Man kann ja mal träumen: Wer Anfang März Aktien von Zoom Technologies für 1.000 Dollar gekauft hätte, wäre im April plötzlich Millionär gewesen. Aber auch nur dann, wenn er die Papiere rechtzeitig losgeschlagen hätte. Übereifrige Anleger hatten die Aktie der chinesischen Firma mit dem amerikanischen Parkettneuling Zoom Video Communications, verwechselt. Selbst mit dem Original aus den USA konnten Anleger schnell viel Geld verdienen: Die Aktien wurden für 36 Dollar ausgegeben und schossen kurz auf 72 Dollar. Der Börsenwert des US-Spezialisten für Videokonferenzen verdoppelte sich binnen Stunden auf 20 Milliarden Dollar.

Die Euphorie an den amerikanischen Aktienmärkten ist groß: Niedrige Zinsen und die weiterhin gut laufende Wirtschaft treiben die Aktienmärkte auf neue Rekordstände. Viele Wachstumsfirmen, darunter auch milliardenschwere Unternehmen wie Zoom Video Communications oder die Mobilitätsdienstleister Uber und Lyft nutzen das perfekte Umfeld, um mit ihrem Börsengang (IPO) jetzt Kasse zu machen.

Einhörner stürmen die Wall Street


Experten erwarten, dass die Einnahmen aus IPOs an der Wall Street 2019 den Rekordwert von knapp 108 Milliarden Dollar aus 1999 übertreffen werden. Vor allem dank der sogenannten Unicorns (deutsch Einhörner) - Debütanten mit mehr als einer Milliarde Dollar Börsenwert.

Mobilitätsdienstleister Uber Technologies, dessen Wert auf bis zu 91,5 Milliarden Dollar taxiert wird, ist das größte Unicorn. Ursprünglich wurde Uber sogar auf 120 Milliarden Dollar geschätzt. Mit dem deutlichen Abschlag reagierten die Banken, die das Debüt begleiten, auf die Kursverluste des Konkurrenten Lyft nach dessen Börsengang am 29. März. Gegenwärtig präsentiert sich Uber ­potenziellen Zeichnern des IPOs auf ­Roadshows in San Francisco, New York und London.

Das Interesse ist groß, der Börsengang voraussichtlich schon überzeichnet, heißt es an den Kapitalmärkten. Und das obwohl der weltweit aktive Mobilitätsdienstleister im ersten Quartal bei drei Milliarden Dollar Erlös eine Milliarde Dollar Verlust buchte. Beim voraussichtlichen Debüt am kommenden Freitag hofft der Konzern, bis zu neun Milliarden Dollar für seine Aktien einsammeln zu können.

Der IPO von Uber an der New York Stock Exchange (NYSE) ist der größte des Jahres. In der Hoffnung, dass die Stimmung an den Kapitalmärkten, vor allem an der Wall Street, freundlich bleibt, drängen in diesem Jahr besonders viele Unicorns auf das Parkett (siehe Tabelle unten).

Für Anleger bringt dieser Boom viele Investmentmöglichkeiten, aber auch Stolperfallen. Vor allem am ersten Handelstag sind die Kursausschläge wild. Wer zum Start die Aktie des Uber-Rivalen Lyft kaufte, hat bislang knapp ein Fünftel seines Einsatzes verloren. Die Aktie des Unicorns Pinterest hat dagegen laut Börsendienst Bloomberg mehr als 50 Prozent zugelegt.

Pinterest ist ein soziales Netzwerk mit einer visuellen Suchmaschine, das weltweit 280 Millionen Menschen nutzen, die ihre Bilder an öffentliche oder private virtuelle Pinnwände heften.

Kurskapriolen der Börsendebütanten sind leicht zu erklären: Bei Technologiefirmen ist die Euphorie hoch, und es werden nur wenige Anteile auf den Markt gebracht. Bei großer Nachfrage führt das zu extremen Kursverzerrungen. "Bei den Tech-Schwergewichten geht es darum, neue Märkte als Erster zu dominieren. Deshalb ist Anlegern bei solchen Investments Unternehmenswachstum wichtiger als Erträge. Vor allem US-­Investoren sind deshalb bereit, Unternehmensverluste über viele Jahre in Kauf zu nehmen - auch nach einem Börsendebüt", erklärt Joachim von der Goltz, IPO-Experte der Credit Suisse. Mit ihren im Internet basierten Geschäftsmodellen, die ohne diese Technologie nicht denkbar wären, passten Unicorns gut ins Zeitalter der Digitalisierung, sagt von der Goltz.

Gegenüber dem IPO-Boom Ende der 90er-Jahre mit Stars wie Amazon und Ebay hat sich vieles geändert. Sogenannte Private Placements, Beteiligungen vor dem Börsengang, haben dramatisch zugelegt. Große institutionelle Investoren wie etwa der Ontario Teachers Pensionsfonds wollen bei Unternehmen in Megatrendmärkten vor deren Börsengang erhebliche Anteile besitzen. Uber und Co können es sich deshalb leisten, später an die Börse zu gehen. Im Schnitt sind es zwölf Jahre nach der Gründung, Ende der 90er-Jahre waren es vier bis fünf Jahre danach.

Jeff Bezos brachte Amazon drei Jahre nach der Gründung aufs Parkett. Wer 1997 in Amazons Börsendebüt 1.000 Dollar investiert hat, verwaltet heute über eine Million Dollar. Diese Traumrendite dürften die heutigen Unicorns für Aktionäre, die zum IPO einsteigen, wohl kaum erreichen, meint Jay Ritter, IPO-Experte der Universität Florida. Dafür müsste Uber im Jahr 2041 rund 240 Billionen Dollar wert sein, kalkuliert Ritter. Bisher haben es an der Börse aber nur drei Konzerne - Amazon, Apple und Microsoft - geschafft, die Marke von einer Billion Dollar Börsenwert zu überschreiten.

Der weltweit größte Onlinehändler Amazon startete bei seinem Parkettdebüt im Jahr 1997 zudem mit 0,7 Milliarden Dollar Börsenwert, bei Uber werden es mehr als 90 Milliarden Dollar sein. Doch auch wenn bei Investments in Unicorns zum IPO langfristige Renditen wie bei Amazon nicht drin sind, dürften Mutige für ihre Ausdauer in einigen Fällen großzügig belohnt werden. Die größeren Debütanten verfügen über stabilere Geschäftsmodelle. €uro am Sonntag stellt einige der IPO-Riesen vor.

Auf Seite 2: Vier Börsenneulinge im Test

1. Zoom Video


Dreistellige Wachstumsraten, regelmäßige Einnahmen durch Abos und nahe an der Gewinnschwelle: Damit ist der Videokonferenzspezialist mit Sitz in San José in Kalifornien Top-Favorit der Anleger bei den bisherigen Börsen­debütanten. Nach dem knapp dreistelligen Kursgewinn seit dem Börsengang ist Zoom inzwischen allerdings schon deutlich höher bewertet als US-Konkurrenten wie Okta, Atlassian Corp. oder Twilio. Experten taxieren Zooms globales Marktsegment für 2022 auf mehr als 43 Milliarden Euro Umsatz.

Aufsteiger Zoom, dessen Erlöse Analysten für dieses Jahr auf umgerechnet 500 Millionen Euro taxieren, kann noch deutlich zulegen. Die Kalifornier ver­fügen mit ihrer Cloud-Technologie für ­Videokonferenzen nach eigenen Angaben über ein besseres Produkt als eta­blierte Spezialisten wie Cisco, Webex und Microsoft mit Skype for Business.

Fazit: Profitables Geschäft mit starkem Wachstum. Die Aktie ist allerdings teuer. Kursrückschläge zum Kauf nutzen.

2. Lyft


Vor Kurzem legte der kleinere Rivale des Mobilitätsdienstleisters Uber seinen ersten Quartalsbericht als börsen­notierte Firma vor. Schätzungen der Analysten von Bloomberg Intelligence zufolge kommt das in San Francisco ansässige Unternehmen in dem hart umkämpften US-Markt für Taxi-Dienstleistungen auf einen Anteil von über 30 Prozent. Sowohl Uber als auch Lyft bieten ihre Dienste via App an. Mit der eigenen IT-Plattform im Web ist das Geschäft gut skalierbar: Je mehr Nutzer die Plattform bei Diensten wie Taxi, Scooter, autonom fahrenden Autos und später Essens­lieferungen nutzen, umso effizienter wird das Geschäft. Ab einer gewissen Größenordnung sinken die Kosten für den Ausbau deutlich.

Anders als der global expandierende Dienstleister Uber beschränkt sich Lyft auf die USA und Kanada. Nachhaltige Zuwächse bei den Buchungen um mehr als 50 Prozent zeigen, dass sich der deutlich kleinere Rivale auch gegen Uber gut durchsetzen kann. Für 2019 erwarten Analysten rund 30 Prozent mehr Umsatz. Die Verluste durch die Kosten zur Finanzierung des Wachstums bleiben allerdings hoch.

Fazit: Lyft kann sich gegenüber dem Riesen Uber behaupten. Risikofreudige nutzen die Stabilisierung der Aktie zum Einstieg.

3. Pinterest


Das vor neun Jahren gegründete soziale Netzwerk wird von mehr als 250 Millionen Menschen genutzt, bisher vor ­allem in den USA. Die visuelle Suchmaschine baut sich aus einem Pool von mehr als 175 Milliarden Bildern auf, die von den Nutzern mit Anmerkungen und Daten ergänzt werden. Die Bilder und Videos können im sozialen Web geteilt und an virtuelle Pinnwände geheftet werden.

Verglichen mit den durchschnittlichen Umsätzen pro Kunde bei Facebook und Twitter liegt Pinterest lediglich bei zwölf und 39 Prozent. Das globale ­Potenzial für soziale Netzwerke wird insgesamt auf 73 Milliarden Dollar Umsatz geschätzt.

Bloomberg Intelligence traut Pinterest zu, den Umsatz bis 2022 auf 2,4 Milliarden Dollar zu verdreifachen. Für 2019 erwarten Analysten im Schnitt Erlöse von mehr als 1,1 Milliarden Dollar, ein Plus von 46 Prozent. Verfehlt der Aufsteiger diese Marke allerdings, könnte das, wie bei den sozialen Netzwerken LinkedIn und Etsy im ersten Jahr nach ihrem IPO, erhebliche Aus­wirkungen haben: Etsys Börsenwert schrumpfte nach verfehlten Prognosen um mehr als 63 Prozent, LinkedIn, heute eine Tochter von Microsoft, verlor mehr als 40 Prozent.

Fazit: Das Geschäftsmodell ist neu. Der Kurs wird stark vom Hype getrieben. Der Handel in Frankfurt ist dünn. Abwarten.

4. Levi Strauss


In der schillernden Schar der milliardenschweren Börsendebütanten aus dem Technologiesektor ist das vor 166 Jahren von Jeanserfinder Levi Strauss gegründete Unternehmen ein würdiger Vertreter der Old Economy. Zwar liefert der Bekleidungskonzern mit Sitz in San Francisco nicht ähnlich spektakuläre Wachstumsraten wie die hippen Techfirmen, dafür aber von Beginn an Gewinne und Dividenden.

Ein Beleg dafür ist die wenige Wochen nach dem IPO am 21. März präsentierte Bilanz für das im Februar abgeschlossene erste Quartal. Mit 37 US-Cent pro Aktie und insgesamt 147 Millionen Dollar Gewinn haben die Kalifornier besser verdient, als von Analysten geschätzt. Der Kurs legte deutlich zu. Besonders stark wächst Levi Strauss mit Jeans für Frauen und mit Mode außerhalb seines klassischen Geschäfts mit Männerjeans. In den neuen Bereichen zogen die Umsätze um jeweils 18 und 28 Prozent an, im Stammgeschäft dagegen nur um acht Prozent. Auch in Asien und im Web gibt es zweistellige Zuwächse.

Fazit: Aussichtsreicher Titel für konservative Anleger, die Stabilität im Geschäft und regelmäßige Dividenden bevorzugen.

Vom IPO-Boom profitieren:
Ein ETF für 100 Wall-Street-Debütanten

Die Zeichnung von US-Aktien vor dem IPO ist keine Option, die Schwankungen der Kurse sind groß, der Handel mit den Papieren in Frankfurt dünn. Vom IPO-Boom an der Wall Street bequem profitieren können Anleger mit dem ETF (ISIN: IE 00B YTH 623 8) von First Trust auf den IPOX-100 US Index. Das Prinzip: Die Aktien der 100 Debütanten im Index werden an ihrem sechsten Handelstag gekauft und scheiden nach 1.000 Handelstagen, also nach vier Jahren, aus. Im Vergleich zum breiten S & P 500 lieferte der IPOX-100 US Index in zehn Jahren jährlich vier Prozentpunkte mehr Rendite.