WIE FUNKTIONIERT DER STROMMARKT BISHER? Strom wird seit längerem an der Börse gehandelt. Allerdings weist der Markt Besonderheiten auf: So darf es bei Knappheit keinesfalls zu einem Stromausfall kommen, da ein solcher Blackout erhebliche volkswirtschaftliche Schäden hätte. Der Strompreis hängt deswegen vom letzten Kraftwerk ab, das für die Versorgungssicherheit an einem bestimmten Tag angefahren werden muss. Zunächst laufen also die günstigen Anlagen. Das "letzte" Kraftwerk ist dann meist flexibel wenn auch vergleichsweise teuer, in der Regel ein Gaskraftwerk. Den Preis, den dieses verlangen kann, wird vereinfacht gesagt zum generellen Abnahmepreis an diesem Tag - auch für alle anderen Kraftwerke.
WO IST JETZT DAS PROBLEM? Aus verschiedenen Gründen existieren große Überkapazitäten in Deutschland, in der Folge fallen die Preise an der Börse seit Jahren. Die Haushalte spüren davon wegen der staatlichen Abgaben und Steuern wenig. Die Energieversorger stehen aber unter Druck. Der Betrieb vieler Anlagen lohnt sich kaum noch, vor allem Gaskraftwerke mit ihren hohen Brennstoffkosten rechnen sich nicht mehr, zumal viele aufgrund der Überkapazitäten an immer weniger Tagen im Jahr produzieren. Die billigen Braunkohle- oder Atomkraftwerke erzielen so zwar auch weniger Gewinn, laufen aber dennoch und sei es für den Export von Strom.
WAS HAT DAS PROBLEM MIT DEM ÖKOSTROM ZU TUN? Die ständig wachsende Ökostrommenge - mit über einem Viertel Anteil am Verbrauch mittlerweile größte Quelle - übt steigenden Druck auf die Preise aus. Ökostrom-Betreiber haben keine Brennstoff- und nur geringe Betriebskosten, sie bleiben selbst bei niedrigen Preisen am Netz. So drängen sie Anlagen mit hohen Brennstoffkosten wie Gas- und teils auch Steinkohlemeiler aus dem Markt und verschärfen die Sorgen der Versorger. Um die 50 Kraftwerke sind schon zur Abschaltung angemeldet und 2022 geht ohnehin das letze AKW vom Netz.
Auf der anderen Seite schwankt die Produktion aus erneuerbaren Energien je nach Wetter und Tageszeit. Daher werden die konventionellen Kraftwerke zur Versorgungssicherheit grundsätzlich gebraucht, wenn sie auch immer weniger Stunden laufen.
WELCHE LÖSUNGEN GIBT ES? In einem Grünbuch hatte die Regierung im Kern zwei Optionen aufgeschrieben: Zum einen die Weiterentwicklung des jetzigen Systems, zum anderen eben den sogenannten Kapazitätsmarkt. Vereinfacht wird hierbei nicht mehr nur der Strom bezahlt, sondern auch die Bereitschaft, die Kraftwerke betriebsbereit zu halten und die Versorgungssicherheit zu garantieren. Die zusätzlichen Kosten werden so auf alle Verbraucher umgelegt.
WAS FAVORISIERT DIE REGIERUNG? Sowohl Kanzlerin Angela Merkel als auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) haben sich bereits gegen den Kapazitätsmarkt ausgesprochen. Gabriel vermutet hinter den Forderungen ein Bestreben, die Überkapazitäten mit vielen alten, klimaschädlichen Kohlekraftwerken von den Verbrauchern finanzieren zu lassen. Er spricht von "Hartz IV" für Kraftwerke.
Es bleibt also die Weiterentwicklung des bestehenden Marktes, auch "Energy-Only"-Markt genannt. Das bedeutet, dass Strompreise künftig in den Stunden der Knappheit in extreme Höhe steigen könnten. Bisher griffen hier Kappungsgrenzen, die dies unmöglich machen würden. Zudem drohten Eingriffe des Kartellamtes, da etwa in bestimmten Regionen aufgrund von Netzengpässen ein Versorger ein Monopol haben und Extrem-Preise als Marktmissbrauch bewertet werden könnten.
Die Regierung will nun mit der Zulassung von zeitweise sehr hohen Tarifen etwa den Gaskraftwerken die Chance geben, die Kosten selbst bei kurzen Laufzeiten zu erwirtschaften. Da viele Kohlekraftwerken sowieso abgeschaltet würden, werde sich auch das Preisniveau an der Börse erhöhen und den verbleibenden Anlagen nützen, so das Kalkül. Ferner könnten Anreize für flexible Industriebetriebe geschaffen werden, zu Zeiten der Knappheit sich vom Netz nehmen zu lassen. Eine bessere Vernetzung mit dem Ausland könnte eine weiter Absicherung sein. Zusätzlich soll es eine kleine Notreserve an Kraftwerken geben, um einen Blackout in jedem Fall zu verhindern. Die Regierung glaubt, unterm Strich sei dies billiger als ein Kapazitätsmarkt.
Reuters