Aber Merkel wählte dennoch den Notausgang, um die wachsende Kritik an ihrer Person zu beenden. Damit dürfte sie allerdings gleich zwei neue Diskussionen auslösen: Kann die nun von ihr gewählte Ämtertrennung zwischen Kanzlerschaft und Parteivorsitz bis 2021 funktionieren? Und wer wird Nachfolger an der Spitze der CDU und bestimmt damit den künftigen Kurs der Partei?

ÜBERGANG IN DER CDU WIRD VON NOVEMBER 2020 VORGEZOGEN



Mit Merkels Ankündigung ist die bisherige interne Planung über den Haufen geworfen worden, dass ein Übergang erst im Dezember 2020 und damit ein dreiviertel Jahr vor der nächsten turnusgemäßen Bundestagswahl eingeleitet werden sollte. Zu groß war der Druck nicht nur durch die Verluste bei der hessischen Landtagswahl, sondern auch das historisch schlechte Umfrageergebnis vom Sonntag, als die Union laut Emnid nur noch bei 24 Prozent bundesweit landete. Deshalb gab es auch im Merkel-Lager die Befürchtung, dass die Kanzlerin im Dezember zwar wiedergewählt werden könnte - aber mit einem schlechten Ergebnis.

Seit Bekanntwerden der hessischen Ergebnisse waberte deshalb die Forderung, dass man auf der Klausurtagung der CDU-Spitze am kommenden Sonntag Tacheles auch über eine Ämtertrennung sprechen müsse. Dem kommt Merkel nun zuvor: So vermeidet sie ein Scherbengericht und erntet im Gegenteil von allen Seiten Anerkennung für ihren Teilrückzug.

WIEVIEL MACHT HAT DIE KANZLERIN OHNE PARTEIVORSITZ NOCH?



Dabei bleibt unklar, ob der Teilrückzug ausreicht - oder ob Merkel nicht eine schiefe Ebene bis zum völligen Machtverlust betreten hat. Zwar wiegelten der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert und Thüringens CDU-Landesvorsitzender Mike Mohring sofort ab: Es sei für eine "Übergangszeit" durchaus möglich sei, Parteivorsitz und Kanzleramt zu trennen. Nur glauben dies auch viele in der CDU-Spitze nicht: EU-Kommissar Günther Oettinger etwa hatte noch am Morgen ausdrücklich vor einer Ämtertrennung gewarnt. Deutschland brauche in dieser schwierigen Phase eine starke Regierung - und damit meinte er auch eine starke Kanzlerin.

Merkel selbst hatte mit Verweis auf den früheren Kanzler Gerhard Schröder immer wieder vor einer Ämtertrennung gewarnt. "Das war für mich so ein Punkt, wo ich für mich gedacht habe: Das hat Konsequenzen", sagte sie 2015 und verwies auf den folgenden Machtverfall Schröders. Noch vor wenigen Wochen hatte sie deshalb ihre Ablehnung einer Ämtertrennung wiederholt. Dennoch versuchte Merkel am Montag die Erwartung zu zerstreuen, sie könnte gerade in der Europa-Politik eine "lame duck" werden, also eine machtlose Kanzlerin, die sich gegen einen neuen Unions-Fraktionsvorsitzenden und einen neuen CDU-Chef behaupten muss.

Aber ohnehin werden sich alle Kraftfelder in der CDU nun unabhängig von ihr aufstellen und wohl auch nicht mehr zuviel Rücksicht nehmen, weil Merkel ihren Ausstieg aus der Politik spätestens 2021 angekündigt hat. In der Politik müssen die Akteure Loyalitäten nun mit den künftig Mächtigen in der Union aufbauen. Was Merkel helfen könnte ist allerdings die Tatsache, dass die SPD wohl keinen neuen Unions-Kanzler in dieser Legislaturperiode wählen dürfte. Befreit vom Parteiamt und der damit verbundenen Verantwortung könnte Merkel in den kommenden Monaten als Kanzlerin den Stöpsel aus dieser Regierung ziehen, wenn ihr der am Montag kritisierte Arbeitsstil gerade von CSU und SPD nicht passen sollte. Die Kehrseite der abnehmenden Macht ist die größere Freiheit einer Kanzlerin, die sich und anderen nichts mehr beweisen muss.

WER KÖNNTE NACHFOLGER WERDEN?



Die zweite Debatte, die Merkel mit ihrem Schritt am Montag sofort auslöst, ist das Ringen um ihre Nachfolge an der CDU-Spitze. Bisher konnten sich mögliche ernsthafte Kandidaten hinter dem Mosern über die Parteivorsitzende verstecken. Aber am Montag mussten sowohl Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer und Gesundheitsminister Jens Spahn aus der Deckung kommen - obwohl für beide ein Wechsel erst im Dezember 2020 besser gewesen wäre. Denn keiner von beiden - die Merkel-Vertraute AKK und auch nicht der Konservative Spahn - hat die CDU bisher geschlossen hinter sich gebracht. Das zeigt schon die Tatsache, dass auch der frühere Unions-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz in Medien als Kandidat genannt wurde. Auf der Klausurtagung am Wochenende dürfte nun also nicht mehr über Merkel, sondern über die Nachfolger gestritten werden.

Dass die Kanzlerin sich dies tatenlos anschauen wird, ist nicht zu erwarten. Zu sehr hatte sie in den vergangenen Monaten vor allem mit der CSU und den CDU-Konservativen gegen den geforderten Rechtsruck gestritten. Allerdings muss sie sich dabei dennoch Zurückhaltung auferlegen - denn es würde gerade ihrer Vertrauten Kramp-Karrenbauer massiv schaden, wenn die ehemalige saarländische Ministerpräsidentin nun als Nachfolgerin von Merkels Gnaden angesehen würde. "Alle Versuche, dass diejenigen, die heute oder in der Vergangenheit tätig waren, ihre Nachfolge bestimmen wollen, sind immer total schiefgegangen, und das ist auch richtig so", hatte Merkel schon vergangene Woche betont.

Immerhin nimmt sich Merkel auch bei der Personalentscheidung aus der Schusslinie. Sollte sich die CDU vor, auf oder nach dem Parteitag im Dezember zerfleischen, steht sie nicht mehr im Zentrum der Kritik. Vielmehr könnte dies nachträglich die Argumentation von ihr, aber auch von Kramp-Karrenbauer bestätigen. Beide hatten gewarnt, dass ein Nachgeben gegenüber den "Merkel muss weg"-Parolen der Parteikonservativen gar nicht das entscheidende Problem der Volkspartei lösen würden. Auch CDU-Vize Volker Bouffier betonte, dass dies eher darin liege, dass CDU und CSU in den vergangenen Wahlen sowohl nach rechts an die AfD als auch nach links an die Grünen Wähler verloren hätten.

rtr