Herr Preißler, die Kurse zehnjähriger Bundesanleihen fallen, im Gegenzug steigen die Renditen. Was sind die Gründe?
Der überfällige Richtungswechsel wurde vor allem von steigenden Inflationssorgen ausgelöst, ist aber auch Folge einer wieder anziehenden Konjunktur in der Eurozone. Die Renditen waren in den vergangenen Monaten sehr stark gesunken, zwischenzeitlich rentierte die zehnjährige Bundesanleihe bei nur noch 0,05 Prozent. Seit dem Durchstoßen der Zwei-Prozent-Marke nach unten zu Beginn des vergangenen Jahres konnte man eine Überbewertung ausmachen, die mit der Zeit groteske Züge angenommen hat. Deshalb war klar, dass der Trend irgendwann wieder drehen wird. Jetzt normalisiert sich die Welt langsam wieder.
Für 2015 wird ein Wachstum von 1,5 Prozent, für 2016 von 1,9 Prozent erwartet. Motiviert das Anleger, den sicheren Hafen Bundesanleihen zu verlassen?
Ja, Investoren gehen wieder vermehrt ins Risiko und wechseln ins High-Yield-Segment oder kaufen Aktien.
Kann man die jüngsten Entwicklungen am Anleihemarkt als Blitz-Crash bezeichnen?
Ich denke schon. In den vergangenen zwei Wochen stiegen die Renditen um 50 bis 60 Basispunkte, dies entspricht bei zehnjährigen Anleihen einem Kursverlust von fünf bis sechs Prozent. Solche Schwankungen sind bei Anleihen selten. Noch höhere Kursverluste - bis zu 15 Prozent - erlitten die Besitzer von Anleihen mit ultralangen Laufzeiten. Doch Privatanleger haben sich da nur wenig engagiert. In erster Linie sind dort Versicherungen und Pensionskassen investiert, die solche Papiere meist bis zum Ende der Laufzeit halten. Die aktuellen Kursentwicklungen tangieren sie daher nicht.
Die Europäische Zentralbank (EZB) erwirbt pro Monat für zehn Milliarden Euro Bunds. Reicht das nicht, um die Kurse der Bundesanleihen stützen?
Nein, die EZB-Anleihekäufe verflachen nur den Renditeanstieg. Die aktuelle Entwicklung ist daher genau das, was EZB-Chef Mario Draghi mit seinen Maßnahmen bezweckt: Die Anleger verkaufen ihre Staatsanleihebestände an die EZB und tätigen mit dem Geld produktivere Investments. Sprich, Privatanleger sollen konsumieren oder Aktien kaufen, die Banken sollen mehr Kredite vergeben. Das Ganze zielt darauf ab, die Konjunktur zu beleben und die Inflation in der Eurozone zurück in Richtung zwei Prozent zu treiben.
In der Eurozone war die Inflationsrate vier Monate lang negativ, aktuell sind null Prozent. Ist dies auf die EZB-Anleihekäufe zurückzuführen?
Nein, es dauert, bis die EZB-Anleihekäufe sich auf die Preise auswirken. Die anziehende Teuerung hängt vor allem mit der Stabilisierung des Ölpreises zusammen. Im zweiten Halbjahr dürfte sich der Inflationsanstieg sogar beschleunigen, weil dann Basiseffekte aus dem Vorjahr auslaufen. Die Anleihekäufe wirken sich erst 2016 auf die Preissteigerungsraten aus.
Auf Seite 2: Kann das Beispiel Japan eintreten?
Ist die Gefahr einer lang anhaltenden Deflationsphase wie in Japan damit gebannt?
Die hat meiner Meinung gar nicht bestanden. Die Kerninflationsrate, die ja die Energiepreise nicht berücksichtigt, war stets über null Prozent. Auch haben die Verbraucher ihre Ausgaben nicht zurückgefahren, weil sie keine sinkende Preise erwarteten.
Ist es vorstellbar, dass die EZB angesichts der erfreulichen Entwicklungen ihre Anleihekäufe vor dem September 2016 einstellt?
Nein, sie will sicher sein, dass die von ihr angestoßene Entwicklung auch nachhaltig ist. Sie wird daher erst dann die Käufe beenden, wenn die Teuerungsrate auf den Zielwert von knapp unter zwei Prozent gestiegen ist und dort aller Voraussicht nach auch bleibt.
Anleiheguru Bill Gross hat vor Kurzem Wetten auf fallende Kurse bei Bundesanleihen als "the short of a lifetime" bezeichnet? Hat er recht?
Das ist wahrlich keine neue Erkenntnis. Seit geraumer Zeit weiß jeder, dass sich die Bewertung von Bundesanleihen mit herkömmlichen Methoden nicht mehr erklären lässt. Die Frage war, wann die Blase platzt, darauf hat im Übrigen auch Bill Gross keine Antwort gegeben.
Wie hoch wird denn die zehnjährige Bundesanleihe Ihrer Meinung am Ende des Jahres rentieren?
Wir rechnen mit einem Prozent, das würde vom aktuellen Niveau einem Kursverlust von weiteren etwa fünf Prozent entsprechen.
Sind Anleihen südeuropäischer Staaten eine Alternative oder drohen auch da Kursverluste?
Die Renditen sind in den vergangenen Tagen ebenfalls gestiegen, mittlerweile ist wieder Beruhigung eingetreten. Die Anleger sind bei den Peripheriestaaten besser aufgehoben, vor allem wenn sie die Anleihen bis zum Laufzeitende halten. Der Renditeabstand einer portugiesischen Anleihe zur zehnjährigen Bundesanleihe beträgt immerhin 1,8 Prozentpunkte.
Gefährdet der Renditeanstieg die Erholung in Südeuropa?
Nein. Insbesondere in Spanien und Portugal tragen die Reformmaßnahmen Früchte. Zwar verteuert sich für diese Staaten der Schuldendienst, doch ein Renditeanstieg auf 2,5 Prozent ist für sie verkraftbar. Erst ab drei Prozent dürfte es schwieriger werden.
Werden auch die Renditen von Unternehmensanleihen anziehen?
Ja, bei so tiefen Risikoprämien sind alle Anleihesegmente von einem Zinsanstieg betroffen. Allerdings können risikoreiche und höher rentierende High Yields mit ihren attraktiven Kupons Kursverluste abfedern. Diese Papiere sind jedoch sehr illiquide und eignen sich deshalb allenfalls als Beimischung.
Macht es für europäische Anleger Sinn, sich in Emerging-Markets-Bonds in lokaler Währung zu engagieren?
Währungsspekulationen sind eine heikle Sache. Zwar sind Anleihen der Schwellenländer attraktiv verzinst, aber das Segment dürfte unter der erwarteten Zinswende in den USA leiden.
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Harald Preißler
Harald Preißler ist Chefvolkswirt und Leiter Anlagemanagement der Bantleon Bank AG. Nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Würzburg arbeitete Preißler zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Würzburg und Ulm. Noch während seiner Promotion begann er 1999 als Senior Analyst bei der Bantleon Bank AG in Zug. Im Jahr 2001 wurde er zum Leiter der Kapitalmarktanalyse, 2005 zum Chefvolkswirt der Bantleon Bank AG ernannt.