Veraltete Kanalisationen, Highways, Gleise, Tunnel, Flughäfen, Dämme - das ist Alltag in Amerika. Und damit immer häufiger ein Thema für Volkswirte und Investoren. Als Finanzminister Jacob Lew auf einer Hedgefondskonferenz die Eröffnungsrede hielt, ging er daher auf die Zustände ein: "Wir müssen unsere Infrastruktur erneuern. Unsere Häfen, Brücken und Straßen. Wenn wir das machen, lösen sich unsere fiskalischen Probleme langfristig von ganz allein."
Um welche Dimensionen es geht, zeigt eine Hochrechnung der amerikanischen Vereinigung der Bauingenieure (ASCE). Deren Experten schätzen, dass die USA 3,6 Billionen Dollar bis zum Jahr 2020 investieren müssen, um die nötigen Erneuerungen bewerkstelligen zu können. Diese Kraftanstrengung, so prognostizieren Volkswirte, wäre ein gigantisches Konjunkturprogramm für die amerikanische Wirtschaft.
US-Präsident Barack Obama würde lieber heute als morgen mit den Reparaturen beginnen. "Wenn Washington arbeiten würde, wie es sollte, würde der Kongress neue Jobs schaffen", sagte Obama mit Blick auf die I-495-Brücke, die über den Christina River in Wilmington, Delaware, führt. Seit Juni ist die Brücke gesperrt. Bauingenieure hatten festgestellt, dass sich die Pfeiler zur Seite neigen. 90 000 Fahrzeuge stecken jetzt jeden Tag auf dem Highway fest.
Es gibt noch viel schlimmere Fälle: Tragische Folgen hatte der Einsturz der Interstate 35W-Mississippi- Brücke in Minneapolis im August 2007. Bei dem Unglück kamen 13 Menschen ums Leben. Im Mai vorigen Jahres fiel eine Brücke auf dem Interstate Highway 5 im Bundesstaat Washington in sich zusammen.
Als ein schwer beladener Lkw eine Brücke über den Skagit River überquerte, zerbrachen die Stahlträger. Zwei Autos fielen ins Wasser, drei Menschen mussten aus dem eiskalten Fluss geborgen und ins Krankenhaus gebracht werden. Zum Glück kam niemand ums Leben. Die für die Highways zuständige Behörde hat vorgerechnet, dass elf Prozent der 67 000 Brücken im Land strukturell nicht mehr optimal sind. Im Schnitt sind Brücken in den USA 42 Jahre alt.
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Washington bremst
Der Investitionsdruck ist hoch. Es gibt aber ein großes Problem: Geld. Die Finanzmittel für die Highways speisen sich im Wesentlichen aus der Mineralölsteuer. Weil die Autos aber immer weniger verbrauchen, sind die Einnahmen eingebrochen. Dem Finanzierungsfonds Highway Trust Fund droht noch dieses Jahr die Insolvenz, wenn nichts geschieht. Eine Erhöhung der Mineralölsteuer lehnen die Republikaner jedoch strikt ab.
Obama schlägt als Alternative vor, Steuerschlupflöcher für Unternehmen zu schließen und die Mehreinnahmen für die Highways zu verwenden. Der Präsident warnt, wenn es zu keiner Einigung zwischen den beiden zerstrittenen Parteien komme, stünden bis zu 700 000 Jobs auf dem Spiel. Zurzeit machen die Ausgaben für öffentliche Infrastruktur nur 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, was dem niedrigsten Stand seit 1993 entspricht. Nicht nur in der Hauptstadt sind die Budgets ausgeschöpft, auch den Bundesstaaten fehlen die Mittel. Sie sind in erster Linie damit beschäftigt, ihre Schulden zu tilgen, die sie während der Finanzkrise angehäuft haben. 30 Prozent aller Mittel stammen vom Bund, den Rest steuern Bundesstaaten und Städte für die Verkehrswege bei.
Um Geld für Investitionen aufzutreiben, geht die Regierung neue Wege. Das Verkehrsministerium in Washington hat ein Investmentcenter für Partnerschaften mit Privatfirmen eingerichtet. So können Projekte schneller auf den Weg gebracht werden: aus privater Tasche vorfinanziert. Trotzdem wird vor allem für die ganz großen Projekte der Staat aufkommen müssen. Wann genau sich die Parteien auf ein großes Investitionsprogramm einigen, lässt sich schwer voraussagen. Fest steht aber: Viele Projekte lassen sich nicht mehr lange aufschieben.
Profitieren werden vor allem die Hersteller von Zement, Stahl, Glas und Baugerät. Auch Ingenieurdienstleister wie Fluor, Jacobs Engineering oder Chicago Bridge & Iron dürfen auf neue Aufträge hoffen. Dass die Branche vor einem Schub stehen könnte, zeigt die Übernahme von URS. Der zweitgrößte amerikanische Baukonzern wurde gerade für sechs Milliarden Dollar von Aecom aufgekauft. Das kalifornische Unternehmen dürfte sich jetzt speziell mit Kosteneinsparungen und Personalabbau beschäftigen. Analysten rechnen daher mit einer operativen Schwächephase.
Die Nummer 1 der Branche, Fluor Corporation, könnte von der Schwäche des Rivalen profitieren. Fluor mit seinen 38 000 Mitarbeitern hat sich viele spektakuläre Großaufträge gesichert. So errichten die Texaner beispielsweise zwischen San Francisco und Oakland eine Brücke. Sie soll erdbebensicher und mindestens 150 Jahre nutzbar sein. Auf der Kundenliste stehen auch die Raumfahrtbehörde NASA, das Verteidigungs- und Energieministerium sowie die Heimatschutzbehörde.
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Neue Märkte
Nicht nur die öffentliche Hand ist mittel- bis langfristig eine Goldgrube für die Baubranche, auch die Privatwirtschaft muss investieren. So prognostiziert die Mobilfunk-Lobbyvereinigung PCIA, dass die Telekombranche einschließlich der Funkturmanbieter bis zu 35 Milliarden Dollar jährlich bis 2017 investieren wird. "Beim mobilen Breitband handelt sich um eine Technologie vergleichbar mit der Elektrizität oder Eisenbahn", erklärt der Autor der PCIA-Studie, Rich Carlson.
Große Hoffnungen auf neue Aufträge nicht nur im Telekombereich macht sich auch Craig Martin, Chef von Jacobs Engineering. Der Konzern ist weltweit breit aufgestellt und damit nicht abhängig von einem Investitionsschub in der Heimat. Fast die Hälfte des Umsatzes erzielt Jacobs jenseits der Landesgrenzen.
Wichtig sind die Schwellenländer. Der Bedarf an Apartments, Büros, Fabriken, Schulen und Krankenhäusern mitsamt Infrastruktur wird dort mit steigendem Wohlstand und wachsender Bevölkerung langfristig zunehmen. Ökonomen vom Wirtschaftsforschungsinstitut Oxford Economics schätzen, dass die Bautätigkeit weltweit bis 2025 auf 15 Billionen Dollar per annum in die Höhe schnellen wird. Gegenüber 2012 entspräche dies einem Plus von 70 Prozent. 20 Millionen neue Häuser werden allein in Nigeria in den kommenden Jahren benötigt. Einige Länder werden besonders schnell nach vorn stürmen: China, USA, Indien, Indonesien, Russland, Kanada und Mexiko, sagen die Zukunftsforscher. Dort überall ist Jacobs bereits mit Niederlassungen vertreten.
Im Vergleich dazu ist die Frischwasserversorung New Yorks ein Klacks. Nach einigen Tagen fließt das Wasser wieder im Hochhaus. Dafür werden in anderen Straßen ständig neue Löcher aufgerissen. Die Metropole zwischen dem Hudson und dem East River ist eine Dauerbaustelle. Allein die vielen Baukräne, die in den Himmel ragen, belegen das eindrucksvoll.
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