An den Aktienmärkten hat sich in den vergangenen Tagen erneut Unruhe breitgemacht. So war der deutsche Leitindex DAX am Mittwoch erstmals seit Mai zeitweise unter die 15 000-Punkte-Markte gerutscht, ging aber am Donnerstag wieder auf Erholungskurs. Eine Hauptursache für die Turbulenzen ist vor allem die Sorge vor einer Stagflation, also einer Kombination aus wirtschaftlicher Stagnation und steigender Inflation, die die Kurse deutlich belastet. Dieses Phänomen war erstmals während der Ölkrise in den 70er-Jahren aufgetaucht.
Auch gegenwärtig nimmt der Preis- und Inflationsdruck weiter zu, angefacht von zunehmenden Materialengpässen bei den Unternehmen, die wiederum das Wirtschaftswachstum bremsen. Der Inflationsdruck wird aber bislang von den meisten Experten als vorübergehende Entwicklung eingestuft. Doch wegen zuletzt stark zulegender Energiepreise und steigender Anleiherenditen machen sich zunehmend Befürchtungen breit, dass daraus ein dauerhafter Trend werden könnte.
"Die Aktienmärkte sind im ersten Halbjahr sehr stark gestiegen", erklärt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Jetzt prasseln mit der Immobilienkrise in China, den Materialengpässen, der hohen Inflation und dem Rückfahren der Anleihekäufe durch die US-Notenbank eine Menge Probleme auf den Markt ein."
Die Aktienkurse könnten weiter sinken, glaubt Krämer. "Aber letztlich sollten diese Rückgänge vorübergehend sein. Denn ein ernstes Inflationsproblem erwarte ich erst in ein paar Jahren, wenn die Arbeitslosigkeit wieder sehr niedrig ist und die Arbeitskosten kräftiger steigen. Bis dahin dürfte das Zuviel an Geld weiter vor allem die Vermögenspreise inflationieren."
Ein maßgeblicher Faktor für den Inflationsdruck ist die Entwicklung am Ölmarkt. So legte am Mittwoch der Preis für die Rohölsorte Brent zeitweise auf ein Dreijahreshoch von 83,47 Dollar je Barrel (159 Liter) zu. Die OPEC hatte zuvor nur eine graduelle Ausweitung der Ölproduktion beschlossen - und könnte damit nach Einschätzung von Experten dem Ölmarkt ein beträchtliches Angebotsdefizit bescheren.
DAX an kritischer Schwelle
Eigentlich war die Wirtschaft nach der Corona-Rezession wieder auf einen dynamischen Wachstumskurs eingeschwenkt. Die Konjunktur wird nun vor allem durch fehlende Vorprodukte, deutlich steigende Energiekosten und knappe Transportkapazitäten gebremst. Hin- zu kommt die Erwartung, dass die US-Notenbank Fed in Kürze mit der Reduzierung der monatlichen Anleihekäufe, dem sogenannten Tapering, beginnen könnte. In China wiede- rum wird in einem politischen Drahtseilakt versucht, Turbulenzen durch die Pleite des Immobilienentwicklers Evergrande abzuwenden, die inzwischen weitere Immobilienkonzerne erfasst haben.
Auch Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei Donner & Reuschel, schließt in diesem Umfeld eine weitere Korrektur beim DAX nicht aus. "Aus charttechnischer Sicht ist die Marke von 14 980 Punkten besonders wichtig. Sollte diese nachhaltig unterschritten werden, wäre ein Kursrutsch bis auf etwa 14 000 Punkte nicht unwahrscheinlich", sagt Mumm.
Von einer Korrektur wären demnach vor allem konjunktursensitive Branchen wie Anlagen-, Maschinen- und Fahrzeugbau betroffen. Unter steigenden Zinsen wiederum könnten vor allem Techkonzerne leiden, weil die Abzinsung künftiger Gewinne zu höheren Bewertungen führen würde. "Profitieren könnten dagegen Banken von einer steigenden Differenz zwischen Zinsen mit kürzeren und längeren Laufzeiten."
Trotz dieser Risiken sieht Mumm das Umfeld für Aktien weiter positiv. "Die aktuelle Korrektur ist nur eine Unterbrechung des dynamischen Wachstumspfads nach der Corona-Krise, der weiter von staatlichen Investitionsprogrammen und tief negativen Realzinsen unterstützt wird."