Die Bank of England (BoE) lockerte damit erstmals seit März 2009 die Zügel, als sie gegen die Weltwirtschaftskrise ankämpfte. Nun musste sie erneut geldpolitisch in die Offensive gehen, denn das Land steuert nach dem EU-Austrittsvotum vom 23. Juni auf den stärksten Konjunktureinbruch seit sieben Jahren zu.
BoE-Chef Mark Carney mahnte die Politik, sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht allein auf die Notenbank zu verlassen: "Wir können diesen strukturellen Schock nicht sofort und vollständig bewältigen." Zugleich redete er den Bankern ins Gewissen, die günstigeren Bedingungen bei der Geldbeschaffung an die Bürger weiterzugeben: "Sie sollten es ihren Kunden schriftlich geben."
Derzeit herrscht auf der Insel Unsicherheit, ob Großbritannien künftig noch Zugang zum EU-Binnenmarkt haben wird. Dies drückt auf die Konsumlaune und lastet auf der Investitionsbereitschaft der Firmen. Zudem geht in der Finanzmetropole London die Furcht um, Geschäfte nach einem Brexit zu verlieren. Um die von solchen Sorgen belastete Wirtschaft anzukurbeln, öffnete die BoE die Geldschleusen nun kräftig: Ihr Staatsanleihen-Kaufprogramm wurde um 60 Milliarden auf 435 Milliarden Pfund (514 Milliarden Euro) aufgestockt.
"ANREIZ MIT DEM VORSCHLAGHAMMER"
Zugleich schnürte sie zwei neue Pakete: Als zusätzliche Anschubhilfe sollen Unternehmensanleihen im Wert von zehn Milliarden Pfund erworben werden. Komplettiert werden die Konjunkturstützen durch ein Programm zur Förderung der Kreditvergabe, das bis Ende 2017 bis zu 100 Milliarden Pfund mobilisieren soll: Es soll Banken und Bausparkassen zur Darlehensvergabe ermuntern - notfalls auch mit Strafen für Verweigerer: "Das ist ein Anreiz mit dem Vorschlaghammer", sagte Ökonom James Knightley vom Geldhaus ING. Dennoch hegt er Zweifel, dass es gelingt, eine Rezession zu vermeiden. Viele Experten erwarten diese im nächsten Jahr.
Die Londoner Währungshüter haben die Hoffnung auf Wachstum in diesem Jahr bereits weitgehend begraben und signalisieren, dass sie 2016 zu einer weiteren Zinssenkung bereit sind. Unter die Null-Linie solle es aber nicht gehen, betonte der BoE-Chef: "Ich bin kein Fan negativer Zinsen." Laut Carney können alle jetzt ergriffenen Maßnahmen bei Bedarf noch ausgeweitet werden.
Die Schritte kamen in der Finanzbranche gut an: Die Chefvolkswirtin des britischen Bankenverbandes, Rebecca Harding, fühlte sich in der Tragweite an die berühmte Londoner Rede von EZB-Chef Mario Draghi erinnert. Darin hatte der Italiener 2012 auf dem Höhepunkt der Euro-Krise gelobt, innerhalb seines Mandats alles zu tun, um die Gemeinschaftswährung zu retten. Das hatte Investoren an der Börse sofort beruhigt.
Das Pfund Sterling sackte am Donnerstag nach der Zinssenkung der BoE um mehr als zwei Cent auf 1,3115 Dollar ab. Zum Euro verbilligte es sich um zwei Euro-Cent auf 1,18 Euro. Britische Aktienanleger freuten sich dagegen und zogen den Leitindex der Londoner Börse um 1,5 Prozent nach oben.
Mit der Zinssenkung schwenkt die britische Notenbank auf einen Kurs ein, den zuvor bereits die Europäische Zentralbank (EZB) und die japanische Zentralbank eingeschlagen haben. Beide versuchen, mit einer ultra-lockeren Geldpolitik die Konjunktur flottzumachen. Anders als in Frankfurt und Tokio ist der Leitzins in London jedoch noch ein kleines Stück von der Null-Linie entfernt. Die EZB und auch die Bank of Japan versuchen zudem, durch eine Strafgebühr für bei der Zentralbank gehortetes Geld, die Konjunktur und die Kreditvergabe anzukurbeln.
In den USA haben die Währungshüter nach dem Brexit-Schock hingegen Pläne für eine geldpolitische Straffung vorerst auf Eis gelegt. Sie fürchten Auswirkungen des Brexit-Votums, das in Großbritanniens Wirtschaft bereits deutliche Spuren hinterlassen hat: Der Bausektor schrumpfte zuletzt so stark wie seit sieben Jahren nicht mehr und auch die Industrie ging rasant auf Talfahrt.
Angesichts dieser Abwärtsentwicklung will Premierministerin Theresa May die Wirtschaft mit einer neuen Industriepolitik fit für die Zeit nach dem Austritt aus der EU machen. Details des geplanten Programms wurden jedoch noch nicht bekannt. Auf der Insel ist das Kernstück des Verarbeitenden Gewerbes im Niedergang, seit die konservative Premierministerin Margaret Thatcher vor 30 Jahren das Ende der Industriepolitik ausrief. Carney forderte von der Politik, die Produktivität der Wirtschaft zu fördern.
rtr