Das Börsenjahr 2021 war wieder einmal geprägt vom ewigen Kampf zwischen Bulle und Bär. Zwar hielten die Pessimisten mit neuen Corona-Varianten sowie einer stark steigenden Inflation einige Trümpfe in der Hand, allerdings war das Blatt der Frohnaturen besser. Impfstoffeinführungen, fiskalische Anreize, wirtschaftliche Wiedereröffnungen sowie starkes Gewinnwachstum sorgten für vornehmlich gute Stimmung auf dem Börsenparkett. Letztlich stieg der MSCI World bis kurz vor Weihnachten um rund 17 Prozent.

Nach zwei von Corona-Folgen geprägten Jahren hoffen viele nun auf mehr Normalität. Dies gilt nicht nur für das alltägliche Leben. Auch an der Börse wäre etwas mehr Harmonie wünschenswert. Heftige Kursschwankungen, wie sie vor allem in der zweiten Jahreshälfte zu beobachten waren, strapazierten durchaus das Nervenkostüm der Anleger. Und vollständige Entwarnung lässt sich aus heutiger Sicht noch nicht geben. Die Auswirkungen der Pandemie auf Wirtschaftswachstum, Inflation, Zinsen - und damit auch auf die Aktienmärkte - stehen 2022 weiterhin auf der Agenda.

Geht der Wirtschaft und damit den Kursen die Luft aus? Wann kommt die Zinswende? Alles Fragen, die einer Antwort bedürfen. Zäumen wir das Pferd dazu am besten von hinten auf: Um die Lage an den Aktienmärkten richtig einschätzen zu können, müssen die Rahmenbedingungen genau analysiert werden. "Das derzeit am kontroversesten diskutierte Thema ist wohl die weitere Entwicklung der Inflation", sagt Stefan Kreuzkamp. Mit dieser Einschätzung liegt der DWS-Chefstratege goldrichtig, denn hier gehen die Meinungen weit auseinander. Da die Lieferkettenprobleme 2022 allmählich nachlassen dürften und damit auch der Preisauftrieb, erwartet die DWS in den USA eine Reduktion der Teuerung auf 2,8 Prozent. Die Experten der UBS rechnen dagegen mit 4,2 Prozent, die Unicredit gar mit 4,7 Prozent.

Notenbanken im Blick

Wer auch immer am Ende Recht behalten wird, eines ist schon heute klar: Die US-Notenbank wird im kommenden Jahr auf eine restriktivere Geldpolitik setzen. Auf der letzten Notenbanksitzung 2021 verkündete die Fed, dass sie die Reduktion der monatlichen Wertpapierkäufe (Tapering) ab Januar von 15 auf 30 Milliarden Dollar verdoppelt. Folglich ist bereits im März, und somit drei Monate früher als ursprünglich geplant, Schluss mit den quantitativen Maßnahmen. Geschuldet dürfte dies der derzeit hohen Preissteigerung sein, denn von einem "vorübergehenden Inflationsanstieg" war im Statement des Offenmarktausschusses dieses Mal nichts mehr zu lesen. "Die Projektionen der Fed-Offiziellen sehen nun sogar drei Zinserhöhungen für das kommende Jahr vor, weitere drei könnten dann im Jahr 2023 folgen", erläutert Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. Damit zeigen sich die Währungshüter restriktiver als im Vorfeld erwartet.

Die Bank of England (BoE) preschte unterdessen kurz vor Weihnachten noch vor und hob überraschend ihren Leitzins von 0,1 auf 0,25 Prozent an. "Es ist die erste Zinsanhebung unter den G-7-Staaten seit Ausbruch der Corona-Pandemie", sagt Ökonom Gitzel. Auslöser war auch hier die Inflation, die zuletzt mit 5,1 Prozent nicht nur weit über das Ziel der Notenbank hinausschoss, sondern auch den höchsten Stand seit mehr als einer Dekade markierte. Die Europäische Zentralbank (EZB) beließ ihren Leitzins bei null Prozent, lässt aber ihr billionenschweres Pandemienotprogramm PEPP Ende März 2022 auslaufen. "Der geldpolitische Zungenschlag der EZB ändert sich, mit der Fed und der Bank of England hält sie dennoch nicht Schritt", kommentiert Chefvolkswirt Alexander Krüger vom Bankhaus Lampe.

Wachstum voraus

Solange das Wirtschaftswachstum nicht schlapp macht, muss eine etwas konservativere Geldpolitik nicht zwangsläufig schädlich für die Aktienmärkte sein. Und die ökonomischen Aussichten stellen sich durchaus rosig dar. "Das erste Halbjahr wird durch ein weltweites Wirtschaftswachstum geprägt sein, das deutlich über dem Trend liegt", heißt es bei der UBS. In der zweiten Hälfte erwarten die Analysten dann eine Normalisierung, sobald die Auswirkungen der Wiedereröffnung nachlassen. Insgesamt gehen sie von einem stattlichen globalen Wachstum von 4,7 Prozent aus. Neben den zahlreichen Nachholeffekten aufgrund der Pandemie dürften zudem die fiskalischen Geld-"Booster" für eine weitere Expansion sorgen. So läuft etwa in den USA ein Billionenprogramm und auch in der Eurozone fließen 800 Milliarden Euro in den Wiederaufbau der Wirtschaft, die grüner und digitaler werden soll.

Eine robuste Konjunktur ist wiederum die Grundvoraussetzung für weiter steigende Unternehmensgewinne und damit auch für höhere Aktienkurse. Der Analystenkonsens ist diesbezüglich positiv gestimmt. Aktuell beläuft sich die durchschnittliche Schätzung auf ein Plus beim Euro Stoxx 50 von 7,9 Prozent im Jahr 2022, für den S & P 500 lautet die Prognose sogar 8,2 Prozent. Parallel dazu fallen die Kursziele der Banken positiv aus. Beim DAX werden rund 17 000 Punkte erwartet, dem Euro Stoxx 50 wird ebenfalls ein Potenzial von mehr als sieben Prozent eingeräumt.

Risiken beachten

Bei allem Optimismus für das neue Jahr dürfen die Risiken aber nicht unter den Teppich gekehrt werden. Dazu zählen anhaltend hohe Energie- und Rohstoffpreise sowie weitere Engpässe in der Lieferkette. Diese könnten nicht nur die Konsumnachfrage bremsen, sondern auch den Inflationsdruck erhöhen, sodass die Notenbanken gezwungen wären, ihre Geldpolitik noch schneller als erwartet zu straffen. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor ist die gesundheitliche Situation der Weltbevölkerung. Steigende Impfquoten, wie sie derzeit zu beobachten sind, können diesbezüglich aber für Entspannung sorgen. Und auch wenn politische Börsen bekanntlich kurze Beine haben, sollten Anleger trotzdem eine Wahl im Auge haben. In Frankreich wird der Kampf zwischen Machtinhaber Emmanuel Macron und der rechtspopulistischen Hauptgegnerin Marine Le Pen im April entschieden.