaten spüren die Bürger im Emerging-Market-Land Brasilien den Kaufkraftverlust jedoch wesentlich stärker. Die Mittelschicht bröckelt, die Furcht vor dem finanziellen Abstieg wächst. Zwei Zahlen verdeutlichen die Dramatik: 125 Millionen Menschen haben laut dem brasilianischen Forschungsnetzwerk für Ernährungssicherheit und -souveränität keinen vollständigen und dauerhaften Zugang mehr zu Nahrung. Und allein eine Tankfüllung verschlingt bereits 33 Prozent des Monatseinkommens von Haushalten mit niedrigem Einkommen.

Der Außenhandel profitiert dagegen vom globalen Preisanstieg für Rohstoffe und Agrarprodukte. Brasilien zählt zu den führenden Exporteuren von Öl, Bauxit, Gold, Eisenerz, Mangan, Nickel, Phosphat, Platin, aber auch von Soja, Zucker, Kaffee, Fleisch und Baumwolle. Obwohl das Ausfuhrvolumen nur um drei Prozent zulegte, stiegen im ersten Quartal die Exporteinnahmen im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Vorjahres um 40 Prozent. Für 2022 wird eine deutliche Ausweitung des Leistungsbilanzüberschusses erwartet. Auch die bislang schwache Konjunktur belebt sich. Der IWF korrigierte seine Wachstumsprognose für dieses Jahr von 0,3 auf 0,8 Prozent.

Die Preisentwicklung auf den Rohstoffmärkten treibt die Börse in São Paulo. Taktisch orientierte Investoren nutzen die Chance. Die Sektoren Energie, Grundstoffe und Landwirtschaft sind im MSCI Brazil mit 45 Prozent gewichtet. "Noch stärker fällt der Anteil an der Gewinnentwicklung aus", sagt Elke Speidel-Walz, Emerging-Market-Expertin der DWS.

Insbesondere Large-Cap-Werte aus den drei Branchen sind gesucht. Die Aktie des Eisenerzproduzenten Vale legte seit Jahresanfang um 15 Prozent zu, die des Ölgiganten Petroleo Brasileiro verteuerte sich um 17 Prozent. JBS, der größte Fleischproduzent der Welt, erzielte acht Prozent. Trotz des Kursanstiegs weisen die 49 im iShares MSCI Brazil ETF erfassten Unternehmen im Schnitt ein Kurs-Gewinn-Verhältnis für das laufende Jahr von nur 5,6 auf.

Die günstigen Bewertungen sind gemäß einigen Analysteneinschätzungen ein weiterer Grund zum Einstieg, auch wenn Brasiliens Notenbank entgegen ihren ursprünglichen Absichten den restriktiven geldpolitischen Kurs nach Ansicht von Speidel-Walz wohl noch eine Zeitlang fortsetzen muss. Denn mittlerweile ist eine Lohn-Preis-Spirale in Gang gekommen. Brasiliens Gewerkschaften fordern höhere Löhne, um den Kaufkraftverlust auszugleichen. Auch die Angestellten der Banco do Brazil wollen mehr Geld. Ein erstes Angebot von fünf Prozent lehnten sie ab. Nun bietet ihnen Notenbank-Chef Neto 22 Prozent mehr an. Doch die Mitarbeiter wollen sich erst mit einer Erhöhung von 27 Prozent zufriedengeben.

Inflation - das ist auch das beherrschende Thema des von Investoren mit großem Interesse verfolgten Präsidentschaftswahlkampfs. Am 2. Oktober entscheiden Brasiliens Bürger, ob der Rechtsaußen-Politiker Jair Bolsonaro weitere vier Jahr regiert oder der frühere Staatspräsident Lula da Silva von der linken Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT) ein Comeback feiert. In seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 gelang vielen Menschen dank umfassender sozialpolitischer Maßnahmen der Aufstieg in die Mittelschicht. Die Wirtschaft boomte, der brasilianische Aktienmarkt zog seinerzeit kräftig an. Mit einer Zustimmungsrate von 87 Prozent schied Lula aus dem Amt.

Viel versprochen, wenig erreicht

Es ist eine Richtungswahl: Zwei unterschiedliche wirtschaftspolitische Konzepte konkurrieren um Mehrheiten. Vor vier Jahren hatte Bolsonaro mit seiner neoliberalen Agenda noch bei den Anlegern gepunktet: Weniger Staat, Deregulierung, Privatisierung und Entbürokratisierung sollten Brasiliens Wirtschaft neuen Schwung verleihen. Auch seine Kampfansage an die im Land weitverbreitete Korruption kam bei Anlegern zunächst gut an. "Allerdings hat Bolsonaro von seinen liberalen Reformversprechen nur wenig bis gar nichts umgesetzt", urteilt Speidel-Walz. Positiv bewerten kann man allenfalls die in der Verfassung neu verankerte Ausgabensperre bei Staatsausgaben. Diese ist dringend erforderlich. Brasilien ist aktuell mit über 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet. Die Bonität wird von der Ratingagentur S & P nur mit Non-Investment-Grade eingestuft.

"Bolsonaro hat sich nicht an die politisch mühsam errungene Ausgabenbegrenzung (Ausgaben dürften nicht mehr steigen als die Inflationsrate) gehalten, sondern die Sozialleistungen auch mit dem Ziel ausgeweitet, seine tief gesunkenen Popularitätswerte zu verbessern. Die stark gestiegenen Sozialausgaben und höheren Löhne haben aber die Nachfrage so angeheizt, dass die Zentralbank trotz eines rechtzeitig eingeschlagenen und sehr restriktiven Kurses die Inflation nicht unter Kontrolle bringt", sagt Speidel-Walz.

Insbesondere das unzulängliche Management der Corona-Krise - das Land beklagt über 600.000 Tote - sowie seine radikale Rhetorik haben Bolsonaro geschadet. In den aktuellen Umfragen liegt er deutlich hinter Lula da Silva. Ebenso ist bei Anlegern die Skepsis gegenüber Bolsonaro deutlich gestiegen.

Keine Korrektur

Auch der 76 Jahre alte Lula wirbt mit höheren Sozialausgaben um Stimmen. Doch dem Politik-Profi ist klar, dass er auch moderate Wähler überzeugen muss und er der Unterstützung der Wirtschaft bedarf. Aus diesem Grund hat er den in Unternehmerkreisen geschätzten Gerardo Alckmin zu seinem Vizepräsidenten-Kandidaten ernannt. Der dreimalige Gouverneur des Bundesstaats São Paulo steht für einen marktfreundlichen Kurs.

Ob ein Sieg Lulas eine Korrektur am Aktienmarkt auslöst, ist daher offen. Speidel-Walz kann sich auch eine kurzfristige Rally vorstellen. "Um jedoch den Aktienmarkt nicht nur für taktische, sondern auch für langfristig orientierte Investoren attraktiv zu machen, müsste die Regierung die Kraft für eine umfassende Fiskalreform und eine neue Wachstumspolitik aufbringen", sagt Speidel-Watz. Die Expertin ist jedoch skeptisch, ob die Wachstumsprobleme Brasiliens in der nächsten Legislaturperiode gelöst werden können.

INVESTOR-INFO

Aktien-ETF Brasilien

60 Prozent auf Top-Werte

Der iShares MSCI Brazil ETF bildet die Wertentwicklung des MSCI Brazil physisch ab. Der Eisenerzproduzent Vale, der Ölriese Petrobras und der Fleischproduzent JBS sind hoch gewichtet. Unter den Top-Ten-Werten finden sich Finanztitel wie die Bank Itau Unibanco und Banco Bradesco. Auf die Top-Ten-Werte entfallen fast 60 Prozent des ETF-Volumens. Auf Sicht von drei Jahren gab der ETF neun Prozent ab, trotz Verlusten in der vergangenen Woche bringt er es seit Jahresanfang auf ein Plus von 24 Prozent.

Aktienfonds Brasilien

Starke Mischung

Der Fonds DWS Brazilian Equities wird von Itau USA beraten. Neben Rohstoffwerten und Banken finden sich unter den zehn am höchsten gewichteten Titeln auch IT-Unternehmen wie Totvs SA oder Aktien aus dem Konsumbereich wie Lojas Renner. Das aktive Management macht sich langfristig bezahlt. In den vergangenen drei Jahren erzielte der Fonds knapp 18 Prozent, in fünf Jahren bringt er es auf 98 Prozent. Der Fonds eignet sich für mutige Anleger zur Beimischung.

Aktien-ETF Lateinamerika

Breit gestreut

Mit dem HSBC MSCI EM Latin America ETF partizipieren Anleger an der Wertentwicklung von Aktien mit mittlerer und hoher Marktkapitalisierung. Brasilianische Firmen sind mit 60 Prozent gewichtet, mexikanische wie Walmart Mexico oder América Móvil mit 25 Prozent. Der Rest verteilt sich auf Unternehmen aus Kolumbien, Peru und Chile. Seit Jahresanfang schaffte der ETF 22 Prozent. Trotz der breiten Streuung investieren nur risikofreudige Anleger.