Herr Schmieding, die Fed hat die Leitzinsen gestern wie von vielen erwartet, zum ersten Mal seit fast zehn Jahren erhöht. Ist Lehman Brothers damit nun endgültig Geschichte?
Nein, die Große Finanzkrise wird noch lange nachwirken. Dies war nur einer von vielen Schritten zurück zur Normalität.
Im November sind in den USA Präsidentschaftswahlen. Die Fed hat eine Projektion von 1,375 Prozent für 2016 bekräftigt. Glauben Sie tatsächlich, dass die US-Notenbanker 2016 weiter an der Zinsschraube drehen werden?
Selbstverständlich. Sofern die Konjunktur stabil bleibt, wird die Fed die Zinsen vorsichtig weiter anheben. Wir rechnen mit drei weiteren Schritten von 25 Basispunkten im Jahr 2016.
Das US-Wirtschaftswachstum hat sich im Jahresverlauf allerdings merklich abgekühlt auf zuletzt noch 2,1 Prozent. Wie groß ist die Gefahr, dass die Fed mit diesem Schritt womöglich die größte Volkswirtschaft der Welt abwürgt?
Die Gefahr ist gering. Die Zinsen bleiben weiterhin sehr niedrig. Und angesichts einer anhaltenden Zunahme der Beschäftigung können die US-Häuslebauer etwas höhere Hypothekenzinsen verkraften. Da die kurzfristigen Wirtschaftsdaten immer schwanken, würde ich auch nicht davon sprechen, dass die US-Konjunktur sich abgekühlt habe. Das erste Quartal war schwach, das zweite außerordentlich stark, das dritte Quartal lag etwa im Trend.
Was bedeutet die Zinserhöhung für die Finanzmärkte? Droht uns jetzt eine Seitwärtsbörse?
Der Ausblick ist unverändert. Die Märkte sind weiterhin nervös. Deshalb müssen wir mit einigen Schwankungen rechnen. Aber die Grundtendenz an der Börse ist eher nach oben gerichtet.
Der Dollar hat gestern gegenüber dem Euro bereits zugelegt. Steuert der Euro jetzt doch allmählich auf die von vielen befürchtete Parität zum Dollar?
Kurzfristig ist das nicht ausgeschlossen. Aber fundamental spricht wenig dafür. Der Dollar ist bereits jetzt überbewertet. Die US-Notenbank wird ihre Zinsen nur vorsichtig weiter anheben. Zudem brauchen die USA höhere Zinsen als Europa, um das Kapital zur Finanzierung ihres außenwirtschaftlichen Defizits anzulocken. Ich rechne eher damit, dass im kommenden Jahr der euro sich etwas gen 1.15 US Dollar erholen kann. Dass die Märkte etwas höhere US-Zinsen erwarten, ist ja bereits jetzt in den Wechselkursen enthalten.
Für die traditionell exportstarke deutsche Wirtschaft ist die Zinserhöhung aber eine gute Nachricht, oder?
Dass die US-Wirtschaft robust genug ist für etwas höhere Notenbankzinsen ist die eigentlich gute Nachricht.
Umgekehrt könnte die Situation für chinesische Unternehmen schwierig werden, da viele Kredite in Dollar halten. Wird sich die Konjunktur in China nun weiter abschwächen und uns die US-Zinswende damit über den Umweg China doch noch treffen?
Sollte der US-Dollar noch einmal spürbar zulegen., würde das die Situation für Dollar-Schuldner verschärfen. Allerdings stünden dem bessere Absatzchance für alle Unternehmen gegenüber, die viel in den Dollar-Raum verkaufen. Es gäbe Gewinner und Verlierer.
Wann wird die EZB dem Beispiel der Fed folgen?
Irgendwann schon. Aber da die EZB ja erst viel später als die US Fed ihrer Geldpolitik mit dem Ankauf von Staatsanleihen die nötige Schlagkraft verliehen hat, hinkt die Eurozone konjunkturell weit hinter den USA zurück. Bei uns wird es noch mindestens zwei Jahre dauern, bis die EZB ihre Zinsen anheben kann. Wer zu spät kommt, den bestraft halt das Leben