Das sind elf Milliarden Euro mehr, als die Bundesregierung im März im Nachtragsetat mit einer Rekordneuverschuldung angenommen hatte. Dennoch ist die Viruskrise laut Bundesfinanzminister Olaf Scholz "finanziell zu bewältigen". Als nächstes stehe an, die Konjunktur mit gezielten Maßnahmen wieder in Schwung zu bringen.
Die Mindereinnahmen bewegten sich "im Rahmen dessen, was wir erwarten konnten", sagte Scholz. "Trotzdem ist das nur eine Momentaufnahme." Der weitere Verlauf der Pandemie sei nicht seriös vorherzusagen. Der Einbruch der Steuereinnahmen ähnelt der Lage in der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2009. Damals sagten die Schätzer einen Einbruch der Steuereinnahmen für einen Vierjahres-Zeitraum um gut 316 Milliarden Euro voraus. Zu den Mindereinnahmen tragen auch Coronahilfsmaßnahmen des Bundes bei, die es Unternehmen erlauben, erwartete Verluste mit Steuervorauszahlungen schneller und einfacher zu verrechnen. Auch Stundungen der Steuerzahlungen wurden vereinfacht.
Die Frage nach Steuererhöhungen parierte Scholz: "Wir können uns das, was wir uns bisher vorgenommen haben, weiter leisten." Das gelte auch für die Grundrente. "Ja, eindeutig", sagte der SPD-Politiker. Er verwies auf Forderungen etwa von Teilen der Union und der Wirtschaft, darauf aus Finanzierungsgründen zu verzichten: "So jemand gehört eigentlich ausgebuht."
SCHOLZ LÄSST HILFEN FÜR KOMMUNEN
Mit der Steuerschätzung zwei Mal im Jahr legen die Experten von Bund, Ländern und Gemeinden sowie von Bundesbank und Forschungsinstituten die Grundlage für die Finanzplanung der öffentlichen Hand. Scholz kündigte eine Sonderschätzung im September vor dem Kabinettbeschluss über den Etatentwurf für 2021 an. Den Ländern werden für 2020 Mindereinnahmen von 35 Milliarden Euro und den Kommunen von 15,6 Milliarden Euro vorausgesagt. Erst 2022 würde der Gesamtstaat nach dieser Schätzung mit Steuereinnahmen von 816 Milliarden Euro wieder das Vorkrisenniveau der Steuereinnahmen übertreffen.
Grundlage der Berechnungen ist die Annahme der Bundesregierung, dass die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 6,3 Prozent sinkt. 2021 wird dann eine kräftige Erholung mit einem Wachstum von 5,2 Prozent erwartet. Diese Prognose könnte aber wackeln, sollte es zu einer zweiten Infektionswelle kommen.
Scholz ließ offen, ob die Kommunen mit Bundeshilfen rechnen können. Er verwies auf ihre Mindereinnahmen bei den Gewerbesteuereinnahmen. "Das ist nicht wenig Geld", sagte Scholz. Sein Angebot zur Altschuldenentlastung von Kommunen stehe weiter. Städte und Gemeinden hatten Hilfen gefordert und sprachen darüber am Nachmittag auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Die Kommunen brauchen dringend Hilfe des Bundes bei den Gewerbesteuerausfällen und eine Entschuldung der unverschuldet hochverschuldeten Kommunen", sagte die saarländische Vize-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) zu Reuters.
WIRTSCHAFT FORDERT ENTLASTUNGEN
Der Zentralverband des Handwerks rief die Bundesregierung zu einem Dreiklang von "Infrastrukturinvestitionen, Innovationsstärkung und Entlastung" auf. Ergänzende staatliche Nachfrageimpulse müssten "branchenunabhängig die gesamte Breite der Volkswirtschaft erreichen". Der Industrie-Verband BDI forderte Steuerstrukturreformen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag warnte davor. "aktuelle Finanzlöcher mit höheren Steuern und Abgaben schließen zu wollen".
CDU-Haushälter Eckardt Rehberg verwies darauf, dass auch bei den Ausgaben weitere Belastungen anstünden, etwa für das geplante Konjunkturpaket und zur Stützung der Sozialversicherungen. "Es ist richtig, dass wir dafür jetzt hohe Schulden aufnehmen", sagte Rehberg. "Dennoch müssen wir Maß halten." CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach sagte, Deutschland werde über einen längeren Zeitraum nicht ohne Nettoneuverschuldung auskommen. "Allein das erfordert, dass wir uns nicht mit zusätzlichen konsumtiven Ausgaben die Spielräume für den Re-Start verstellen." Steuererhöhungen lehnte er ab.
Die Grünen forderten "100 Milliarden Euro für schnell und gezielt wirkende Konjunkturmaßnahmen und 500 Milliarden Euro in zehn Jahren für ein sozial-ökologisches Investitionsprogramm". Trotz Viruskrise dürfe die Klimakrise nicht aus den Augen geraten, erklärten die Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler und Anja Hajduk. "Die Kosten für die Krise sollten gerecht verteilt werden und starke Schultern mehr tragen als schwache", forderte Grünen-Finanzexpertin Lisa Paus.
rtr