Die US-Notenbank wird ihre Nullzinspolitik jüngsten Ankündigungen zufolge noch für längere Zeit beibehalten, und auch in Europa deutet nichts auf eine Zinswende hin. Deshalb erscheinen Anleihen aus den Schwellenländern für immer mehr Investoren interessant. Immerhin bieten Emerging-Market-Bonds als nahezu letztes Segment der Anleihemärkte attraktive Kupons und damit auskömmliche Renditen. Diese lagen in den vergangenen 20 Jahren bei durchschnittlich acht Prozent.

Ganz so viel sollten Anleger nach der Erholung vom Corona-Crash nicht mehr erwarten. Schwellenländerbonds sind eine Assetklasse mit enormer Bandbreite, sowohl über Regionen und einzelne Länder hinweg als auch über Anlagesegmente wie Hartund Lokalwährungspapiere sowie Staats- und Unternehmensanleihen. Ein aktiver Investmentansatz ist daher entscheidend, um entsprechende Chancen zu nutzen und zugleich Abwärts- oder Ausfallrisiken zu minimieren. Gerade in turbulenten Marktphasen wie zu Beginn der Corona-Krise kommt es darauf an, konzentrierte und stark korrelierte Risikopositionen zu meiden und die Abhängigkeit von der Gesamtmarktentwicklung zu begrenzen. Unerlässlich ist dabei tiefgreifendes Research, das sowohl das globale Makroumfeld und die Fundamentaldaten einzelner Regionen und Länder als auch Bewertungen und technische Faktoren in den Blick nimmt, um fehlbewertete Länder, Marktsegmente und einzelne Anleihen zu identifizieren. Entscheidend ist dabei zu bewerten, was reale Bedrohungen sind und was bloß gefühltes Risiko und Marktgetöse.

Insgesamt sind einige der qualitativ höherwertigen Länder nach der jüngsten Rally bereits recht ambitioniert bewertet. Gleichzeitig reagieren sie weniger sensibel auf mögliche neue Schocks. Daher bergen sie sicherlich noch Potenzial, wenn auch weniger als noch vor Kurzem. Chancen eröffnen sich weiterhin auch in ausgewählten Bereichen des Hochzinsanleihemarkts der Schwellenländer. Neben ihrem Renditepotenzial bieten sie dank höherer Risikoaufschläge einen Puffer bei Schwächen langlaufender US-Anleihen. Und schließlich sind selektiv auch Papiere Not leidender Länder oder Unternehmen einen Blick wert - sofern die zu erwartende künftige Erlösquote (Recovery Rate) oberhalb der aktuellen Anleihekurse liegt. Hier haben sich 2020 schon einige Gelegenheiten aufgetan, etwa in Angola, Ecuador und Sri Lanka.

Gerade unter dem Aspekt der Diversifizierung ist es sinnvoll, Lokalwährungsanleihen beizumischen. Tatsächlich sind Anleihen in Landeswährung nicht notwendigerweise risikobehafteter als in US-Dollar oder anderer Hartwährung begebene Papiere, und Lokalwährungsanleihen haben kein per se höheres Ausfallrisiko als solche in Hartwährung. Denn letztendlich muss ein Land die harte Währung einnehmen, wohingegen es die landeseigene drucken kann. Zugute kommt Anleihen in lokaler Währung neben der Unterstützung der Zentralbanken auch oftmals eine solide und wachsende lokale Investorenbasis aus Banken, Pensionsfonds sowie zunehmend Privatanlegern, die ein wichtiger Performancetreiber ist. Das gilt derzeit mitunter für Russland, Südafrika und Indonesien.

Auch hier müssen Investoren genau hinsehen: Teile des Markts für Lokalwährungsanleihen verhalten sich ähnlich wie Staatsanleihen entwickelter Länder oder sind zumindest stark von der Zentralbankpolitik beeinflusst. Auf der anderen Seite gibt es höher verzinste Marktsegmente, die sich eher wie Unternehmensanleihen verhalten. In der Summe bietet ein Research-basiertes, strategisches Engagement in Emerging-Market-Bonds Diversifikationsvorteile und erschließt zusätzliches Renditepotenzial. Als unterstützende Faktoren wirken hier insbesondere die wachsende Bedeutung der Schwellenländer und maßgebliche Fortschritte, die sie in Sachen Transparenz und staatliche Institutionen gemacht haben.

Über Nick Eisinger
Eisinger ist Fondsmanager für Schwellenländeranleihen bei Vanguard. Er hält einen Master of Science in lateinamerikanischer Politik und Wirtschaft von der Universität London. Die 1975 gegründete Vanguard Group ist der Pionier effizienter Indexinvestments für alle Anlegergruppen. Mit der Auflage des Vanguard 500 Index Fund im Jahr 1976 läutete sie die Ära der kostengünstigen Indexanlagen für Privatanleger ein.