Fit für den Alltag - dafür brauchen Kinder und Jugendliche auch Wissen um Finanzen. Doch wie steht es um das Fach Wirtschaft an der Schule? Von Maren Lohrer, Euro am Sonntag
Maschinen stehen still, Geschäfte sind geschlossen, Restaurants verwaist, Angestellte in Kurzarbeit, Unternehmen rutschen in die Insolvenz, staatliche Ausgaben steigen: Die Corona-Krise zeigt mit aller Wucht, dass eine gut funktionierende Wirtschaft nicht selbstverständlich ist. Die Folgen der Krise werden lange spürbar sein, und sie betreffen viele Menschen. Und obwohl die Wirtschaft ein wichtiger Teil unseres Lebens ist, lernen viele Jugendliche in der Schule hierüber wenig.
"Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ne Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen." In diesem Tweet brachte Naina Kümmel die Misere vieler Jugendlicher auf den Punkt: Sie fühlen sich durch die Schule nicht ausreichend aufs Leben vorbereitet. 2015 twitterte die damalige Kölner Abiturientin ihren Frust. Wie steht es aktuell um das ökonomische Wissen von Schülern?
"Ökonomische Bildung ist im deutschen allgemeinbildenden Schulsystem bisher sehr heterogen verankert und kommt zum Teil nur in homöopathischer Dosis vor. Viele Jugendliche verlassen die Schule heute ohne eine ökonomische Grundbildung", sagt Ökonomieprofessor Dirk Loerwald. Das von ihm geleitete Institut für Ökonomische Bildung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg ist Mitinitiator des Bündnisses Ökonomische Bildung Deutschland (BÖB), das diesen Missstand beheben will.
Das BÖB ist eine Initiative von Lehrern, Verbänden, Wirtschaft und Wissenschaft und setzt sich für ökonomische Bildung an allen weiterführenden Schulen in Deutschland ein. Denn die Schule gilt den meisten Deutschen als erste Wahl, wenn es um die Vermittlung wirtschaftlicher Inhalte geht. Auf Platz 2 folgt das Elternhaus, ergab eine Innofact-Umfrage vom Oktober 2017.
Ob und wie
Es besteht zwar ein Beschluss der Kultusministerkonferenz von 2013 zur Stärkung von Verbraucherbildung an Schulen, allerdings gibt es keinen Konsens, ob Ökonomie vermittelt werden soll oder nur jener Teilbereich, der den Konsumenten betrifft, also Verbraucherbildung (diese umfasst weitere Bereiche, etwa Ernährung). Hierüber wird dank Föderalismus in 16 Bundesländern und auf Bundesebene diskutiert.
Beim "Wie" gehen die Probleme weiter. Auf der einen Seite stehen die Befürworter eines eigenen Fachs. So favorisiert Nils Goldschmidt, Ökonomieprofessor an der Universität Siegen, klar ein eigenes Schulfach Wirtschaft, da es um die Vermittlung ökonomischen Denkens gehe. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) hingegen macht sich für eine fächerübergreifende Vermittlung ohne ein spezielles Fach stark. "Wichtig ist uns, dass die Verbraucherbildung prüfungsrelevant ist", sagt VZBV-Teamleiterin Vera Fricke.
Konto und Konsum
Loerwald hat bei seinen Recherchen in Deutschland über 50 verschiedene Fachbezeichnungen gefunden, in denen Ökonomie irgendwie eine Rolle spielt. Beispiele aus den Bundesländern: In Niedersachsen wird in allen weiterführenden Schulen "Wirtschaft" unterrichtet. In Bayern gibt es seit 2014/15 das Wahlfach "Verbraucherprofi" für die Realschulen, das Fach "Wirtschaft und Recht" für Gymnasien und Realschulen. Baden-Württemberg hat ab 2016/17 an allen weiterführenden Schulen das Fach "Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung" eingeführt, zunächst an Haupt- und Realschulen, dann an Gymnasien.
Schleswig-Holstein hat 2009 das Fach "Hauswirtschaftslehre" in "Verbraucherbildung" umbenannt; es wird in der Sekundarstufe I unterrichtet, nur nicht an Gymnasien, da gibt es "Wirtschaft/Politik". Aktuell bringt Nordrhein-Westfalen (NRW) Wirtschaft auf den Lehrplan: Seit diesem Schuljahr wird "Wirtschaft-Politik" an Gymnasien gelehrt, die anderen weiterführenden Schulen folgen im kommenden Schuljahr mit einem Wirtschaftsangebot.
Lehrer und Lobby
In NRW zeigt sich zweierlei: Es gibt zwar jetzt ein Fach, aber nicht genug qualifizierte Lehrer. Helfen sollen nun Quereinsteiger. Und die Hochschulen müssen Wirtschaft überhaupt erst einmal als Lehramtsfach anbieten. Auch zeigt der Fall NRW: Die Einführung des Pflichtschulfachs sorgt für Kontroversen. Kritisch sieht vor allem die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) das neue Fach: Sie fürchtet die Schwächung der politischen Bildung.
"Wir kommen nicht weiter, wenn Dinge gegeneinander ausgespielt werden. Dass wir auch politische Bildung brauchen, ist doch unbestritten", so Ökonom Goldschmidt. Unser Leben werde durch Märkte und Wettbewerb bestimmt. Es sei doch absurd, dass den Schülern nicht das Rüstzeug beigebracht werde, dies zu verstehen.
Des Weiteren fürchtet die GEW die Lobbyarbeit der Unternehmen. Denn die Bildungsbudgets der Länder sind überschaubar, viele staatliche Schulen sind mager ausgestattet. Diese Lücke begreifen Lobbyisten als ihre Chance. Verbände, Stiftungen, Banken oder Versicherungen versuchen, ihre kostenfreien Angebote wie "Business at school", "Planspiel Börse", "Hoch im Kurs" oder "My finance Coach" in die Klassenzimmer zu hieven.
Die Qualität der privaten Anbieter ist sehr unterschiedlich. "Während Schulbücher von den zuständigen Ministerien intensiv geprüft werden, entfällt eine solche Prüfung beim Unterrichtsmaterial privater Anbieter", weiß Marius Stark, Vorstand beim Präventionsnetzwerk Finanzkompetenz, einem Verein, der sich für wirtschaftliche Bildung einsetzt. Eine erste Orientierung versucht der sogenannte "Materialkompass" der Verbraucherzentrale zu leisten. Unabhängige Experten nehmen dort die Angebote unter die Lupe.
Mit einem eigenen Fach und gut ausgebildeten Lehrern kann man dem Lobbyismus entgegentreten. "Man muss den Kapitalismus nicht lieben, doch man muss ihn verstehen", sagt Goldschmidt. "Letztlich hängt es vom Zufall ab, wo ich wohne, zu welcher Schule ich gehe, ob ich mit einem Mindestmaß an ökonomischer Bildung ausgestattet werde oder nicht", fasst Loerwald die aktuelle Situation zusammen. Die ausreichende Vorbereitung von Schülern auf das Leben sieht sicherlich anders aus.