Herr Dr. Zimmermann, nach dem Brexit-Votum der Briten vor gut zwei Wochen ging’s an den Börsen erst mal richtig runter. Dann gab’s eine kleine Erholung und jetzt haben Investoren erneut den Rückwärtsgang eingelegt. Kommt jetzt der endgültige Sell-off?


Zimmermann: Wir steckten schon ohne Brexit-Debatte aufgrund des fehlenden Gewinnwachstums in einer reifen Phase eines Aktienzyklus. Dabei sind Aktien von regelmäßigen Korrekturen belastet, die schärfer auszufallen drohen als zuvor. Keiner weiß nun nach dem Referendum, welche politische Dynamik in Europa freigesetzt wird. Haben Angelsachsen, die letztlich die Kurse in Deutschland machen, den Eindruck, dass die EU implodiert, werden sie sich von der Eurozone verabschieden.
Damit gewinnen das Verfassungsreferendum in Italien im Oktober, die Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und Deutschland 2017 eine neue Bedeutung. Und in der Zwischenzeit kämpft in den USA Frau Clinton gegen Herr Trump.
Hinzu kommt: Eine normaler Aktienzyklus ist ohne solide Banken nicht vorstellbar. Einige Banken, vor allem in Italien, müssen dringend rekapitalisiert werden. Haften Anleihegläubiger, wie es ja die neuen EU-Regeln vorsehen, erhöht das die politischen Risiken in Italien. Angesichts der Nervosität internationaler Anleger drohen dann weiter Aktienverluste.

Haben wir das Tief jetzt schon gesehen?


Zimmermann: Nein, das ‎würde mich sehr wundern.

Auf Seite 2: Wie tief es im Dax noch gehen kann





Wie tief kann es jetzt im Dax noch gehen?


Zimmermann: Das untere Ende meiner Spanne ist 8200. Dass das hält, setzt aber voraus, dass sich Italien nicht zum politischen Alptraum entwickelt, der da wäre: Ablehnung des Verfassungsreferendums im Oktober, Neuwahlen, Herr Grillo als neuer Regierungschef, Referendum zum Euro-Austritt.

Wo erwarten Sie den Dax zum Jahresende?


Zimmermann: Bislang noch 10600 Punkte. Aber die dürften wohl nur zu erreichen sein, wenn es einen deutlichen Politikstimulus gibt‎ wie etwa EZB-Käufe von Bankanleihen

Die Vorzeichen trüben sich ja nicht nur wegen des Brexit ein. Das Münchner ifo-Institut hat seine Prognose für das Wirtschaftswachstum in Deutschland für 2016 und 2017 gerade leicht nach unten korrigiert. Sehen Sie ebenfalls Korrekturbedarf


Krüger: Wir sehen derzeit keinen Korrekturbedarf für unsere ohnehin bereits defensive Prognosen von 1,5 Prozent für 2016 bzw. 1,2 Prozent für 2017. Vielfach wird das Brexit-Votum aus unserer Sicht als Vorwand benutzt, um ohnehin optimistische Prognosen der Realität anzupassen.

Auf Seite 3: Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Brexit doch noch ausfällt





Neben dem Brexit und den Konjunktursorgen drückt auch die Lage bei den italienischen Banken auf die Stimmung. Berichten zufolge sitzen die Kreditinstitute auf rund 360 Milliarden Euro fauler Kredite. Händler warnen, dass Italien ein größeres Risiko für die Stabilität der Euro-Zone sein könnte als der Brexit. Teilen Sie diese Einschätzung?


Krüger: Der Bankensektor ist ein unterschätztes Risiko, das anders als das Brexit-Votum von heute auf morgen schlagend würde. Da sich EWU-Politiker auf die EZB verlassen, wird es auch dann auf die Notenbank ankommen. Lösungsorientiertes Arbeiten ist das alles nicht.

Dafür fällt das britische Pfund von einem Tief zum nächsten. Wo könnte sich die britische Währung wieder fangen?


Krüger: Das lässt sich derzeit nicht sagen. Da letztlich unklar ist, ob und wie Großbritannien die EU verlassen wird, dürften die Kursnotierungen vorerst volatil bleiben.

In Großbritannien greift derzeit die Post-Brexit-Depression um sich. Es gibt Gewinnwarnungen, die Frühindikatoren drehen nach unten, Unternehmen drohen damit, ihren Sitz aufs europäische Festland zu verlegen. Was glauben Sie: Werden die Briten aus Angst vor einer tiefen Rezession am Ende doch noch die Notbremse ziehen und den Brexit abblasen?


Krüger: Wir rechnen mit einer Wahrscheinlichkeit von 35% damit, dass es nicht zum Brexit kommt. Die Klarheit darüber dürfte allerdings erst im Jahresverlauf 2017 zunehmen.