Umwelt, soziale Aspekte und eine gute Unternehmensführung (ESG) - Firmen, die auch nach diesen Kriterien handelten, seien einfach widerstandsfähiger und langfristig besser aufgestellt, begründet Altaf Kassam, Investmentexperte beim Finanzdienstleister State Street, seine Beobachtung. "ESG hat den Krisentest bestanden und ist schnell das wichtigste Element für jeden Investor geworden." Die landläufige Meinung, grüne Anlagen brächten weniger Rendite, gilt damit als überholt.
Experten sagen für 2021 einen Boom für nachhaltige Anlagen voraus. Für Investoren bleibt jedoch die Hürde herauszufinden, wie "grün" Firmen tatsächlich aufgestellt sind. Unter dem Schlagwort "nachhaltig" wird mittlerweile eine Vielzahl von Anlagemöglichkeiten beworben. Wegen der wachsenden Bedeutung fordern die Wertpapieraufseher in Frankreich und den Niederlanden schärfere EU-Regeln für nachhaltige Investments. Damit sollen unzutreffende Behauptungen im Rahmen des sogenannten "Greenwashing" verhindert werden.
Beim boomenden Geschäft mit grünen Investments wollen auch Börsenbetreiber mitmischen und bieten neue Indizes und Datenprodukte an, damit Investoren ESG-Risiken besser einordnen können. So führte etwa die Deutsche Börse im März mit dem Dax 50 ESG einen neuen Index mit Fokus auf Nachhaltigkeit ein. In den USA übertraf der Aktienindex S&P 500 ESG-Index in diesem Jahr mit einem Plus von 15,4 Prozent den regulären S&P 500-Index, der 13,7 Prozent zulegte. Die ESG-Version schließt unter anderem Firmen aus, die Dinge wie Tabak und umstrittene Waffen wie Landminen und chemische Waffen herstellen.
KAROTTE UND PEITSCHE
Eine große Anzahl von Unternehmen stelle aber immer noch nicht genügend Informationen zur Verfügung, damit Investoren ökologische und soziale Faktoren angemessen bewerten können, kritisiert die Vermögensverwaltung T. Rowe Price. "Der Klima-Wandel stellt nicht nur für die Erde sondern auch für unser Anlageuniversum eine ernsthafte Herausforderung dar", sagt Branchenexpertin Maria Elena Drew. Der Fokus liege daher darauf, bei Firmen stärker nachzuhaken, um einen besseren Einblick in ihre ökologische und soziale Ausrichtung zu bekommen.
"Wir tauchen auch als aktiver Eigentümer auf", betont Jan Amerit Poser, Chefstratege und Leiter Nachhaltigkeit bei der Schweizer Bank J. Safra Sarasin. Bei Novartis und Roche sei etwa zusammen mit anderen Investoren nachgehakt worden, welchen Zugang zu Medikamenten Entwicklungsländern geboten werde. Bei Unternehmen, die den für Batterien wichtigen Rohstoff Kobalt verarbeiten, werde darauf geachtet, dass in den Herkunftsländern keine Kinder beim Abbau eingesetzt würden.
Der erste Schritt sei häufig ein Brief an die Unternehmen, berichtet Poser. Doch nicht immer sind Firmen zur Auskunft bereit. "Es ist immer wichtig, dass sie neben der Karotte auch die Peitsche haben." Als letztes Druckmittel bleibe, ein Unternehmen aus dem Anlage-Portfolio zu werfen.
NACH EUROPA SPRINGEN AUCH USA UND CHINA AUF DEN ZUG AUF
Befeuert wird die Nachfrage nach grünen Anlagen zudem durch die zunehmende Regulierung, die etwa durch höhere CO2-Preise fossile Brennstoffe teurer macht. Auch an Geld mangelt es nicht. Anfang Oktober habe der weltweite Markt für grüne Anleihen das Gesamtvolumen von einer Billion Dollar übertroffen, sagt Bertrand Roucher, Portfolio Manager bei Mirova, einem auf nachhaltige Investments spezialisierten Vermögensverwalter. "Getrieben unter anderem durch die rege Emissionstätigkeit innerhalb der Europäischen Union könnten 2021 neue Green Bonds mit einem Volumen von 300 Milliarden Euro begeben werden."
Das Thema Nachhaltigkeit ist in allen Weltregionen en vogue: Die EU will mit Hilfe des "Green Deal" bis 2050 klimaneutral aufgestellt sein, also unter dem Strich keine Treibhausgase mehr ausstoßen. China als weltweit größter Treibhausgas-Produzent ist auf den Zug aufgesprungen und will bis 2060 klimaneutral werden. Mit der Wahl von Joe Biden zum künftigen US-Präsidenten wird auch in den USA ein kräftiger Schub für alternative Energien erwartet. Weltweit sollen die Milliarden, die in den Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Coronavirus-Pandemie fließen, auch zum Umbau in ein nachhaltigeres Wirtschaftsmodell genutzt werden. Hatte Deutschland bei der Energiewende noch die Nase vorn, sei dies bei nachhaltigen Geldanlagen nicht der Fall, betont Poser. Hier sei eher Frankreich Vorreiter.
Eine Chance, Nachhaltigkeitskriterien bei deutschen Unternehmen stärker durchzusetzen, sei bei der Reform des Leitindex Dax verpasst worden, kritisiert der Frankfurter Ökonom, Volker Brühl, Geschäftsführer des Center for Financial Studies an der Goethe-Universität. Die Mitgliedschaft in der obersten Börsenliga wurde nach dem Wirecard-Skandal zwar an strengere Voraussetzungen geknüpft und die Zahl der Mitglieder um zehn auf demnächst 40 erweitert. Diese Veränderungen seien grundsätzlich zu begrüßen", sagte Brühl. "Allerdings blendet diese Reform das Thema Nachhaltigkeit völlig aus."
rtr