von Christoph Boschan, Geschäftsführer der Boerse Stuttgart Holding

Wenn es um europäische Politik geht, ist häufig von Harmonisierung die Rede - manch kritische Stimme spricht gar von "Gleichmacherei". Ganz im Kontrast dazu steht die Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, kurz MiFID. Statt einheitlicher Wettbewerbsbedingungen brachte sie nach ihrer Einführung im Jahr 2007 einen stark verzerrten, heterogenen Wettbewerb im Wertpapierhandel hervor. Das ursprüngliche Ziel der EU war aller Ehren wert: Die Konkurrenz der Handelsplätze um Kundenorders sollte intensiviert, der Anlegerschutz gestärkt und die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts verbessert werden. Zudem sollte mehr Wettbewerb zu niedrigeren Entgelten für Orderausführungen führen.

Sieben Jahre nach Einführung der Richtlinie lässt sich sagen, dass nur das letzte dieser Ziele erreicht wurde. Auch wenn die Orderentgelte gesunken sind, zahlen insbesondere Privatanleger heute in anderer Hinsicht einen viel höheren Preis: Gut funktionierende Marktstrukturen wurden aufgebrochen, das grundlegende Ziel eines verbesserten Anlegerschutzes wurde ins Gegenteil verkehrt. Die Zahl der in der EU aktiven Handelsplattformen stieg seit 2007 auf 150 an. Die Folge: Von den elektronischen Handelsplätzen sind heute nur noch ein Drittel stark regulierte Börsen. Die strengen Regeln, denen sich Börsen unterwerfen müssen, gelten nicht oder nur eingeschränkt für die übrigen Handelsplattformen. Gleichzeitig nutzen sie die an Börsen ermittelten Preise für ihre eigene Preisbildung.

Auf Seite 2: Mehr Transparenz schaffen



Die Überarbeitung der Richtlinie, genannt MiFID II, soll nun an einigen Stellen zu Verbesserungen führen und mehr Transparenz bringen. So wird eine zusätzliche Kategorie elektronischer Handelsplätze eingeführt, da sich ein Großteil der aktiven Plattformen keiner der bisherigen Kategorien zuordnen ließ. Damit werden große Teile des Wertpapierhandels aus dem Verborgenen ans Tageslicht geholt: Kauf- und Verkaufsaufträge müssen künftig vor der Preisermittlung veröffentlicht werden, ebenso die zustande gekommenen Geschäfte.

Transparenz ist jedoch kein Synonym für Anlegerschutz, sondern nur ein Teil davon. Die Kluft zwischen regulierten und nicht regulierten Handelsplätzen wird mit MiFID II also nicht geschlossen. Inzwischen werden viele Privatanlegerorders auf weniger regulierten Handelsplattformen ausgeführt - oft ohne Wissen der Anleger. Vor MiFID bildeten allein die in Konkurrenz stehenden Börsen den maßgeblichen Ordnungsrahmen für den Wertpapierhandel. Sie bieten Anlegern nicht nur vollständige Vor- und Nachhandelstransparenz, sondern auch die Verlässlichkeit einer unabhängigen Handelsüberwachung sowie eine neutrale Preisermittlung. An Börsen herrscht mithin das höchste Niveau beim Anlegerschutz. Die logische Konsequenz kann also nur sein, dass Wertpapieraufträge von Privatanlegern grundsätzlich an einem regulierten Markt wie der Börse ausgeführt werden sollten.

Auf Seite 3: Was das für Anleger bedeutet



Neben Privatanlegern profitieren auch Unternehmen vom regulierten Börsenhandel. Alternative Plattformen haben oft nur den Handel von großen Volumina hochliquider Aktien im Blick. Gerade für Nebenwerte bieten nur regulierte Börsen ein Höchstmaß an Liquidität. Die Börse Stuttgart versteht sich zudem als Vollsortimenter: Anleger können in Stuttgart Aktien, verbriefte Derivate, Anleihen, Fonds und Genussscheine jederzeit handeln. Was auf den ersten Blick selbstverständlich scheint, ist bei näherer Betrachtung nicht überall in gleichem Maße gegeben. Die gesetzliche Betriebspflicht und eigene Regeln der Börse sorgen dafür, dass der Handel in allen gelisteten Papieren an der Börse Stuttgart auch in turbulenten Marktphasen aufrechterhalten wird - so weit dies möglich ist. Bei außerbörslichen Handelsplattformen stehen Anleger dann bereits vor verschlossenen Türen. Deshalb gilt es, die Rolle der regulierten Börsen auch seitens des Gesetzgebers wieder zu stärken.

Christoph Boschan

Der promovierte Jurist ist seit 2012 Vorstandsmitglied der Boerse Stuttgart AG, verantwortet das Ressort Börsenbetrieb und Informationstechnologie und ist zugleich Geschäftsführer der Boerse Stuttgart Holding GmbH. Bereits seit 2010 war er als Geschäftsführer der Baden-Württembergischen Wertpapierbörse tätig. Zuvor war er bei verschiedenen Finanzdienstleistern und Börsen unter anderem als Broker tätig.